Prävention und Gesundheitsförderung in der Geschichte der Medizin

Prävention und Gesundheitsförderung in der Geschichte der Medizin

Veranstalter
Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung
Veranstaltungsort
Ort
Stuttgart
Land
Deutschland
Vom - Bis
28.04.2010 - 30.04.2001
Deadline
15.01.2010
Von
Susanne Hoffmann

Vorbeugen ist besser als heilen! Diese Devise, die auf Hippokrates zurückgehen soll, war in ganz unterschiedlichen Epochen der europäischen Medizingeschichte aktuell. Zu denken ist an die Diätetik, die Lehre von der gesunden Lebensweise, die mehr als 2000 Jahre die praktische Medizin leitete. Unter dem Motto, dass Vorbeugung die beste Medizin sei, polemisierten Anhänger der Naturheilkunde, um ein anderes Beispiel zu nennen, im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert gegen die Schulmedizin, die sich ihrer Meinung nach viel zu einseitig auf die Therapie verengt hatte. Gleichzeitig bemühten sich Mediziner, die Übertragung von Geschlechtskrankheiten oder der Tuberkulose im Namen der Eugenik zu verhüten. Und heute macht das Bundesministerium für Gesundheit, mit seiner laufenden Präventionskampagne „Jeden Tag 3000 Schritte extra“, den deutschen Bewegungsmuffeln in diesem Sinn Beine.

Prävention und Gesundheitsförderung in der Geschichte der Medizin ist das Thema des 29. Fortbildungsseminars, das vom 28. bis 30. April 2010 am Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung in Stuttgart stattfinden wird. Prävention und Gesundheitsförderung sind vergleichsweise junge Begriffe, die in ihrer heutigen Bedeutung in der gesundheitspolitischen Debatte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geprägt wurden. Prävention, ursprünglich ein rechtswissenschaftlicher Ausdruck, umfasst alle möglichen Maßnahmen, die der Krankheitsvorbeugung und -verhütung dienen. Diese können sowohl vor Krankheitseintritt stattfinden (Primärprävention) als auch danach durch Früherkennung (Sekundärprävention) oder Rückfallprophylaxe (Tertiärprävention). Krankheitsprävention ist also eher pathogenetisch, d. h. auf Entstehung und Entwicklung von Krankheiten hin orientiert, während Gesundheitsförderung für eine salutogenetische Perspektive steht. Gesundheitsförderung ist ein Terminus technicus der WHO, für alle nicht-therapeutischen Maßnahmen zur Verbesserung der Gesundheit. In früheren Zeiten sprach man stattdessen von Hygiene oder Fürsorge, von Verhütung oder Vorbeugung. Welche Formen – Praktiken und Diskurse – Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung in der Vergangenheit einnahmen, und weshalb dies so war, soll während des Seminars diskutiert werden.

Ein breites Spektrum an Handlungsfeldern kommt als Untersuchungsgegenstand in Frage. Zu denken ist zuvorderst an das Gesundheitsverhalten von Männern und Frauen oder die individuelle Verhaltensprävention, um mit der Terminologie der Gesundheitswissenschaftler zu sprechen, denn darüber wissen wir bislang viel zu wenig. Selbstzeugnisse können hier weiterführen. Auch manche Akten, zum Beispiel von Spitälern, Waisenhäusern oder Vereinen, mögen einschlägige Erkenntnisse bringen. Selbst normative oder präskriptive Quellen wie medizinisch-diätetische Ratgeber oder politische Programmatiken können aufschlussreich sein, wenn gleichzeitig ihre Umsetzung, Rezeption oder Aneignung berücksichtigt wird. Inwiefern Geschlecht, soziale Schicht, Religion oder Generation die Individualprävention beeinflussten, sind mögliche Fragestellungen.

Ein anderes wichtiges Handlungsfeld ist die so genannte Verhältnisprävention. Dabei handelt es sich um alle Maßnahmen, die an den gesellschaftlichen Lebensverhältnissen ansetzen. Seuchenhygiene, Städteassanierung oder die Entwicklung des Sozialversicherungswesens, um einige Felder zu nennen, sind von Seiten der Wirtschafts- und Sozial-, Politik- oder Stadtgeschichte bereits relativ gut erforscht worden. Interessant wäre auch in diesem Zusammenhang mehr über deren konkrete Umsetzung vor Ort zu erfahren, etwa in lokal- oder mikrohistorischen Detailstudien.

In den genannten Handlungsfeldern wurden ganz unterschiedliche Personen und Personengruppen für Prävention und Gesundheitsförderung aktiv. Ärzte sind in der Medizingeschichte gewöhnlich eine viel beachtete Gruppe (das gilt eingeschränkt auch für Ärztinnen). Wir möchten deshalb besonders zu Beiträgen auffordern, in denen andere Akteure wie etwa Pflege-, Fürsorge- oder Lehrpersonal oder Kleriker im Mittelpunkt stehen – und vor allem die „Patientinnen“ und „Patienten“, im Sinne einer zur Gesundheitsgeschichte erweiterten Patientengeschichte.

Auf dem Fortbildungsseminar sind Beiträge zu allen Epochen und Kulturräumen willkommen. Teilnehmen können Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen, aus der Geschichtswissenschaft und Medizingeschichte ebenso wie beispielsweise der Ethnologie, Volkskunde (Empirische Kulturwissenschaft), Literatur- oder Religionswissenschaft.

Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge zum Thema!

Für die Vorbereitungsgruppe des 29. Stuttgarter Fortbildungsseminars,
Susanne Hoffmann

Organisatorisches

Das Stuttgarter Fortbilungsseminar ist weder der Form noch seinem Ziel nach eine klassische Fachtagung. In den fast 30 Jahren seines Bestehens hat es sich zu einem interdisziplinären Forum entwickelt. Nicht die Vorstellung eigener Forschungsergebnisse steht im Vordergrund, sondern die Auseinandersetzung mit einem gemeinsamen Thema. Daher sind neue methodische Herangehensweisen, Fragestellungen oder Thesen und Ideen eher gefragt als perfekt ausgearbeitete Präsentationen. Die Literaturliste ist dementsprechend nur als Anregung gedacht, keinesfalls als Pflichtlektüre. Vor Beginn der Tagung werden Thesenpapiere zu den einzelnen Beiträgen an alle Teilnehmenden versandt, um eine Vorbereitung auf die Vorträge zu ermöglichen. Für jeden Beitrag wird genügend Diskussionszeit zur Verfügung stehen. Damit die Möglichkeit besteht, sich auf Vorangegangenes zu beziehen und inhaltlich aufeinander aufzubauen, ist es unbedingt erforderlich, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer während des gesamten Seminars anwesend sind. Das Seminar findet vom 28. bis 30. April 2010 in Stuttgart statt. Die Anreise ist bereits am 27. April. Anmelden können sich sowohl Einzelpersonen als auch Arbeitsgruppen (vorzugsweise zu zweit). Die Teilnehmerzahl ist auf 15 Personen begrenzt.

Die Gestaltung des endgültigen Programms und die Diskussionsleitung liegen in den Händen einer Vorbereitungsgruppe, die am Ende des Fortbildungsseminars für das jeweils nächste Jahr gewählt wird. Für das 29. Fortbildungsseminar haben sich Tamara Scheer (Wien), Astrid Stölzle (Worms), Nicole Schweig (Hamburg) und Susanne Hoffmann (Stuttgart) bereit erklärt. Die Vorbereitungsgruppe wählt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in einem anonymisierten Verfahren aus den eingegangenen Anmeldungen aus.

Pro Vortrag stehen 45 Minuten zur Verfügung (20 Min. Vortrag, 25 Min. Diskussion), Arbeitsgruppen haben eine Stunde Zeit. Tagungssprache ist Deutsch, Vorträge können auch auf Englisch gehalten werden. Die Teilnahme an dem Fortbildungsseminar wird vom Stuttgarter Institut finanziert, das schließt die Übernachtungen, gemeinsame Mahlzeiten und Bahnreisen 2. Klasse (alternativ günstiger Flug mit Frühbucherrabatt) ein. Kosten für eine Anreise mit PKW können leider nicht übernommen werden.

Anmeldung

Ein Exposé von max. 20 Zeilen, aus dem der Titel, Fragestellung, Methoden und die verwendeten Quellen hervorgehen, schicken Sie bitte bis zum 15. Januar 2010 per Post oder e-Mail an Susanne Hoffmann, Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Straußweg 17, D-70 184 Stuttgart (susanne.hoffmann@igm-bosch.de). Außerdem sollen Ihr Name, Ihre Anschrift und e-Mail sowie kurze Angaben zu Ihrem fachlichen Hintergrund (Studienfächer und -abschlüsse) und ggf. zu Ihrer derzeitigen Position aus dem Exposé hervorgehen.

Literatur

Ayaß, Wolfgang, Reimar Gilsenbach, Ursula Körber u. a.: Feinderklärung und Prävention. Kriminalbiologie, Zigeunerforschung und Asozialenpolitik, Berlin 1988 (Beiträge zur nationalsozialistischen Gesundheits- und Sozialpolitik 6).
Bartens, Werner: Vorsicht Vorsorge! Wenn Prävention nutzlos oder gefährlich wird, Frankfurt / M. 2008.
Baufeld, Christa (Hg.): Gesundheits- und Haushaltslehren des Mittelalters, Frankfurt / M. u. a. 2002 (Beiträge zur Mittelalterforschung 1).
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (Hg.): Leitbegriffe der Gesundheitsförderung. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden der Gesundheitsförderung, Schwabenheim a. d. Selz 52004.
Dinges, Martin (Hg.): Medizinkritische Bewegungen im Kaiserreich (ca. 1870-ca. 1933), Stuttgart 1996 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte, Beihefte 9).
Elkeles, Thomas, Jens-Uwe Niehoff, Rolf Rosenbrock u. a. (Hg.): Prävention und Prophylaxe. Theorie und Praxis eines gesundheitspolitischen Grundmotivs in zwei deutschen Staaten 1949-1990, Berlin 1991.
Geene, Raimund: AIDS-Politik. Ein Krankheitsbild zwischen Medizin, Politik und Gesundheitsförderung, Frankfurt /M. 2000.
Hardy, Anne: Ärzte, Ingenieure und städtische Gesundheit. Medizinische Theorien in der Hygienebewegung des 19. Jahrhunderts, Frankfurt / M., New York 2005, Frankfurt / M., New York 2005.
Hoffmann, Susanne: Gesundheit und Krankheit bei Ulrich Bräker (1735-1798), Dietikon 2005 (Zürcher Medizingeschichtliche Abhandlungen 297).
Kolip, Petra, Frauke Koppelin: Geschlechtsspezifische Inanspruchnahme von Prävention und Krankheitsfrüherkennung, in: Klaus Hurrelmann, Petra Kolip (Hg.): Geschlecht, Gesundheit und Krankheit. Männer und Frauen im Vergleich, Bern u. a. 2002, S. 491-504.
Labisch, Alfons: Experimentelle Hygiene, Bakteriologie, Soziale Hygiene. Konzeptionen, Interventionen, Soziale Träger – Eine idealtypische Übersicht, in: Jürgen Reulcke, Adelheid Gräfin zu Castell Rüdenhausen (Hg.): Stadt und Gesundheit. Zum Wandel von „Volksgesundheit“ und kommunaler Gesundheitspolitik im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart 1991, S. 37-48.
Hüntelmann, Axel: Hygiene im Namen des Staates. Das Reichsgesundheitsamt 1876-1933, Göttingen 2008.
Labisch, Alfons: Homo Hygienicus. Gesundheit und Medizin in der Neuzeit, Frankfurt / M., New York 1992.
Lachmund, Jens, Gunnar Stollberg: Patientenwelten. Krankheit und Medizin vom späten 18. bis zum frühen 20. Jahrhundert im Spiegel von Autobiographien, Opladen 1995.
Mikkeli, Heikki: Hygiene in the early modern medical tradition, Helsinki 1999.
Musée d’Histoire de la Ville de Luxembourg (Hg.): „Sei sauber…!“. Eine Geschichte der Hygiene und öffentlichen Gesundheitsvorsorge in Europa, Köln 2004.
Regin, Cornelia: Selbsthilfe und Gesundheitspolitik. Die Naturheilbewegung im Kaiserreich (1889 bis 1914), Stuttgart 1995 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte, Beihefte 4).
Roeßiger, Susanne, Heidrun Merck (Hrsg.): Hauptsache gesund! Gesundheitsaufklärung zwischen Disziplinierung und Emanzipation, Marburg 1998.
Sarasin, Philipp: Reizbare Maschinen. Eine Geschichte des Körpers 1765-1914, Frankfurt / M. 2001.
Stolberg, Michael: Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit, Köln, Weimar, Wien 2003.
Stöckel, Sigrid, Ulla Walter (Hg.): Prävention im 20. Jahrhundert. Historische Grundlagen und aktuelle Entwicklungen in Deutschland, Weinheim, München 2002.
Vossen, Johannes: Gesundheitsämter im Nationalsozialismus. Rassenhygiene und offene Gesundheitsfürsorge in Westfalen 1900-1950, Essen 2001 (Düsseldorfer Schriften zur Neueren Landesgeschichte und zur Geschichte Nordrhein-Westfalens 56).
Wachinger, Burghart: Erzählen für die Gesundheit. Diätetik und Literatur im Mittelalter, Heidelberg 2001 (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 23).
Wolf, Maria: Eugenische Vernunft. Eingriffe in die reproduktive Kultur durch die Medizin 1900-2000, Wien, Köln, Weimar 2008.
Wolff, Eberhard: Einschneidende Maßnahmen. Pockenschutzimpfung und traditionelle Gesellschaft im Württemberg des frühen 19. Jahrhunderts, Stuttgart 1998 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte, Beihefte 10).
Weiss Adamson, Melitta: Medieval Dietetics. Food and Drink in Regimen Sanitatis Literature from 800 to 1400, Frankfurt / M. 1995 (German Studies Canada 5).
Wischhöfer, Bettina: Krankheit, Gesundheit und Gesellschaft in der Aufklärung. Das Beispiel Lippe 1750-1830, Frankfurt / M., New York 1991 (Forschungsberichte des Instituts für Bevölkerungsforschung und Sozialpolitik (IBS) Bielefeld 19).
Witzler, Beate: Großstadt und Hygiene. Kommunale Gesundheitspolitik in der Epoche der Urbanisierung, Stuttgart 1995 (Medizin, Gesellschaft und Geschichte, Beihefte 5).

Programm

Kontakt

Susanne Hoffmann

Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftun
Straußweg 17, 70184 Stuttgart
0711-46084-163

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