Maike Raap, Öffentlichkeitsarbeit, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (FZH)
24.10.2024, 18.30 Uhr
Prof. Dr. Christoph Cornelißen (Goethe-Universität, Frankfurt am Main) / Prof. Dr. Nicole Kramer (Universität zu Köln):
Frankfurt am Main und der Nationalsozialismus. Herrschaft und Repression - Wirtschaft und Gesellschaft - Kultur und Gedächtnis
Die Veranstaltung dient der Präsentation und Diskussion des im Juni 2024 erschienenen Sammelbandes „Frankfurt am Main und der Nationalsozialismus“. Das Buch füllt eine eklatante Lücke in der Frankfurter Stadtgeschichtsforschung, die zwar seit Jahrzehnten beklagt, aber aus verschiedenen Gründen nicht behoben worden ist. In der Präsentation werden die Umstände der späten Publikation, die Konzeption des Bandes sowie ausgewählte Forschungserträge skizziert. Besonders bemerkenswert erscheint, dass Frankfurt in der Weimarer Republik als Musterbeispiel einer demokratischen und modernen wohlfahrtsstaatlichen Kommunalpolitik galt, dann aber seit 1933 einen radikalen Kurs gegenüber all denjenigen Gruppen einschlug, die als „Gemeinschaftsfremde“ unterdrückt wurden. Die große jüdische Gemeinde, deren Angehörige die Mainmetropole wesentlich geprägt hatten, wurde fast vollständig ausgelöscht. In der Diskussion soll es darum gehen, die Möglichkeiten der zukünftigen NS-Stadtgeschichtsforschung weiter auszuloten.
28.11.2024, 18.30 Uhr
Dr. Alina Just (Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg):
Stadtgeschichte als Geschichte des Vergnügens. Eine Neukartierung Hamburgs im 20. Jahrhundert
Das Hamburger Vergnügungsquartier St. Pauli ist weltberühmt. Gezielt wurde das Ausgehviertel im Verlauf des 20. Jahrhunderts beworben und unterstützte dabei das vom Stadtmarketing kreierte Selbstbild Hamburgs als einem „Tor zur Welt“. Dabei existierten bis zur Mitte des letzten Jahrhunderts viele weitere wichtige Quartiere des Vergnügens in Hamburg, etwa in der Neustadt und in den östlichen Hafenvierteln. Teils haben bestimmte Stadtentwicklungsprozesse nach 1945 sie verdrängt oder vernichtet, teils hat sie der wirkmächtige St. Pauli-Mythos in der öffentlichen Wahrnehmung überschrieben. Der Vortrag identifiziert diese vergessenen Orte des Vergnügens und erläutert ihre Bedeutung für die Hamburger Stadtgeschichte. Damit zeigt sich zum einen, wie eine empirisch begründete Neuperspektivierung helfen kann, Distanz zu medial vermittelten Selbstbildern einer Stadt aufzubauen. Zum anderen wird klar, dass die Frage, wo und wie sich Menschen vergnügten, eine Schlüsselfrage der Stadtgeschichte ist.
5.12.2024, 18.30 Uhr
Dr. Kim Sebastian Todzi (Forschungsstelle „Hamburgs (post-)koloniales Erbe“ / Universität Hamburg):
„Die Wissmänner sind noch immer unter uns“. Koloniale Kontinuitäten und postkoloniale Stadtgeschichte in Hamburg seit 1945
Trotz des formal längst vollzogenen Endes des deutschen Kolonialreiches (1884-1919) wirkte das koloniale Erbe in Hamburg auch nach 1945 fort. Der Vortrag analysiert, wie koloniale Denkweisen und Strukturen die städtische Entwicklung, das kulturelle Gedächtnis und die sozialen Dynamiken Hamburgs prägten. Im Mittelpunkt stehen die Auseinandersetzungen mit der Erinnerungskultur, koloniale und rassistische Kontinuitäten in Institutionen wie dem Völkerkundemuseum und der Universität Hamburg sowie wirtschaftliche Beziehungen zu ehemaligen Kolonien. Der Vortrag beleuchtet, wie postkoloniale Perspektiven helfen, Einflüsse kolonialer Machtstrukturen zu verstehen und urbane Geschichte neu zu interpretieren. Welche Kontinuitäten sind sichtbar und welche neuen Deutungen eröffnen sich durch diesen Ansatz?
9.1.2025, 18.30 Uhr
Prof. Dr. Dorothee Brantz (Center for Metropolitan Studies, TU Berlin):
Metropolitane Jahreszeiten: Eine Kultur- und Umweltgeschichte um 1900 und 2000
Welche Rolle spielen Jahreszeiten in der Stadt? Aus unserer Alltagserfahrung wissen wir, dass städtisches Leben von jahreszeitlichen Bedingungen abhängig ist. Im Winter erleben wir Hamburg, Berlin, London oder New York anders als im Sommer. Allerdings fand dieser zentrale Aspekt unserer städtischen Existenz bisher kaum Beachtung in der Forschung. Dafür gibt es Gründe, die in dem Vortrag dargelegt werden. Es wird um diese Fragen gehen: Warum wurden die Jahreszeiten bisher in der Stadtforschung kaum beachtet? Welche Erkenntnisse eröffnet uns ein jahreszeitlicher Blick auf die Stadt? Um speziell der zweiten Frage nachzugehen, wird der Vortrag sich auf konkrete Beispiele um 1900 und 2000 beziehen. Spielt der Wandel von der Industrie zur postindustriellen Stadt eine Rolle im Verständnis der Jahreszeiten? Und welchen Einfluss haben Debatten zum Klimawandel und zu städtischen Wärmeinseln? Mit anderen Worten, brauchen wir die Jahreszeiten für ein besseres Verständnis der Umwelt- und Kulturgeschichte der Stadt?
16.1.2025, 18.30 Uhr
Dr. Alexander Kraus (Institut für Zeitgeschichte und Stadtpräsentation, Wolfsburg):
Wolfsburg. Stadtgeschichte schreiben in der „Stadt ohne Geschichte“
Begaben sich Journalist:innen in der „Wirtschaftswunderzeit“ nach Wolfsburg, um über die sich in bis dato ungekanntem Tempo entwickelnden Stadt am Mittellandkanal zu berichten, so war in ihren Beiträgen zumeist von der „Stadt ohne Geschichte“ die Rede. Ganz gleich ob in Stadt-, Radio- oder Fernsehreportagen – der Tenor war stets derselbe und wurde durch die Kommunalpolitiker in Reden, Interviews oder Festschriften auch selbst aufgegriffen. Wer fortwährend auf die scheinbare Geschichts- und Traditionslosigkeit der eigenen Stadt rekurriert, kann die unrühmlichen Ursprünge als nationalsozialistische Mustersiedlung aussparen, die Kommune als ein Gemeinwesen inszenieren, das ganz der Zukunft zugewandt ist. Doch braucht die Demokratie die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte. Daher ist zu fragen, wie Demokratisierungsprozesse, das Ringen um Partizipations- und Mitbestimmungsrechte, die nur schwer greifbare demokratische Praxis jenseits von Wahlen und politischen Institutionen erforscht, beschrieben und vermittelt werden können.
23.1.2025, 18.30 Uhr
Joana Gelhart, M.Ed. / PD Dr. Christoph Lorke / Tim Zumloh, M.A. (alle LWL-Institut für westfälische Regionalgeschichte, Münster):
„Bitte eine schöne Geschichte schreiben“. Perspektiven einer Gütersloher Stadtgeschichte der Gegenwart
Eine Stadtgeschichte der Gegenwart birgt vielfältige Potenziale: Die Stadt als Nahraum und die jüngste Zeitgeschichte als miterlebte und gegenwärtige Vergangenheit bieten unmittelbare Lebensweltbezüge für die Bürger:innen. Interessierte können nicht nur als Zeitzeug:innen, sondern als Diskutierende mitwirken. Gleichzeitig ergeben sich spezifische Herausforderungen: Wie lässt sich eine Stadtgeschichte schreiben, wenn die Vergangenheit nicht abgeschlossen ist, maßgebliche Debatten noch geführt werden? Wie lassen sich bis heute in der Stadt einflussreiche Personen historisieren? Vom Spannungsverhältnis zwischen akademischer Forschung und städtischen Geschichtsbildern, Auftragsarbeit und wissenschaftlicher Unabhängigkeit, Erwartungshaltungen und Deutungskonkurrenzen berichten die Referent:innen am Beispiel Güterslohs. Dass Stadtgeschichtsschreibung immer auch städtische Machtstrukturen offenlegt, zeigt sich in der Mittelstadt als Ort räumlicher und sozialer Nähe deutlich.