In/Stabilitäten – Prozessualität in den Science and Technology Studies

In/Stabilitäten – Prozessualität in den Science and Technology Studies

Veranstalter
Katharina Kinder / Carsten Ochs / Christian Vogel, Institut für Kulturforschung, Heidelberg
Veranstaltungsort
Technische Universität Darmstadt, LOEWE Schwerpunkt Eigenlogik der Städte, S4|13 301, Bleichstraße 2, 64283 Darmstadt
Ort
Darmstadt
Land
Deutschland
Vom - Bis
02.12.2011 - 03.12.2011
Deadline
21.10.2011
Website
Von
Christian Vogel

Die Arbeiten, die in den letzten gut 30 Jahren im Bereich der Science and Technology Studies entstanden sind, haben einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, das Verständnis von Stabilität und Instabilität in Bezug auf Objekte und Subjekte einer kritischen Revision zu unterziehen. In bewusster Abwendung von sozialkonstruktivistischen Ansätzen der Wissenschaftsforschung wurde versucht, den jeweiligen Untersuchungsgegenstand nicht in einen stabilen sozialen Kontext einzustellen, um von dort aus Erklärungen für das Handeln der Akteure abzuleiten, sondern gerade die Koproduktion von 'content' und 'context' zu betonen. Damit verschob sich nicht nur die Perspektive weg von unilinearen und großangelegten Kausalzusammenhängen (der soziale Kontext, das Subjekt) hin zu immer kleinteiligeren Settings, in denen sich alle Positionen – Aussagen, Konzepte, Objekte, Subjekte – relational und epistemologisch symmetrisch zueinander ausbilden; zudem wurde auch die Gültigkeitsdauer dieser neuen ‚unreinen‘ Verbindungen radikal herabgestuft. Die Aufmerksamkeit richtete sich auf örtlich sowie zeitlich höchst ‚punktualisierte‘ Anordnungen. Dauer, Stabilität und Geschlossenheit von technowissenschaftlichen Objekten wurden nicht mehr als eine unhintergehbare Voraussetzung betrachtet, sondern als Effekt der Ausbildung heterogener Netzwerkstrukturen. Solche Effekte und Resultate, so die empirisch geleitete Annahme, bedürfen gleichwohl einer machtvollen Durchsetzung und andauernder Aufrechterhaltung – es gilt daher, diese Vorgänge des Werdens und Stabilisierens als Prozesse genauer in den Blick zu nehmen, mithin Prozessualität analytisch ernst zu nehmen.

Am konsequentesten wurde dieser Versuch vielleicht durch die VertreterInnen der Akteur-Netzwerk- Theorie vorangetrieben. Während diese zunächst v.a. die Prozesse der Stabilisierung von Wissen, Objekten, Dingen, Relationen und Akteuren in den analytischen Blick nahmen, tauchte in den letzten zwei Jahrzehnten vermehrt die Rede von der andauernden „Flüssigkeit“ und „Multiziplität“ von Entitäten, Praktiken und soziotechnischen Formen auf. Neben den Mechanismen ihrer Stabilisierung wird damit vor allem die Art und Weise ihres ständigen Transfers, ihres Hinübergleitens in neue Netzwerkrelationen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Solche Wechsel von einer soziotechnischen Konstellation in eine andere sind diesen Studien zufolge als permanente ontologische Verschiebungen zu verstehen, die den Kern eines technowissenschaftlichen Objektes betreffen und ihn (immer wieder) neu konstituieren und ausrichten.

Ausgehend von diesen Neuperspektivierungen möchte der Workshop nach dem Verhältnis von Stabilität und Instabilität technowissenschaftlicher Objekte fragen. Die Ausrichtung des Workshops setzt dabei auf zwei Postulate: Erstens, dass Subjekte, Objekte und mit diesen verbundenes Wissen und Wirken immer nur relational zu ihrem jeweiligen ontologischen Status ausgebildet werden; und zweitens, dass die fraglichen Relationen selbst grundsätzlich als prozessuale gedacht werden müssen. Doch ist es überhaupt möglich, eine so verstandene Prozessualität empirisch zu beobachten und analytisch darzustellen? Wie lassen sich Dinge, Objekte und Relationen überhaupt beobachten und beschreiben, wenn davon ausgegangen wird, dass diese nie „stillhalten“?

Legt man den Schwerpunkt auf diese Wechsel der Netzwerkverbindungen, in die die Objekte relational eingebunden werden und die immer mit ihrer Destabilisierung und anschließender

Stabilisierung und Neuausrichtung einhergehen, so lassen sich verschiedene Analyse-Bereiche ausweisen. Folgende möchten wir vorschlagen:

- Räumlicher Transfer und In/Stabilitäten: Während es zunächst hauptsächlich das Labor war, welches als analytische Kategorie wie auch als etnographic site der Produktion von natur- und ingenieurswissenschaftlichem Wissen fungierte und als Raum konzipiert wurde, in welchem die Stabilisierungsprozesse von technowissenschaftlichen Objekten stattfinden, wurde in den letzten Jahren immer deutlicher, dass die fraglichen Prozesse dort nicht zum Abschluss oder Stillstand kommen. Empirische (deLaet, Mol) und methodologische Arbeiten (Hine) hierzu liegen vor, doch bleibt die Frage aktuell: Was passiert mit technowissenschaftlichen Objekten, sobald sie die Labormauern passieren und sich in andere Bereiche (kulturell, topologisch) ausdehnen, d.h. wenn sie die soziotechnische Konstellationen wechseln, in die sie zunächst konstitutiv eingebunden waren?

- Dauer-Wandel soziotechnischer Konstellationen: Daneben stellt sich die Frage, was mit Objekten des Wissens und technischen Dingen passiert, wenn sich die soziotechnischen Konstellationen selbst permanent wandeln, wie es für immer stärker „projekt-ifizierte“ (im Sinne Boltanskis/Chiapellos) Formationen angenommen werden muss. Auch solcher Wandel wurde in den science and technology studies durchaus ernst genommen und als Ambivalenz, Komplexität, Post-Netzwerk-Sozialität thematisiert (Michael, Singleton, Law, Knorr-Cetina & Preda). Denkbar wäre, dass solche zeitgenössischen Arbeiten von solchen flankiert werden, in denen die ‚Biographien wissenschaftlicher Objekte und technischer Dinge‘ in den Blick genommen und ihre jeweiligen ontologischen Neufassungen in einem chronologischen Zugang thematisiert werden.

- Epistemologische Konsequenzen von Prozessualität: Es ist zu vermuten, dass die jahrtausendealte erkenntnistheoretische Dauer-Debatte um Realismus und Konstruktivismus dadurch eine neue Richtung bekommen könnte, dass vom Subjekt oder Objekt, von Realität oder Wahrnehmung auf Prozessualität als Ausgangspunkt erkenntnistheoretischer Modellierungen umgestellt wird. Eine solche Vermutung legt nicht nur die epistemologische Kongruenz des prozesstheoretisch gewendeten Radikalen Konstruktivismus (Schmidt) mit der Prozessontologie (Whitehead) nahe; auch stellen sowohl konstruktivistisch als auch ontologisch perspektivierte Arbeiten die Kategorie der Praxis zentral. Könnte Prozessualität so die alte erkenntnistheoretische Binär-Unterscheidung Beobachterin/Beobachtetes auflösen?

Die Spiegelstriche stecken grob den Raum der Fragen ab, welche im Workshop „In/Stabilitäten“ adressiert werden sollen.

Wir laden alle Interessierten dazu ein, sich im Rahmen des Workshops mit diesem Fragekomplex zu beschäftigen. Insbesondere wollen wir um das Einreichen von Vorschlägen für 15-minütige Impuls-Vorträge bitten, in denen die skizzierten Fragen am Beispiel der eigenen Forschungsarbeit adressiert werden. Daneben soll auch der Diskussion ausreichend Raum gegeben werden. Da die Workshop-Plätze begrenzt sind, bitten wir bei Interesse um Anmeldung mit einer kurzen Beschreibung von Titel und Thema bei kinder@kulturforschung-hd.de (Anmeldeschluss: 21. Oktober 2011). Nicht-Vortragende sind ebenfalls herzlich eingeladen, wir bitten jedoch auch diese um Anmeldung.

Programm

Kontakt

Dr. Katharina Kinder

Institut für Kulturforschung Heidelberg, Postfach 11 01 60, D-69071 Heidelberg

kinder@kulturforschung-hd.de


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