Werke in Netzwerken. Kollaborative Autorschaft im 18. Jahrhundert

Werke in Netzwerken. Kollaborative Autorschaft im 18. Jahrhundert

Veranstalter
Steffen Martus, Carlos Spoerhase, Erika Thomalla
Veranstaltungsort
Zentrum für Interdisziplinäre Forschung, Universität Bielefeld
Ort
Bielefeld
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.11.2017 - 15.11.2017
Deadline
12.11.2017
Website
Von
Erika Thomalla

Autoren machen keine Bücher. Roger Chartier hat in seinen kulturhistorischen Studien wiederholt darauf hingewiesen, dass Autoren auch des 18. Jahrhunderts keine Bücher schreiben, nicht einmal ihre eigenen. Bücher werden nicht geschrieben, sondern gemacht; gemacht werden sie nicht von ihren Autoren selbst, sondern von einem komplexen Netzwerk an Verlegern, Setzern, Druckern, Buchhändlern, Buchbindern und nicht zuletzt Buchkäufern. Autoren schreiben meist lediglich Texte, die sich erst in einem übergreifenden ökonomisch betrieblichen Sozialzusammenhang zu Büchern materialisieren. Was aber wäre, wenn nicht erst das verlegte Buch, sondern bereits der autorschaftliche Text das Ergebnis von komplexen sozialen Beziehungsgefügen wäre, die sich als Netzwerke beschreiben ließen? Autoren machen, so die Leithypothese, alleine weder Bücher noch Texte.

In der literaturwissenschaftlichen Forschung zum 18. Jahrhundert hat das Konzept des Netzwerks“ in jüngerer Zeit immer wieder Verwendung gefunden. „Netzwerke“ dienen dort meist als analytische Kategorie, um die strategischen und pragmatischen Aspekte der Zusammenarbeit von literarischen Akteuren in den medialen Infrastrukturen des 18. Jahrhunderts zu beschreiben und eine in der Aufklärungsepoche beobachtbare Verdichtung und Ausweitung der kulturellen Kommunikationsverhältnisse zu erfassen. Auffällig ist allerdings, dass die Beobachtungskategorie des „Netzwerks“ in literaturwissenschaftlichen Studien weitgehend metaphorisch gebraucht oder aber auf ihre Verwendung im Rahmen von quantitativ verfahrenden Rekonstruktionen reduziert wird. Damit sind die Potenziale und Anwendungsfelder soziologischer Netzwerktheorien aber erst ansatzweise ausgelotet.
Gerade im Bereich der qualitativen Untersuchung von literarischen Netzwerken hat die Forschung zum 18. Jahrhundert bislang nicht viel vorzuweisen, obwohl jüngere Studien aus dem Bereich der soziologischen Netzwerktheorie und der relationalen Soziologie dafür eine sehr gute Basis bieten würden. Ihre Grundannahme, dass soziale Relationen und kulturelle Praktiken scheinbar stabilen Entitäten wie Subjekten oder Gruppen vorausgehen, scheint gerade für Fragen nach literarischer Autorschaft im 18. Jahrhundert ein äußerst vielversprechender methodischer Ansatzpunkt zu sein. Relationale Ansätze gehen bei der Untersuchung des Sozialen weder von Einzelpersonen und deren Motiven oder Bedürfnissen aus, noch von ebenso umfassenden wie grundlegenden gesellschaftlichen und ökonomischen Strukturen, die soziales Handeln determinieren. Sie beobachten vielmehr die vielfältigen Beziehungsgeflechte, in die soziale Akteure eingebunden sind. Der Fokus richtet sich dabei vor allem auf den Dissens und die Konflikte, die solche Beziehungsgefüge hervorbringen: Weil jeder Akteur in mehr als nur ein Netzwerk eingebunden ist, muss beständig zwischen divergierenden Erwartungen und Anforderungen vermittelt werden. Dazu dienen neben Selbstbeschreibungen oder kollektiven Erzählungen auch Medien und Objekte, die zwischen den Akteuren zirkulieren, von ihnen gestaltet werden, und so dazu beitragen, heterogene Gruppen miteinander zu verbinden. Die relationale Soziologie bietet daher auch Anschlussmöglichkeiten an medientheoretische Ansätze.

Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen gilt unser Forschungsinteresse nicht nur der Frage, wie Autoren literarische Texte in etablierte publizistische Netzwerke einspeisen, sondern auch der Frage, wie diese Texte überhaupt erst im Kontext bestimmter sozialer Relationen entstehen und werkförmig werden. Welche Vermittlungsleistungen müssen betrieben werden, damit Autoren als individuelle Urheber von Werken in Erscheinung treten? Wie tragen unterschiedliche Objekte, Textgattungen und Medien – Briefe, Manuskripte, Autographen, Bücher – dazu bei, Beziehungen zu stiften und Akteure im literarischen Feld miteinander zu vernetzen? In welcher Weise schreiben sich die Relationen, in die Autoren eingebunden sind, in Texte und Werke ein?

Auf diese Weise kommen Autorschaft als kollektiver kreativer Vorgang und Textualität als weitverzweigtes soziales Beziehungsmodell in den Blick, an denen immer mehrere Akteure – Familie, Freunde, Lehrer, Mentoren, Herausgeber, Verleger, Kritiker, Patrone – von Anfang an mehr oder weniger direkt beteiligt sind. Wenn in der Forschung Autorschaft bisher als soziales Relationengefüge untersucht wurde, so nur hinsichtlich des Sonderfalls einer koordinierten Zusammenarbeit weniger Akteure mit gemeinsamen Interessen und Intentionen (z.B. literarische Gruppen). Unser Frageinteresse ist breiter: Es richtet sich darüber hinaus auf Koordinationsformen und Kooperationspraktiken, die sehr viel zerstreuter und vermittelter sowie weniger abgestimmt und möglicherweise nicht einmal gewollt sind.

Programm

Montag, 13.11.

Ab 13 Uhr Anreise und Kaffee

13:30 Begrüßung durch die Veranstalter

Netzwerke in Sammelmedien; Moderation: Kai Kauffmann (Bielefeld)

13:45-14:30 Dirk Werle (Heidelberg): Kollaborative Autorschaft in Lyriksammlungen vor und nach der ‚liederlosen Zeit‘ (1670-1730)

14:30-15:15 Gustav Frank (München): Tantum series juncturaque pollet. ‚Familienähnlichkeit‘, ‚lose Kopplung‘, ‚unfeste Texte‘ im medialen Netzwerk des 18. Jahrhunderts

15:15-16:00 Hannes Fischer (Berlin): „Sie haben Buchhändlerverbindungen - ich will, kann und werde nie welche haben.“ Zeitschriften als Medien der Netzwerkbildung

16 Uhr Kaffee

Netzwerke in Werken; Moderation: Erika Thomalla (Berlin)

16:30-17:15 Tobias Winnerling (Düsseldorf): Das Ego-Netzwerk einer Satire (1716): Ob die Neuern den Alten in der Gelehrsamkeit vorzuziehen?

17:15-18:00 Daniel Zimmer (Berlin): Widmungsrelationen und höfische Netzwerke im Werk Johann Christoph Gottscheds

Keynote-Lecture; Moderation: Carlos Spoerhase (Bielefeld)

18:30 Martin Mulsow (Erfurt): Dividualisierung und relationale Autorschaft

20:30 Abendessen in eigener Organisation

Dienstag, 14.11.

Netzwerke in Werken; Moderation: Ethel Matala de Mazza (Berlin)

9:30-10:15 Rainer Falk (Potsdam): Anekdoten aus dem Netzwerk. Zur Entstehung früher Biographica von König Friedrich II. von Preußen

10:15-11:00 Elisabeth Décultot (Halle): Vom kollektiven zum singulären Autor. Zur Entstehungsgeschichte von Sulzers Allgemeiner Theorie der Schönen Künste

11:00 Uhr Kaffee

Mittlerfiguren und Knotenpunkte; Moderation: Steffen Martus (Berlin)

11:15-12:30 Daniel Fulda (Halle): Brieflich oder persönlich? Netzwerke zwischen Autoren und Verleger bei Johann Justinus Gebauer

12:30 Uhr Mittagessen

14:00-14:45 Lore Knapp (Bielefeld): Das Akteur-Netzwerk um den Übersetzer Friedrich Gabriel Resewitz 1757/1758

14:45-15:30 Elisabeth Grabenweger (Wien): Caroline Pichler (1769-1843). Netzwerke der deutschen Romantik in Wien

15:30 Uhr Kaffee

Grenzobjekte; Moderation: Helga Lutz (Bielefeld)

16:00-16:45 Harun Maye (Weimar): Die Lesegesellschaft. Ein Grenzobjekt der Aufklärung

16:45-17:30 Uwe Korn (Heidelberg): Die Alpen als boundary object? Zur Textgeschichte eines carmen heroicum Albrecht von Hallers, mit einigen methodologischen Überlegungen

17:30-18:15 Erdmut Jost (Gotha): Phantasien fürs „Stumme Buch“ der Malerei: J. H. W. Tischbeins Sibyllisches Buch III als Grenzobjekt zwischen norddeutschen und Weimarer ‚Kunstfreunden‛

19:00 Abendessen in eigener Organisation

Mittwoch, 15.11.

Kommentatoren und Ko-Autoren; Moderation: Carlos Spoerhase (Bielefeld)

9:00-9:45 Paul Babinski (Princeton): Offenbar Geheimnis: Kommentar und Autorschaft in der frühen Orientalistik

9:45-10:30 Joëlle Weis (Luxemburg): Der Streit als Autor? Die Rolle der gelehrten Kontroverse beim Bücherschreiben

10:30 Uhr Kaffee

Kollektivwerke und Nicht-Werke; Moderation: Kirsten Kramer (Bielefeld)

11:00-11:45 Daniel Ehrmann (Salzburg): Aggregation. Über volatile Kollektivprozesse in der Literatur. Ein Modell

11:45-12:30 Nacim Ghanbari (Siegen): Nicht-Werke im Netzwerk

12:30 Uhr Mittagsimbiss und Abreise

Kontakt

Andrea Schrottenloher

Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft, Universität Bielefeld

ahandke@uni-bielefeld.de


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