I. Anlässe, Ansatz und Zuschnitt der Tagung
Für die Wahl des Themas und für den Zuschnitt der Tagung lassen sich mehrere Anlässe und Konstellationen benennen, von denen nur diejenigen kurz angesprochen werden sollen, die mit dem Vorhaben in unmittelbarem Zusammenhang stehen.
Erstens: Abgesehen von der Aktualität und der Brisanz der im Tagungstitel umrissenen Thematik gehört die interdisziplinär angelegte Historische Klimatologie seit den 1980er Jahren zu einem der innovativen Forschungsfelder der internationalen Geschichtswissenschaft zur Vormoderne. Prominente deutschsprachige Vertreter dieses Forschungszweigs sind beispielsweise Christian Pfister und Rüdiger Glaser. Beide Forscher haben sich eingehend mit dem vor allem in Mitteleuropa aufgetretenen klimahistorischen Phänomen der sogenannten ‚Kleinen Eiszeit‘ befasst. Es erstreckt sich auf den Zeitraum von 1450 bis 1830 und weist einige charakteristische Klimaanomalien auf: Gehäufte Wetterschwankungen und Wetterextreme, Starkregen, Dürren, Spätfröste im Frühjahr, Frühfröste im Herbst, langfristige Temperaturabsenkung um ca. 1,5° etc.; es handelt sich um eines der besonders intensiv erforschten klimahistorischen Phänomene.
Zweitens: Der 1994 in Göttingen gegründete ‚Arbeitskreis für Agrargeschichte‘ hat mehrere Initiativen ergriffen, um die deutsche Agrargeschichtsforschung thematisch und konzeptionell zu erweitern, für interdisziplinäre Fragestellungen zu öffnen und an den internationalen Standard heranzuführen. Zu den jüngsten Initiativen dieses Arbeitskreises gehört ein neues, drei Bände umfassendes und im Frühjahr 2016 im Böhlau Verlag erschienenes Handbuch zur Agrargeschichte, worin die Klimageschichte selbstverständlich integriert ist.
Drittens: Wissenschaftliche Akademien und Gesellschaften, landeshistorische Institute und Landesarchive haben in mehreren Bundesländern in den letzten zwei Jahrzehnten neue Darstellungen veranlasst und finanziert, um den mittlerweile erreichten Kenntnisstand im Fach Geschichtswissenschaft und das dort erreichte Methodenbewusstsein in landeshistorischen Überblickswerken zu berücksichtigen. Unter den in Rheinland-Pfalz bereits durchgeführten Vorhaben ist an erster Stelle das 2012 erschienene, drei Bände umfassende Handbuch zu nennen, bei dem es sich zudem um den ersten zusammenfassenden Überblick zur Geschichte dieses Bundeslandes handelt. Daneben ist auf einen 2014 erschienenen Sammelband zu verweisen, in dem konzeptionelle und methodische Herausforderungen einer avancierten Landes- und Regionalgeschichte der Pfalz und ihrer Nachbargebiete in mehreren Beiträgen erörtert werden. Die Autoren dieses Sammelbandes machen verschiedentlich darauf aufmerksam, dass der Kooperation zwischen Universitäten, landeshistorischen Instituten, Akademien, historischen Vereinen und auch Schulen eine Schlüsselrolle für eine lebhafte und produktive, aber auch für eine ein breiteres Publikum ansprechende Landes- und Regionalgeschichte zukommt, wozu auch die geplante Tagung einen Beitrag leisten will.
Viertens: Diese Tagung rekurriert auf ein zunehmend deutlicher werdendes bildungspolitisch brisantes Strukturproblem, das sich in Universitäten und Gymnasien – in nahezu allen geistes-, kultur- und sozialwissenschaftlichen Fächern – immer deutlicher unter einer wachsenden Zahl von Schülern und Studenten bemerkbar macht und von Fachleuten – so besonders provokativ von dem Philosophen Konrad Philipp Liessmann – verschiedentlich thematisiert worden ist: Ein schwindendes Interesse, Verständnis und Vermögen nicht nur im Umgang mit (älteren) Quellen, sondern auch und gerade mit anspruchsvoller Literatur, ganz zu schweigen von den Eigenheiten der Forschungsliteratur. Diese Defizite konfrontieren Lehrende bereits heute mit mannigfaltigen pädagogischen und didaktischen Problemen, deren vermeintliche Lösung faktisch allzu häufig deutliche Standardabsenkungen in Gymnasien und Universitäten zur Folge hat.
Gegen diesen scheinbar unabwendbaren Trend will die Tagung ein deutliches Zeichen setzen und kann eventuell sogar tragfähige Perspektiven für den Geschichtsunterricht in Gymnasien vermitteln. Zu diesem Zweck soll die Neugierde von Schülern/innen für historische Themen geweckt und ihnen die Gelegenheit geboten werden, im Rahmen eines brisanten und auch spannenden Themas wie des klimahistorischen Phänomens der sogenannten ‚Kleinen Eiszeit‘ (1450-1830) und seiner Folgen für Agrarproduktion und Bevölkerung Gelegenheit geboten werden, folgende Aufgabenfelder in theoretischer, methodischer und empirischer Hinsicht kennen zu lernen, die gewissermaßen zum Handwerk eines Historikers gehören:
1. Edierte und nicht edierte Quellen (Chroniken, Ertragslisten, Stadtratsprotokolle, Bevölkerungsregister, Kirchenbücher, Ortssippenbücher, Zeitungen etc.) zu ermitteln, methodisch kontrolliert auszuwerten und gewissenhaft zu interpretieren sowie geeignete Literatur in Auswahl heranzuziehen. Das betrifft etwa das zweibändige Handbuch über den Weinbau von Friedrich von Bassermann-Jordan (1923), die klassische Chronik über den badischen Weinbau von Karl Müller (1953) und die innovative Regionalstudie über Weinbau und Klimawandel in der Pfalz während der Frühneuzeit von Wilhelm Lauer und Peter Frankenberg (1986);
2. Beobachtungen, Eindrücke, Auswertungen und Interpretationen von Quellen und Literatur auf der Tagung in Form von Kurzreferaten zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Solche elementaren Arbeitsschritte und Untersuchungen stellen eine empirisch breite Grundlage für Haus- und / oder Facharbeiten bereit, so dass den Schülern/innen damit auch ein unmittelbarer Nutzen aus der aktiven Teilnahme an dieser Tagung erwüchse.
Dem folgenden Tagungsplan liegt ein inzwischen modifiziertes und weiter entwickeltes Konzept zugrunde, das auf drei Arbeitstreffen besprochen worden ist. Der Tagungsverlauf ist analog zum Themenspektrum der Tagung und seinen drei Parametern ‚Klima‘, ‚Agrarproduktion‘ und ‚Bevölkerung‘ gegliedert. Leider kann dem vierten Parameter ‚Wahrnehmung‘ bzw. ‚Wissen‘ auf der Tagung nur beiläufig Rechnung getragen werden; dieser Parameter wird in der Vormoderne repräsentiert beispielsweise von fürstenstaatlichen Agrarreformern, die Berichte und Traktate verfassten, und auch von bäuerlichen Akteuren, die ihre Beobachtungen und Kenntnisse in ihren Schreibebüchern festhielten. Jedem der genannten Parameter ist jeweils eine der vier Arbeitsgruppen von Schülern/Innen mit den sie betreuenden Lehrern/Innen zugeordnet.