Was war Faschismustheorie? Epistemologie, Poetik und Medialität einer heterodoxen Gattung

Was war Faschismustheorie? Epistemologie, Poetik und Medialität einer heterodoxen Gattung

Veranstalter
Morten Paul; Stefan Höhne (Kulturwissenschaftliches Institut Essen)
Ausrichter
Kulturwissenschaftliches Institut Essen
Veranstaltungsort
Goethestraße 31
PLZ
45128
Ort
Essen
Land
Deutschland
Findet statt
In Präsenz
Vom - Bis
18.09.2024 - 20.09.2024
Von
Morten Paul, Kulturwissenschaftliches Institut Essen, Universität Duisburg-Essen

Jahrzehntealte Texte sollen die neue Situation aufschlüsseln. Im Feuilleton finden sie ein enormes Echo. Das erstaunt, schien die gegenwartsdiagnostische Verwendung des Faschismusbegriffs spätestens in den 1980er Jahren überholt. Infolge des Erfolgs rechtspopulistischer Parteien und autoritärer Politiken erlebt sie derzeit jedoch eine neue Konjunktur. Der Workshop „Was war Faschismustheorie? Epistemologie, Poetik und Medialität einer heterodoxen Gattung“ widmet sich ausgehend von dieser Beobachtung der Geschichte der Faschismustheorie.

Was war Faschismustheorie? Epistemologie, Poetik und Medialität einer heterodoxen Gattung

2019 erschienen Klaus Theweleits monumentale Männerphantasien (1977/78) nach vierzig Jahren neu. Im gleichen Jahr wurden Theodor W. Adornos Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ (1967) und Zeev Sternhells Aufsatz „Faschistische Ideologie“ (1976) in günstigen Taschenbuchausgaben veröffentlicht. 2021 folgte Leo Löwenthals umfangreiche Studie Falsche Propheten (1949) im gleichen Format. Die alten Texte sollen die neue Situation aufschlüsseln. Im Feuilleton finden sie ein enormes Echo. Das erstaunt, schien doch die gegenwartsdiagnostische Verwendung des Faschismusbegriffs spätestens in den 1980er Jahren überholt. Infolge des Erfolgs rechtspopulistischer Parteien und autoritärer Politiken erlebt sie derzeit jedoch eine neue Konjunktur. Der Workshop „Was war Faschismustheorie? Epistemologie, Poetik und Medialität einer heterodoxen Gattung“ widmet sich ausgehend von dieser Beobachtung der über hundertjährigen Geschichte der Faschismustheorie.

Da von den faschistischen Bewegungen von Beginn an Gewalt ausging, wird in diesen Theorien das Verhältnis von Verstehen und Verhindern zur drängenden Frage. Das lenkt den Blick auch auf ihre eigene Beschaffenheit. Aspekte der Form und Medialität von Theorie rücken ins Zentrum. Welchen Umgang fand sie mit der unheimlichen Anziehungskraft faschistischer Ästhetik und Politik? Ein solcher Umgang schien auch deshalb notwendig, weil mit dem Faschismus ein für das aufklärerische Denken hochgradig irritierendes Phänomen zu erklären war. Mit der Aufmerksamkeit für dessen (auto-)destruktiven Grundzug werfen Faschismustheorien nämlich ein grelles Licht auf die abgründige Seite der europäischen Moderne. Sie betonen Kontinuitäten und geben so Antworten auf ein oft verdrängtes Rätsel der politischen Philosophie: Warum wollen wir unsere eigene Unterwerfung?

Zugleich macht die Historisierung den Zeitindex dieser Theorien selbst sichtbar: Welchen Platz nahmen sie vor und während der faschistischen Machtübernahmen in der Gesellschaftstheorie ein? Wie veränderten sie sich nach den Schrecken des Zweiten Weltkrieg und im Wissen um die Shoah? Welche Rolle spielten sie für Aktivismus und Kunst im politischen Aufbruch der 1960er Jahre? Wieso entfaltete der Faschismusvorwurf schließlich eine so durchschlagende Wirkung, dass es zwischenzeitlich scheinen konnte, als ließe er sich auf alle Probleme des 20. Jahrhunderts anwenden? Und warum kam er ebenso plötzlich wieder aus der Mode? Der ideengeschichtliche Blick auf Faschismustheorien ist einerseits mit dem Anspruch verbunden, allzu einfache Übertragungen zu verkomplizieren. Er will andererseits Anschlussmöglichkeiten für die Analyse gegenwärtiger politischer Prozesse und Akteure aufzeigen. Angesichts der Virulenz von Antisemitismus und Rassismus, von Misogynie und Queerfeindlichkeit auch für aktuelle reaktionäre Formierungen erscheinen Versuche der Erneuerung von Faschismustheorie jedenfalls unumgänglich.

Teilnahme nur mit Anmeldung unter: morten.paul@kwi-nrw.de (begrenzte Plätze)

Programm

Mittwoch, 18.9.

15:00–15:30
Morten Paul (Kulturwissenschaftliches Institut Essen): Begrüßung & Einführung

1919–1933: Erste Erklärungen eines neuen politischen Phänomens
Moderation: Danilo Scholz (Kulturwissenschaftliches Institut Essen)

15:30–16:30
Caroline Adler (Universität Hamburg): Faschistische Armaturen. Walter Benjamins Theorien des deutschen Faschismus

16:30–16:45 Kaffeepause

16:45–17:45
Patrick Eiden-Offe (Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin): Faschismus als Zerstörung der Vernunft. Georg Lukács und das bürgerliche Erbe

17:45–18:45
Elena Stingl (Freie Universität Berlin): Warten auf Revolution. Simone Weil in Berlin 1932

Donnerstag, 19.9.

1933–1979: Mythos und Politische Ökonomie
Moderation: Morten Paul (Kulturwissenschaftliches Institut Essen)

09:00–10:00
Nadine Hartmann (Universität der Künste Berlin): Männerphantasien über Kastration und Reproduktion in und um den Surrealismus

10:00–11:00
Christian Voller (Leuphana-Universität Lüneburg): Alfred Sohn-Rethels Faschismustheorie im Kontext seines Werkes

11:00–11:15 Kaffeepause

11:15–12:15
Frank Engster (Helle Panke Berlin): Furio Jesi und das Konzept der mythologischen Maschine

12:15–13:15 Mittagspause

1968 ff.: Warum wird man Faschist⁎in?
Moderation: Stefan Höhne (Kulturwissenschaftliches Institut Essen)

13:15–14:15
Elena Vogman (Bauhaus-Universität Weimar): Sex-Pol en acte. Faschismus und Begehren im Blick der Institutionellen Analyse in Frankreich um 1970

14:15–15:15
Yanara Schmacks (The Graduate Center, CUNY): Die Nazi Mutter. Zur Geschichte und Wirkmächtigkeit einer Fantasie

15:15–15:30 Kaffeepause

1964–2024: Über den historischen Faschismus hinaus
Moderation: Leonie Karwath (Ruhr-Universität Bochum)

15:30–16:30
Maxi Wallenhorst (Leuphana-Universität Lüneburg): Vergeschlechtlichung aktueller Faschismen

16:30–17:30
Laura Rivas Gagliardi (Universität zu Köln): Faschismus nach lateinamerikanischer Art: Auseinandersetzungen im brasilianischen Kulturfeld

18:30–20:00
Öffentliches Abendpodium: Faschismus im 21. Jahrhundert: Brauchen wir neue Theorien?
Luce deLire, Alex Demirović und Tatjana Söding

Freitag, 20.9.

1955–1991: Geschichtswissenschaft & Faschismustheorie: Eine komplizierte Beziehung
Moderation: Jonas Schmidt (Kulturwissenschaftliches Institut Essen)

09:00–10:00
Moritz Neuffer (Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin): Faschismus ohne Theorie? Zur dokumentarischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der frühen Bundesrepublik.

10:00–11:00
Zarin Aschrafi (Universität Leipzig): Lernen aus der Vergangenheit? Moishe Postone und Dan Diner über Nationalsozialismus, Antisemitismus und Massenvernichtung

11:00–11:15 Kaffeepause

11:15–12:15
Fernando Esposito (Universität Konstanz): Faschismustheorie und Modernekritik

12:15–13:00 Mittagspause

1974 ff.: Der Faschismusbegriff im kulturellen Leben der Bundesrepublik
Moderation: Mona Leinung (Kulturwissenschaftliches Institut Essen)

13:00–14:00
Friederike Sigler (Ruhr-Universität Bochum): Faschismustheorie als Ausstellungspraxis. Ausstellungen zu NS-Kunst in Westdeutschland 1974 bis 1987

14:00–15:00
Martin G. Maier (Philipps-Universität Marburg): „Wir wollen und werden die Auseinandersetzung mit dem Faschismus aber nicht rückwärts, sondern nach vorn gerichtet führen.“ Der Faschismusbegriff und das Geschichtsbewusstsein in der frühen Ära Kohl im Deutschen Bundestag

15:00–15:30
Abschlussdiskussion

Kontakt

morten.paul@kwi-nrw.de

https://www.kulturwissenschaften.de/veranstaltung/workshop-was-war-faschismustheorie/
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