Welche Antike? Konkurrierende Rezeptionen des Altertums im Barock

Welche Antike? Konkurrierende Rezeptionen des Altertums im Barock

Veranstalter
Wolfenbütteler Arbeitskreis für Barockforschung, Leitung Ulrich Heinen
Veranstaltungsort
Herzog August Bibliothek
Ort
Wolfenbüttel
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.04.2006 - 08.04.2006
Deadline
15.12.2004
Von
Jill Bepler

WELCHE ANTIKE?
Konkurrierende Rezeptionen des Altertums im Barock

Vorbereitung und Leitung des Kongresses: Ulrich Heinen (Wuppertal) in Verbindung mit Guillaume van Gemert (Nijmegen), Johann Anselm Steiger (Hamburg)

Ob in Politik, Religion, Ethik oder Kunst: in den Kontroversdiskussionen des Barock beruft man sich immer wieder auf Antikes. Doch nicht zuletzt die Fülle und Inhomogenität der im 17. Jahrhundert verfügbaren antiken Texte und archäologischen Zeugnisse begünstigte konkurrierende Rezeptionen des Altertums. Oftmals war auch dieselbe Quelle Anlaß für Auseinandersetzungen. So erscheinen die Brüche und Widersprüche der barocken Kontroversen immer wieder als Spiegel der Multiplizität antiker Welten sowie der unterschiedlichen Herangehensweisen an antike Überlieferungen und Relikte.
Diese doppelte Kontroversstruktur von antiken und daran anschließenden barocken Konflikten untersucht der Kongreß erstmals im interdisziplinären Zusammenhang als Paradigma barocker Antikenrezeption. Dies wird dadurch begünstigt, daß die Erforschung der Antikenrezeptionen die lange vorherrschenden und ihrerseits in die Frühe Neuzeit zurückdatierenden Dichotomierungen von Antikenrezeption versus Naturnachahmung oder versus Christentum längst relativiert hat und in jüngerer Zeit zunehmend das frühneuzeitliche Bewußtsein für die Heterogenität der rezipierten Antike berücksichtigt. Sowohl in den prononcierten Bezugnahmen auf antike Sonderwege und in der Betonung konkurrierender Rezeptionen als auch in den vor allem gegen Ende des 17. Jahrhunderts dominierenden Versuchen zur Homogenisierung des Widersprüchlichen in historisierenden und hierarchisierenden Systemen scheint die Alterität verschiedener Antiken und ihrer unterschiedlichen Rezeptionen als Wurzel frühneuzeitlicher Alterität auf.
Nur im Gespräch über Fächergrenzen hinweg läßt sich die Bedeutung ermessen, die der Entdeckung der potentiellen Pluralität der Antike für das Barock insgesamt zukommt. So bietet die Frage, welche Antike in den konkurrierenden barocken Rezeptionen des Altertums jeweils gemeint war oder rekonstruiert wurde, reiche Anlässe für Interdisziplinarität, wie sie für Wolfenbütteler Barockkongresse seit je selbstverständlich ist.
In vier Sphären sollen konkurrierende Antikenrezeptionen kontrastiert und in ihren Diskurszusammenhängen rekonstruiert werden: Politik und Gesellschaft, Religion und Konfession, Ethik und Lebensweisen sowie schließlich die Sphäre der antik begründeten Künste. Zu jeder dieser Sphären haben sämtliche Disziplinen der Frühneuzeitforschung etwas beizutragen. So können etwa Geschichtswissenschaft, Kultur- und Literaturgeschichte, Neolatinistik, Archäologiegeschichte, Philosophiegeschichte, Historische Theologie, Wissenschaftsgeschichte, Kunst-, Musik- und Theatergeschichte Wichtiges einbringen sowohl zur Begründung frühneuzeitlicher Machtansprüche aus antiken Quellen als auch zu Fragen der antik begründeten frühneuzeitlichen Konzeptionen vom guten Leben oder vom wahren Glauben. Und auch bei einer Rekonstruktion der konkurrierenden Antikenrezeptionen in den Kunstkontroversen des Barock wirken viele Disziplinen zusammen, zumal wenn man hierbei die in der Frühen Neuzeit noch nicht vollständig ausdifferenzierte Einbettung der schönen Künste in die antike Tradition der techne beziehungsweise der artes einbezieht. Spannende Bezüge zu Kunst-, Musik- und Dichtungstheorie und -praxis können hier möglicherweise sogar die widersprüchlichen antiken Traditionen der im 17. Jahrhundert entwickelten Naturforschungen aufweisen.
Besonders klar wird sich die doppelte Kontroversstruktur von antiken und daran anschließenden barocken Konflikten in der Sektion zur Rezeption antiker Gemeinschaften und Herrschaftsformen abzeichnen. Von der politischen Traktatliteratur bis zur Präsentation und Repräsentation von Herrschaft und gesellschaftlicher Identität, vom imperialen bis zum nationalen, vom monarchischen bis zum republikanischen Prinzip sind die Widersprüche frühneuzeitlicher Machtansprüche in den Kontroversen der antiken Legitimationsbasis vorgezeichnet. Zu fragen ist hier etwa: Wie wurde diese kontroverse Legitimation reflektiert und inszeniert? Wie wurden die antiken Begründungsmuster an die vielfältigen und widersprüchlichen neuen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen adaptiert? Welche Methoden und Formen symbolischer Kommunikation von Macht trugen hierzu bei?
Einen besonderen Akzent wird die Rezeption der spätantiken Religionen und Kulturen in den Konfessionen des 17. Jahrhunderts setzen. Gibt es inter- und intrakonfessionell unterschiedliche Rezeptionsweisen derselben antiken Quellen? Welche Rolle spielt der Umgang mit archäologischen Zeugnissen des antiken Christentums in den Religionskontroversen des Barock? Wie werden antike Vermittlungsmethoden wie Rhetorik oder Bildrhetorik in den Religionen des Barock rezipiert und bewertet? Wie verhalten sich die Religionen des 17. Jahrhunderts zu den spätantiken Religionen vom frühen Christentum bis zum Judentum und den heidnischen Religionen? Besonders die in den letzten Jahren gewachsene Bedeutung der Archäologiegeschichte sowie der Forschung zur historischen Rezeption der Kirchenväter im 17. Jahrhundert kommt hier zum Tragen.
Leitziel des Kongresses ist aber die transdisziplinäre Verklammerung der Erforschung der kontroversen europäischen Barockkultur. Besonders erwünscht sind daher Beiträge zur Erschließung bzw. Thematisierung von bislang nicht oder wenig beachteten Quellen und innovativen Aspekten, bei denen im Blick aufs Detail Übergreifendes sichtbar wird.

Vorgesehen sind die im folgenden genannten Sektionen:

Sektion I: Antike Gemeinschaften und Herrschaftsformen im gesellschaftlichen Streit des Barock
Sektion II: Spätantike Religionen und Bildungstraditionen als Argumente religiöser Identitäten im Barock
Sektion III: Antike Lebenskonzepte als Konkurrenzmodelle im Barock
Sektion IV: Antike Künste in den Kunstkontroversen des Barock

Für alle Sektionen sowie zu übergreifenden Thematiken werden Anmeldungen für Referate (bis zu 20 Minuten) erbeten.

Programm

Kontakt

Jill Bepler

Herzog August Bibliothek

05331-808-266
bepler@hab.de

http://www.hab.de/forschung/arbeitskreise/barockkongress06.htm