Verboten, verschwiegen, ungehörig? Ein Blick auf Tabus und Tabubrüche

Verboten, verschwiegen, ungehörig? Ein Blick auf Tabus und Tabubrüche

Veranstalter
GIRAF-IFFD (Groupe interdisciplinaire de recherche Allemagne-France/ Interdisziplinäre Forschungsgemeinschaft Frankreich-Deutschland)
Veranstaltungsort
Université Charles-de-Gaulle-Lille 3
Ort
Lille
Land
France
Vom - Bis
08.10.2004 - 09.10.2004
Von
Elsa Kammerer, Amélie Sandoval, Ingrid Streble, Eva Werth

Auch wenn man heutzutage von einem populären Standpunkt aus annehmen könnte, Tabus seien überlebt und nicht in die Zeit passend, wenn Ausdrücke wie “tabulos”, “Tabubruch” und “enttabuisieren” positiv konnotiert sind, handelt es sich bei dem Begriff des Tabus um ein dynamisches, auch in unserer Gesellschaft fortbestehendes Konzept. Kulturelle und soziale Dimensionen des Tabubegriffs “können einerseits als eine universale Erscheinung in allen Kulturen angesehen werden, andererseits muß aber davon ausgegangen werden, daß die jeweiligen Tabubereiche und Tabuthemen in einem hohen Maße kulturabhängig und einem ständigen Wandel unterworfen sind” (Hartmut Schröder). Bei der Definition des Begriffes Tabu lassen sich zwei Grundbedeutungen unterscheiden: In der Völkerkunde handelt es sich um ein Verbot, bestimmte Handlungen auszuführen, insbesondere geheiligte Personen oder Gegenstände zu berühren, anzublicken, zu nennen, bestimmte Speisen zu genießen etc.; in der Bildungssprache versteht man unter Tabu ein ungeschriebenes Gesetz, das auf Grund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft verbietet über bestimmte Dinge zu sprechen, bestimmte Dinge zu tun etc.
Die Forschung widmet der Thematik des Tabus, der Tabubrüche und der Veränderung von Tabus in den modernen westlichen Gesellschaften in den letzten Jahren erhöhte Aufmerksamkeit (vgl. Auswahlbibliografie). Das wissenschaftliche Interesse erstreckt sich dabei auf die verschiedensten Bereiche und umfasst das Ringen um eine aktuelle, unterschiedlichen Disziplinen gerecht werdende Definition des ursprünglich aus der Ethnologie stammenden Tabu-Begriffes.

Im Rahmen des Ateliers möchten wir die Tabuproblematik aus vergleichender deutsch-französischer sowie interdisziplinärer Perspektive untersuchen, ein Ansatz innerhalb der Tabuforschung, der uns neu und vielversprechend erscheint.
Nach einem einführenden Vortrag über die Entstehung und historische Entwicklung des Begriffes Tabu werden die Referenten den Fragen nachgehen, in welchen Bereichen der französischen, deutschen und österreichischen Gesellschaft Tabus aktuell sind, inwiefern sich traditionelle Tabus verändert haben, welche Motivationen Tabus haben, welche Funktion sie erfüllen und welche Strategien die Gesellschaft im Umgang mit Tabus entwickelt. Was tut man nicht? Worüber spricht man nicht? Worüber spricht man nur auf eine bestimmte Art und und Weise? Wie sanktioniert die Gesellschaft Tabubrüche?

Programm

Einführung
Elsa Kammerer et Amélie Sandoval, „Entstehung und Geschichte des Begriffs Tabu“
Moderation: Frank Hoffmann

Vergangenheitsbewältigung

Dirk Weissmann, "Briser le tabou dans le miroir de la littérature étrangère: les lectures françaises de Paul Celan"

Jörg Müller, "Der 'Opfermythos' – die Lebenslüge der österreichischen Republik. Über den Zusammenhang von deutscher Wiedervereinigung und dem Zusammenbruch politischer Tabus in Österreich zu Beginn der 1990er Jahre"

Eduard Mutschelknauss, "Tiefes Schweigen, Scham: Deutsche Komponisten und ihre rassenideologische Deutung im NS-Staat"

Ralf-Olivier Schwarz, "Jacques Offenbachs Orphée aux enfers oder: Dramaturgie der Tabubrüche"

Geschichte und Philosophie der Geschichte
Philippe Lacour, "Retour sur Les tabous de l’histoire".

Josselin Bordat, "Mein Kampf est-il devenu un tabou en Allemagne et en France après 1945?"

Medien
Sabine Seggelke, "Das Private in der Politik – journalistisches Tabu oder verborgene Machtressource?"

Daniel Mirsky, "Satire et tabous : étude comparée de la presse satirique allemande et française des années 1970 à aujourd’hui"

Öffentlichkeit
Eva Werth, "Ungehörige Paradiese: werblich inszenierte Tabubrüche"

Dietmar Wetzel, "Tabus in der Welt der Führungskräfte. Vom Scheitern und der prekären 'Kunst des Abstiegs'"

Theater und Sprache
Anne Monfort, "Montrer ou signifier? Tabou et limites de la représentation chez Frank Castorf et Christoph Schlingensief"

Stefan Tigges, "Tabus der dramatischen Sprache bei Jon Fosse"

Linda Koiran, "Brechen Schriftsteller ausländischer Herkunft in Deutschland ein Sprach-Tabu ?"

Sexualität
Helge Jannink, "Inzest zwischen Aufklärung und Unterhaltung. Betrachtungen des Tabubegriffs im Diskurs über sexualisierte Gewalt"

Ulrike Loch, "Tradierung der nationalsozialistischen Familienvergangenheit in von sexualisierter Gewalt strukturierten Familien nach 1945"

Ingrid Streble, "Pädophilie aus der Sicht eines potentiellen Täters: Christoph Geisers Caravaggio-Roman Das geheime Fieber zwischen Tabu und Tabubruch"

Medizin und Bioethik
Anne-Sophie Paquez, "Quand la science défie les tabous. Analyse comparée de la résistance des tabous liés à l'embryon en France et en Allemagne"

Torsten Junge, "Die Tabuisierung des Todes als soziokulturelle Praxis"

Anna Dückelmann, "Tabus sind relativ"

Kontakt

Elsa Kammerer

Université Charles-de-Gaulle-Lille 3

elsa.kammerer@tiscali.fr

http://www.giraf-iffd.org/index_deutsch.html
Redaktion
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Französisch, Deutsch
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