'Ethnizität' - Vom Nutzen und den Grenzen eines Konzepts

'Ethnizität' - Vom Nutzen und den Grenzen eines Konzepts

Veranstalter
Studienstiftung des deutschen Volkes
Veranstaltungsort
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.01.2013 - 26.01.2013
Deadline
28.10.2012
Website
Von
Felix Heinert

„Ethnizität“ wird häufig essentialistisch verstanden als eine gegebene Eigenart bestimmter Bevölkerungsgruppen, die für die Beschreibung und Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse und mitunter gewaltsamer Konflikte relevant ist. „Ethnizität“ besitzt jedoch einen imaginierten und konstruierten Charakter ähnlich wie „Nationalität“, d. h. auch „ethnische Gruppen“ sind als imagined communities zu denken. Trotz ihres imaginierten und konstruierten Charakters kann „Ethnizität“ geschichtsmächtig werden und höchst reale Züge annehmen, wenn sie für eine kritische Masse von Menschen handlungsleitende Relevanz gewinnt und damit eine eigenständige Wirkungsmacht entfaltet.

„Ethnizität“ ist allerdings nicht nur ein für historische Analysen relevantes Phänomen, sondern auch Untersuchungsgegenstand anderer Disziplinen (z. B. Politikwissenschaft, Literaturwissenschaft, Ethnologie oder Soziologie). Das Doktorandenkolloquium richtet sich demzufolge an eine interdisziplinäre Zielgruppe. Mögliche Problemfelder von „Ethnizität“, die dabei zur Diskussion stehen sollen, sind:

(1) „Ethnizität“ als konzeptionell-analytisches Problemfeld
- Welches analytische Potential besitzt die Kategorie „Ethnizität“? Ist sie ein Explanans oder Explanandum? Können diese beiden Aspekte in der Empirie immer voneinander sauber getrennt werden? Inwiefern und wann können wir „Ethnizität“ folglich zur Erklärung historischer Prozesse heranziehen? Oder sollten wir nicht vielmehr Ethnizität selbst als ein historisch zu erklärendes und stets fallbezogen abzuleitendes Phänomen betrachten? Was wird durch Vorstellungen von „Ethnizität“ verschleiert, und mit welcher Intention geschieht dies unter Umständen?

- Gibt es Alternativen zum Konzept der „Ethnizität“? Sollten Vorstellungen von Ethnizität konsequent dekonstruiert und durch enger gefasste Begriffe (z. B. Sprache, Konfession etc.) ersetzt werden, deren Tragfähigkeit von Fall zu Fall zu prüfen ist? Welcher analytische Mehrwert kann durch einen solcherart differenzierten Begriffs-apparat generiert werden?

- Lässt sich Geschichte ohne „Ethnizität“ schreiben? Welche narrativen Techniken und Verfahrensweisen stehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zur Verfügung, die konsequent gegen sprachlich griffige, aber analytisch fragwürdige, ethnische „Gruppismen“ (Rogers Brubaker) anschreiben? Können Sozial- und Kulturwissen-schaften mit einem Weniger an Ethnizität auskommen? Oder ist es mitunter (und wenn ja, wann bzw. in welchen narrativen Situationen) unumgänglich, mit dem Konzept „Ethnizität“ zu arbeiten, gleichwohl aber beständig den konstruierten bzw. imaginierten Charakter dieses Konzepts mitzudenken und zu verdeutlichen?

(2) „Ethnizität“ als historisch-semantisches Problemfeld
- Wie ist „Ethnizität“ zu historisieren? Ab wann und in welchen diskursiven Zusammen-hängen spricht man von „Ethnizität“, „ethnischen“ Charakteristika, „Ethnien“ etc.? Handelt es sich dabei um Selbst- oder Fremdzuschreibungen „ethnischer“ Eigenart? Wie verhält sich der Begriff zu alternativen Bezeichnungen (wie z. B. dt. Volkstum oder engl. race) und ihren jeweiligen semantischen (Um-)Feldern?

- Wie wird Ethnizität gedacht? Welche Merkmale, Wahrnehmungen und Rahmen-bedingungen waren und sind prägend für Vorstellungen von Ethnos und Ethnizität? Wenn es so etwas wie eine „ethnische“ Selbst- und Fremdverortung gibt, wie verhält sich diese zu anderen Bezugsebenen (z. B. Staatsbürgerschaft, Konfession, Klasse, Gender, Imperium, räumliche Bezüge wie Region, Stadt, Dorf, Straßenzug etc.)? Wer und mit welchen Mitteln (Wissenskategorien, Herrschaftstechniken, Durchsetzungs-strategien, Archivierungspolitiken etc.) definiert und klassifiziert ethnisch konstruierte Gruppen (z. B. Statistik, Ethnografie etc.)?

(3) „Ethnizität“ als wissenschaftlich-normatives Problemfeld
- Ist ethnische Vielfalt typisch osteuropäisch? Gemeinhin wird das östliche Europa pauschal als eine Region ethnischer Gemengelage, multiethnischer Imperien und einer späten, von ethnischen Konflikten und Gewalt begleiteten Nationsbildung beschrieben. Doch lässt sich die These von der Besonderheit eines von ethnischer Vielfalt geprägten östlichen Europas empirisch aufrechterhalten? Waren nicht auch in anderen Regionen Europas sowie der Welt vergleichbare Prozesse einer Ethnisierung gesellschaftlicher Verhältnisse und Konflikte zu beobachten?

- Welche Kontextfaktoren begünstigen ein tendenziell „positiv“ oder „negativ“ konnotiertes Verständnis von „Ethnizität“? „Ethnizität“ wird im Hinblick auf die Vorstellung und Möglichkeit der Pflege eines positiven Bewusstseins „ethnischer“ Gruppen oftmals als erstrebenswertes Ideal für multikulturelle Gesellschaften betrachtet. Inwiefern konnte sich in manchen “Kultur“- bzw. Diskursräumen (z. B. Osteuropa oder USA) ein unterschiedlich konnotiertes Verständnis von „Ethnizität“ herausbilden? Oder weist eine „positive“ oder „negative“ Konnotation von „Ethnizität“ nicht vielmehr auf die politisch-normative Aufladung und deren Einflussnahme auf sozialwissenschaftliche und historiographische Traditionen hin, die bei der Nutzbarmachung des Konzepts stärker zu hinterfragen sind?

Ausgehend von diesen Problemfeldern wollen wir anhand konzeptioneller und empirischer Beiträge einerseits die Nutzbarmachung von „Ethnizität“ als Konzept und andererseits dessen Grenzen diskutieren. Dazu laden wir Doktorandinnen und Doktoranden der Geschichts-, Kultur-, Sozial- und Politikwissenschaften, der Ethnologie und benachbarter Disziplinen aller Arbeitsstadien ein, die sich in ihren Dissertationsprojekten mit theoretischen und/oder empirischen Fragen von „Ethnizität“ beschäftigen.

Interessierte Doktorandinnen und Doktoranden bitten wir bis spätestens 28. Oktober 2012 um Beitragsvorschläge (Abstract des Gesamtprojekts mit kurzer Spezifizierung des geplanten Beitrags). Ferner sollten bis dahin auch diejenigen, die ohne schriftlichen Beitrag – aber als DiskutantInnen – am Doktorandenkolloquium teilnehmen wollen, ein kurzes Motivationsschreiben einreichen. Für Fragen und Anregungen sind wir jederzeit offen. Das Doktorandenkolloquium wird am 25. Januar 2013 gegen 14 Uhr beginnen und am 26. Januar 2013 gegen den frühen Nachmittag enden.

Reise- und Übernachtungskosten für Stipendiatinnen und Stipendiaten können aus den Mitteln der Studienstiftung des deutschen Volkes bezuschusst werden.

Organisatoren:
FELIX HEINERT
PROMOTIONSSTIPENDIAT DER STUDIENSTIFTUNG
DES DEUTSCHEN VOLKES
Universität zu Köln
NRW-Forschungsschule a.r.t.e.s.
Historisches Institut
Abteilung für Osteuropäische Geschichte
Kringsweg 6
50931 Köln
heinertf@uni-koeln.de

SARAH PANTER
ALUMNA DER PROMOTIONSFÖRDERUNG DER STUDIEN-STIFTUNG DES DEUTSCHEN VOLKES
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Historisches Seminar
Lehrstuhl für Geschichte des Romanischen West-europa
79085 Freiburg
sarah-panter@web.de

In Zusammenarbeit mit
DR. INGO ESER
WISSENSCHAFTLICHER MITARBEITER
Universität zu Köln
Historisches Institut
Abteilung für Osteuropäische Geschichte
Kringsweg 6
50931 Köln
ieser@uni-koeln.de

Programm

Kontakt

Felix Heinert

Historisches Institut der Universität zu Köln, Albertus-Magnus-Platz, D-50932 Köln

heinertf[at]uni-koeln.de