Koloniales Erbe in der Geschichtskultur

Koloniales Erbe in der Geschichtskultur

Veranstalter
Zentrum für Kulturen und Technologien des Sammelns, Universität für Weiterbildung Krems
PLZ
3500
Ort
Krems an der Donau
Land
Austria
Findet statt
Digital
Vom - Bis
30.06.2024 -
Deadline
30.06.2024
Von
Andrea Brait, Zentrum für Kulturen und Technologien des Sammelns, Universität für Weiterbildung Krems

Ziel des geplanten Bandes „Koloniales Erbe in der Geschichtskultur“ ist es, (1) verschiedene geschichtskulturelle Produkte und deren Rezeption auf vom Kolonialismus geprägte Interpretationen hin zu untersuchen, (2) Ansätze von vom Postkolonialismus geprägten kritischen Aufarbeitungen zu analysieren sowie (3) nach der Ausblendung des Kolonialismus bzw. des kolonialen Erbes in geschichtskulturellen Produkten zu fragen.

Koloniales Erbe in der Geschichtskultur

Die Zeit des europäischen Kolonialismus im 19. und frühen 20. Jahrhundert, des sogenannten Imperialismus, wurde im kollektiven Gedächtnis in den Gesellschaften vormaliger Kolonialmächte lange selektiv behandelt, ja nahezu verklärt. Verweise auf „zivilisatorische“ Leistungen wie den Bau von Krankenhäusern und Straßen, den Kampf gegen Sklaverei oder die Loyalität von Kolonialtruppen sollten die Behauptung vom „guten“ Kolonialismus des jeweils eigenen Landes unterstreichen. In Schulbuchkapiteln, Jugendbüchern, Illustrierten, Dokumentationen und Spielfilmen war somit der Kolonialismus durchaus präsent. Doch wurden hierbei koloniale Stereotype und rassistische Sichtweisen vielfach reproduziert. Oft waren sich dabei die Urheberinnen und Urheber ihrer Denkmuster nicht bewusst, eine kritische Reflexion und ein Austausch mit den einst Kolonialisierten fanden nicht statt.
Die untergeordnete Rolle der Kolonialgeschichte in der Erinnerungskultur war in Deutschland letztlich auch auf die Dominanz der Aufarbeitung der ungleich größeren Verbrechen des Nationalsozialismus zurückzuführen. Österreich sah sich selbst lange als am Kolonialismus „unbeteiligt“. Die mediale Präsenz des Kolonialismus nahm erst ab den 2000er-Jahren sukzessive zu; es folgte der Versuch einer intensiven, dem Postkolonialismus verpflichteten Aufarbeitung dieser Thematik auf verschiedenen Ebenen. Dabei geriet der historische Kontext immer wieder in den Hintergrund, da der Kampf um die Deutungshoheit zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppierungen in nicht geringem Umfang mit moralisierten Thesen geführt wurde. Dies betraf unter anderem den Diskurs in den Geschichtswissenschaften, die politischen Debatten und auch die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit der aktuellen Geschichtskultur. Gefordert wurden insbesondere eine Distanzierung von eurozentristischen Zugängen und eine selbstkritische Reflexion der eigenen Perspektive (u. a. Grewe 2016; Eberth/Röll 2021; Spanbauer 2022).
In Frankreich versuchten 2022 Filmschaffende mit „Mein Sohn, der Soldat“ sich der Rolle von französischen Kolonialsoldaten im Ersten Weltkrieg anzunähern. Mit „Der vermessene Mensch“ kam ein Jahr später der erste deutsche Spielfilm in die Kinos, in dem der Völkermord an den Herero und Nama thematisiert wurde. Heftige Diskussionen hinsichtlich etwaiger Reproduktionen rassistischer Stereotype, diskriminierende Erzählformen etc. waren die Folge. Diese zeigen, wie komplex und herausfordernd die Thematisierung von Kolonialgeschichte heute ist. Auf ein Bewusstmachen von „Spuren, Orte und Geschichten von Ungleichheiten, Rassismus und Widerstand bis in die Gegenwart“ zielt etwa das Projekt eines postkolonialen Stadtplans von Innsbruck ab. Deutlich weiter geht der von einem Beratungsgremium erarbeitete Handlungsrahmen zu Beständen österreichischer Bundesmuseen aus kolonialen Kontexten, in denen in Fällen historischen Unrechts die Rückgabe von Kulturgütern empfohlen wird.
Noch wenig wissenschaftlich analysiert wurde jedoch, wie der Themenkomplex außerhalb des sogenannten akademischen Fachdiskurses im 20. und 21. Jahrhundert aufgearbeitet wurde. Wie gingen und gehen an eine breite Öffentlichkeit gerichtete populäre geschichtskulturelle Produkte mit dem kolonialen Erbe um? Fördern diese einen kritischen Blick oder reproduzieren sie weiterhin rassistische Sichtweisen? Ist die kritische Aufarbeitung der europäischen Kolonialzeit überhaupt neu oder wird das Thema nur in den letzten Jahren stärkerer emotional aufgeladen in der Gesellschaft diskutiert?
Ziel des Bandes „Koloniales Erbe in der Geschichtskultur“ ist es daher,
(1) verschiedene geschichtskulturelle Produkte und deren Rezeption auf vom Kolonialismus geprägte Interpretationen hin zu untersuchen (z. B. koloniale bzw. rassistische Stereotype in Spielzeug, PC-Spielen und Spielfilmen aus unterschiedlichen Entstehungszeiten und kontexten)
(2) Ansätze von vom Postkolonialismus geprägten kritischen Aufarbeitungen zu analysieren (z. B. Dokumentationen, Ausstellungen, Kontextualisierungen von Denkmälern oder Straßennamen) sowie
(3) nach der Ausblendung des Kolonialismus bzw. des kolonialen Erbes in geschichtskulturellen Produkten (z. B. in Ausstellungen zum Ersten Weltkrieg) zu fragen.
Der Band konzentriert sich auf den deutschsprachigen Raum, Vergleiche mit anderen Staaten sind aber ebenfalls möglich. Willkommen sind hierbei sowohl synchrone als auch diachrone Analysen. Zentral ist jeweils eine begründete Auswahl der analysierten geschichtskulturellen Produkte (Einzelbeispiel oder Vollerhebung zu einer bestimmten Zeit beziehungsweise Region oder Zusammenstellung einer nachvollziehbaren Stichprobe).
Interessentinnen und Interessenten senden bitte ein Abstract im Umfang von rund 250 Wörtern bis zum 30. Juni 2024 an Andrea Brait (andrea.brait@donau-uni.ac.at) und Tobias Hirschmüller (tobiashirschmueller@yahoo.de). Sie erhalten hierzu eine Rückmeldung und werden im Anschluss gebeten, den vollständigen Artikel im Umfang von rund 40.000–50.000 Zeichen (inkl. Leerzeichen) bis zum 31. Dezember 2024 einzureichen. Die Beiträge werden im Anschluss double-blind peer reviewed. Die Publikation wird für Jahresmitte 2025 angestrebt.

Kontakt

Priv.-Doz. MMag. Dr. Andrea Brait, andrea.brait@donau-uni.ac.at
Tobias Hirschmüller MA, tobiashirschmueller@yahoo.de