Wie funktioniert mehrsprachige Kommunikation in der Stadt und am Hof zwischen 1200 und 1600? Diese Frage steht im Zentrum der geplanten interdisziplinären und internationalen Fachtagung. Dabei sollen insbesondere Prozesse und Verfahren der Organisation und Reflexion von Kommunikationssituationen, in denen mehrsprachige Kompetenzen gefragt waren, in verschiedenen Domänen mittelalterlicher Gesellschaften im lateinisch orientierten Europa untersucht werden. Einerseits formte die lingua franca der Gebildeten, die lateinische Sprache, einen umfassenden und einheitlichen Sprachraum, andererseits war Europa zugleich räumlich und sozial charakterisiert durch eine fast selbstverständliche Mehrsprachigkeit und Sprachenvielfalt, die unterschiedliche Bereiche der Gesellschaften betraf, verschiedene Sprach- wie Dialektkontakte implizierte und die die Akteur:innen je nach Kontext vor unterschiedliche Herausforderungen stellte.
Der räumliche Fokus der Tagung liegt auf städtischen Räumen und auf weltlichen wie geistlichen Höfen als Knotenpunkten mehrsprachiger Kommunikation, die eine besondere „Dichte der räumlichen, zeitlichen, sozialen und kommunikativen Strukturen und Prozesse“1 aufweisen. Verschiedene Formen der Mehrsprachigkeit können als Analysekriterien dienen, um vormoderne Situationen und damit Untersuchungsfelder zu beschreiben und zu analysieren: ‚Indigene Mehrsprachigkeit‘ bezeichnet eine historisch verankerte Mehrsprachigkeit in einem Raum. Eine ‚kulturorientierte Mehrsprachigkeit‘ beschreibt eine Situation, bei der eine Sprache, wie z. B. das Lateinische, mit einem höheren Status versehen ist und von bestimmten Bevölkerungsgruppen in spezifischen Kontexten verwendet wird, ganz gleich, ob dieser höhere Status vordergründig kulturell, wissenshierarchisch oder religiös begründet wird. Eine eher pragmatisch orientierte ‚berufsbezogene Mehrsprachigkeit‘ betrifft bspw. Kaufleute, die auf die Verwendung anderer Sprachen zur Ausübung ihres Berufs angewiesen sind. Auch fremdsprachige Minderheiten sorgen für Situationen der Mehrsprachigkeit, mit der ein Umgang gefunden werden muss.2 Neben den Städten stellen die Höfe den zweiten Untersuchungsraum der Tagung dar. Als „nodal point[s] of communication“ bilden sie Räume, an denen viele verschiedene Akteure in unterschiedlichen und temporären Konstellationen in mehreren Sprachen ihre eigenen bzw. die Interessen der sie beauftragenden Institutionen durchzusetzen versuchen.3
Solche skizzierten mehrsprachigen Kommunikationssituationen werden in literarischen, historiographischen und auch pragmatisch geprägten Zeugnissen der Schriftlichkeit greifbar. Zugleich sind entsprechende Reflexionen in ‚Paratexten‘ wie Prologen, Vorreden, Exkursen, Kommentaren, Epilogen, Nachworten, Poetiken wie auch Text-Bild-Ensembles zu erforschen, die mehrsprachige Kommunikationssituationen dokumentieren und/oder auslösen (wollen).
Wir freuen uns über Vorschläge für max. 30-minütige Vorträge aus (nicht nur) den folgenden Themenbereichen:
- Mehrsprachigkeit und Mehrschriftlichkeit, z. B. Verbindung verschiedener Schriftsysteme;
- Mehrsprachigkeit in politischen Aushandlungsprozessen, z. B. Schriftpraxis von Kanzleien;
- Mehrsprachigkeit in der Literatur, z. B. Spracherwerb als Mediation;
- Mehrsprachigkeit in transkulturellen Situationen, z. B. Reiseberichte, Diplomatie, Handel;
- Situationen und Medien des Lehrens und Lernens von Fremdsprachen, z. B. Lehrwerke;
- Materialität der Mehrsprachigkeit, z. B. Text-Bild-Konstellationen.
Praktische Informationen: Die Reise- und Übernachtungskosten werden – vorbehaltlich der Förderzusage – übernommen. Arbeitssprachen der Tagung sind Deutsch und Englisch. Bitte senden Sie ein Abstract des geplanten Vortrags (max. 1 Seite) sowie einen knappen akademischen Lebenslauf an mittelalterzentrum@uni-greifswald.de. Bewerbungsschluss ist der 15. November 2024.
Anmerkungen:
1 Diese Definition für mittelalterliche Städte von Selig/Ehrich soll hier auf andere Knotenpunkte ausgeweitet werden; Selig, Maria/Ehrich, Susanne: Einleitung. In: Dies. (Hgg.): Mittelalterliche Stadtsprachen (Forum Mittelalter 11). Regensburg 2016, S. 7–17, hier S. 11.
2 Diese Kategorien beruhen auf Mihm, Arend: Mehrsprachigkeit im mittelalterlichen Köln. In: Selig/Ehrich, Mittelalterliche Stadtsprache, Regensburg 2016, S. 19–44.
3 Vgl. zur Konzeption des Hofes von der Höh, Marc/Jaspert, Nikolas/Oesterle, Jenny Rahel: Courts, Brokers and Brokerage in the Medieval Mediterranean. In: Dies. (Hgg.): Cultural Brokers at Mediterranean Courts in the Middle Ages (Mittelmeerstudien 1). Paderborn 2013, S. 9–32, hier S. 11.