Die Macht der Dinge

Die Macht der Dinge

Veranstalter
Professur Geschichte und Theorie Künstlicher Welten, Fakultät Medien, Bauhaus-Universität Weimar
Veranstaltungsort
Bauhaus-Universität Weimar
Ort
Weimar
Land
Deutschland
Vom - Bis
23.04.2009 - 25.04.2009
Deadline
31.07.2008
Von
Professur Geschichte und Theorie Künstlicher Welten

Call for Papers für die
Internationale Konferenz
Die Macht der Dinge

Deadline: 31.7.2008

Die medien- und kulturwissenschaftliche Forschung der letzten Jahrzehnte stellt eine Auffassung in Frage, die Handeln auf das beschränkt, was Subjekte intentional oder mit Sinn tun, und schlägt daher eine neue Konzeption dessen vor, was es heißt zu handeln. An einer Handlung sind stets mehr Akteure beteiligt, als auf dem Schauplatz oder in der sozialen Situation sichtbar werden, doch die Gesamtheit der Zwischenglieder und Medien, die eine konkrete Situation gestalten, verschwanden in der Vergangenheit häufig in der black box des globalen Kontextes. Nach einer Welle kulturkritischer Verwerfungen der Dinge zugunsten des Sinns, der Bedeutung, des Symbols und des ›kommunikativen Handelns‹, nach dem Ende der Hochzeit marxistischer und phänomenologischer Kritik an der entmenschlichenden Verdinglichung sowie an den unterschiedlichsten Fetischismen rücken nicht-menschliche Wesen – zuletzt vor allem durch Anstöße aus dem Feld der science studies – in den Mittelpunkt der medien- und kulturwissenschaftlichen Theoriebildung. Unter den nachfolgenden vier zentralen Gesichtspunkten möchte die Konferenz das Potenzial einer am Leitfaden alter und neuer Dinge orientierten Kultur- und Mediengeschichte ausloten und sich dabei zugleich mit den Bedenken gegen die Wiederkehr eines »Hylozoismus« auseinandersetzen:

1. Handlungsmacht der Dinge – das Dispositiv: Im Anschluss an Michel Foucaults diskurs- und machtanalytische Untersuchungen ist ein Begriff des Dispositivs als eines »multilinearen Ensembles« (Deleuze) erarbeitet worden, das sichtbare Objekte neben formulierbaren Aussagen, zur Anwendung kommenden Kräften und in Position befindlichen Subjekten enthält, ohne dass einer dieser grundlegenden Dimensionen im Verhältnis zu den anderen ein Vorrecht zukäme. Der Begriff des Dispositivs wird inzwischen in unterschiedlichen medienwissenschaftlichen Feldern herangezogen, um das Zusammenwirken technisch-apparativer, institutioneller und sinnhafter Faktoren zu beschreiben. Neben der prominenten Stellung der Dinge im gouvernementalen Regierungshandeln (Foucault) und einer aufschlussreichen theologischen Vorgeschichte des Dispositivbegriffs (Agamben) steht vor allem die Frage nach der Subjektivierungs- und Handlungsmacht ›disponierender‹ und ›disponierter‹ Dinge im Zentrum der jüngsten Diskussion. Bruno Latours »andere Definition der Politik« schließt an die moderne wissenschaftlich-technische und ökonomische Mobilisierung der Dinge an, um sie vom Feld der Regierungsmächte auf das einer republikanischen Neuzusammensetzung der Kollektive zu übertragen und so einen Rekrutierungsprozess neuer Kandidaten für das gemeinsame Leben in Gang zu setzen.

2. Ein neuer Begriff des Sozialen: Im Anschluss an Latours Ausweitung des ursprünglich auf den Bereich lokaler Stätten der Wissensproduktion (Laborstudien) beschränkten Instrumentariums der ANT auf die Analyse der Funktionsweise von ganzen Gesellschaften ist ein neuer Begriff des Sozialen vorgeschlagen worden, der es als einen Verknüpfungstyp zwischen Personen, Zeichen und Dingen begreift, die ihrerseits nicht sozial sind. Aufs neue stellt sich also die scheinbar seit Durkheim beantwortete Frage, ob es einen spezifischen Typ von Phänomenen gibt, die es rechtfertigen, sie als soziale prinzipiell von anderen zu unterscheiden: Ist das Soziale als Sphäre sui generis aufzufassen, als eine spezifische Art von Material, das die kollektive Ordnung hervorbringt oder zusammenhält? Gegen die Vorstellung einer autopoietischen Logik des Sozialen, das sich in Systemen verdichtet, schlägt eine »neue Soziologie« vor, keinerlei Vorabdefinitionen ihres Gegenstands vorzunehmen oder aus anderen (z.B. biologischen) Wissensfeldern zu übernehmen. Stattdessen versucht sie nachzuzeichnen, was alles zusammenkommen muss, damit ein soziales Gefüge entsteht, eine überraschende soziale Erfindung gemacht wird oder sich ein neues Kollektiv versammelt. Es fragt sich, ob der Verzicht auf Begriffe wie »Gesellschaft«, »Macht«, »Struktur«, »Kontext« oder »System« dokumentierbare und damit technisch präzisere Antworten auf die Frage ermöglicht, woraus die soziale Welt zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt eigentlich besteht bzw. wie sie jeweils im einzelnen hervorgebracht wird.

3. Ästhetik der Dinge: Der philosophischen und soziologischen Marginalisierung der Dinge wäre die intensive Auseinandersetzung mit ihnen in der Semiologie, der Ästhetik und den Künsten gegenüberzustellen. Bereits Roland Barthes frühe Überlegungen zu einer »Semantik des Objekts« haben gezeigt, dass die Reduktion von Objekten auf ihre instrumentelle Funktion der Erkenntnis widerspricht, dass kein Objekt von einem gewissen »Funktionszusatz«, einer »leichten Emphase« frei ist, die sich zuweilen sogar zu spektakulären Erscheinungsformen oder Auftritten steigern kann. Das Erscheinen der Dinge ist auf der anderen Seite untrennbar von der Praxis und der Rhetorik des Dokumentarischen, die einen spezifischen Wirklichkeitseffekt produziert: Scheinbar bedeutungslose Details werden auf eine Weise dargeboten, dass sie, indem sie sich jeder unmittelbaren Bedeutungszuweisung entziehen, zugleich die Bedeutung des Wirklichen annehmen. Der Eigensinn des Wirklichen, der jede Vorstellung einer – z.B. diegetischen – Funktion Lügen zu strafen scheint, wird nicht nur in der »realistischen Unbedeutsamkeit« oder »Gleich-Gültigkeit« (Rancière) des ›unnötigen‹, aber lesbaren Details erfahrbar; er macht sich auch bemerkbar in den Projekten einer umfassenden Sammlung und Katalogisierung bzw. lexikographischen Erfassung der Dinge. Diese Projekte sind keineswegs allein auf archivalische oder museologische Techniken beschränkt, sondern spielen auch im Bereich der bildenden Kunst mit ihren Bilder-, Foto- und Dingkatalogen eine eminente Rolle. Die künstlerischen Formen inszenieren zudem den unheimlichen, gespenstischen oder absurden Eigensinn der Dinge. Formate des Stilllebens ebenso wie bestimmte literarische (Nouveau Roman) oder filmische (Nouvelle Vague) Experimente sind charakteristische Erkundungen im Reich der Dinge, die jede narrative Ökonomie suspendieren.

4. Geschichten der Dinge: Die diskursiven Formen, die auch und gerade unter den Bedingungen der Moderne erlaubten, der Macht der Dinge – wenn auch in negativer Absicht – Rechnung zu tragen, lassen den Fetischismus zu einem seit dem 19. Jahrhundert zunehmend entgrenzten Titel für eine pathologische, irrationale, abergläubische, ja perverse Objektbeziehung avancieren. Diese gilt es in kritischer Absicht zu überwinden, damit der sogenannte Mensch sich selbst ganz zurückgegeben werden kann. Die Frage nach der Funktion nicht-menschlicher Wesen für den Aufbau und die Strukturierung sozialer und kultureller Ordnungen kann offensichtlich nicht abgelöst werden von der Geschichte der großen Kontroversen um den Status magischer oder sakraler Gegenstände, Reliquien, Idole oder Heiligenbilder, in denen Dinglichkeit und Bedeutung, Symbol und Referent unlösbar verbunden und in Praktiken kultischer Verehrung eingebunden sind. Die sozialtheoretische Kritik – von klassisch marxistischer Seite – am »Fetischcharakter der Ware« ebenso wie – von phänomenologischer und neomarxistischer Seite – an der »gespenstischen Gegenständlichkeit« kapitalistischer Produktionsverhältnisse, an der Verdinglichung bzw. Kommodifizierung des Sozialen erweisen sich aus dieser Perspektive als Fortschreibungen des religionskritischen Entzauberungsdiskurses. Die solcherart aufgeladene »neue Dinghaftigkeit« wird in den Diskursen der Psychiatrie als ein pathologisches Phänomen beschrieben, das das ihr ausgelieferte Subjekt in Zustände des Taumels, des Rauschs und der Ekstase versetzt – mit den daran anschließenden Möglichkeiten der sozialen und politischen Kapitalisierung dieser Affektzustände (z.B. Masseneuphorie bzw. -panik). Erst mit der Psychoanalyse entsteht ein Konzept der »Objektbeziehung« und der »Objektwahl«, das die Objekte auf ihre Konstitutionseffekte für das Subjekt befragt und damit jeder Möglichkeit einer rein ›inter-subjektiven‹ Beziehungsanalytik, sei diese nun sozialtheoretisch oder psychologisch gemeint, widerspricht.

Zu den skizzierten Fragestellungen auf dem Feld einer Medien- und Kulturgeschichte der Dinge werden abstracts im Umfang von maximal einer Druckseite erbeten, die zusammen mit einem kurzen akademischen Lebenslauf bis zum 31. Juli 2008 an die e-mail-Adresse welten@medien.uni-weimar.de gesendet werden können. Bewerber erhalten ab dem 1. September Rückmeldung über die Annahme ihres Beitrags.

Programm

Kontakt

von Schöning

Fakultät Medien, Bauhausstrasse 11, 99423 Weimar

welten@medien.uni-weimar.de

http://www.uni-weimar.de/medien/kuenstlichewelten/