Jenseits der disziplinären Grenzen. Praktiken der historischen Sozialwissenschaften in Frankreich und Deutschland

Jenseits der disziplinären Grenzen. Praktiken der historischen Sozialwissenschaften in Frankreich und Deutschland

Veranstalter
Deutsch-französisches Doktorandekolleg "Unterschiede denken II: Struktur – Ordnung – Kommunikation“, Centre Marc Bloch
Veranstaltungsort
Centre Marc Bloch, Friedrichstraβe 191
Ort
Berlin
Land
Deutschland
Vom - Bis
10.07.2018 - 11.07.2018
Deadline
07.05.2018
Website
Von
Felix Schilk

Die Beziehung zwischen den Geschichts- und Sozialwissenschaften ist in Deutschland und Frankreich zum Teil auf eine karikierende Darstellung der jeweils anderen Disziplin beschränkt, um die eigene Herangehensweise besser rechtfertigen zu können. Statt sich in diesen Anschuldigungen oder klassischen, aber inzwischen allzu bekannten Entgegensetzungen zu ergehen, möchten wir im Rahmen dieses „Jungen Forums“ erneut die Möglichkeiten und die Bedingungen eines fruchtbaren Dialogs zwischen Sozialwissenschaften und Geschichtswissenschaften in Deutschland und Frankreich prüfen – um im Anschluss einen Dialog über die vielfältigen Kooperationen und Konflikte zu pflegen.
Das aktuelle Wiederaufleben historischer Ansätze in der Soziologie (z.B. in Form der Historischen Soziologie oder der amerikanischen Makrosoziologie) und soziologischer Ansätze in der Geschichtswissenschaft (etwa der Vergleichenden Geschichte, der histoire croisée oder der socio-histoire) zeugt von einem wiedererwachenden Interesse, die Geistes- und Sozialwissenschaften mittels zwar differenzierten, aber jeweils konvergierenden Herangehensweisen zu betreiben. Auch wenn sie teilweise weit voneinander entfernt sind, ist den Konzepten doch der Wille zum vertieften interdisziplinären Dialog gemeinsam – im Gegensatz zu den gegenwärtig verbreiteten, eher oberflächlichen Aufrufen zur Interdisziplinarität.
Vor diesem Hintergrund scheint es uns wichtig, die konkreten Probleme zu betrachten, die Theorie und Praxis der historischen Sozialwissenschaften für junge ForscherInnen mit sich bringen; nicht zuletzt auch angesichts der Notwendigkeit, sich für eine Disziplin zu entscheiden. Was bedeutet es also, als SoziologIn historisch oder als HistorikerIn soziologisch zu arbeiten – sei es zu politischen, sozialen oder kulturellen Fragen? Den TeilnehmerInnen werden hierzu drei Forschungslinien geboten:

Linie 1 – Theorie und Konzepte
Die erste Linie fragt nach der Art und Weise, in der ForscherInnen die historischen und soziologischen Disziplinen für ihre theoretischen und konzeptionellen Reflexionen nutzen. Einerseits soll untersucht werden, wie SoziologInnen ihre Konzepte historisieren und andererseits, wie HistorikerInnen die theoretischen Instrumente der Soziologie nutzen, um kollektive Einheiten zu dekonstruieren und unterschiedliche Formen sozialer Beziehungen aufzuzeigen.
Wie nutzen WissenschaftlerInnen in Geschichte und Soziologie die theoretischen Ressourcen der Nachbardisziplin? Welche Schwierigkeiten begegnen ihnen hierbei? Wie überwinden sie diese? Wie ermöglichen es diese konzeptionellen Ressourcen den ForscherInnen, in ihrer Fragestellung soziologische und historische Ansätze zu verbinden? Wie können diese theoretische Reflexion und ihre praktische Umsetzung schließlich beschrieben werden?

Linie 2 – Quellen und Feld
Es ist kein neues Phänomen, dass SoziologInnen und PolitikwissenschaftlerInnen sich in Archive begeben müssen und mit vergangenen Jahrhunderten beschäftigen. Auch ist es üblich, dass HistorikerInnen zu einer sehr nahen Vergangenheit arbeiten und beispielsweise Interviews mit ZeitzeugInnen durchführen. Was können SoziologInnen – über die Anregung hinaus, sich mit historischen Materialien und Produktionen zu beschäftigen – von den zahlreichen Ideen und Praxen der Geschichtswissenschaft für die Archivarbeit lernen? Wie können die qualitativen Methoden der Soziologie dabei helfen, Oral History zu betreiben?
An das Quellenproblem schließt sich das Forschungsfeld an: Gibt es spezifisch historische, soziologische, ethnologische oder anderweitig sozialwissenschaftliche Forschungsfelder? Wie definiert man ein historisches oder soziologisches Forschungsfeld in seiner wissenschaftlichen Anwendung? Die zweite Linie bietet somit die Möglichkeit, den Mehrwert kombinierender Ansätze genauer in den Blick zu nehmen, beispielsweise um einen synchronen oder diachronen Vergleich zwischen zwei Forschungsgegenständen durchzuführen (geografisch: Länder, Regionen, Städte; sozial: Berufe, Gruppierungen, Kategorien; etc.).

Linie 3 - Vergleich, histoire croisée, Transfer und Kritik
Die Vergleichende Geschichtswissenschaft ist in den letzten drei Jahrzenten des Öfteren in Kritik geraten, was zur Herausbildung neuer Strömungen wie der Forschung zu Kulturtransfers und der histoire croisée geführt hat. Und dies, obwohl die systematische Anwendung des Vergleichs – trotz der einstigen Appelle Marc Blochs (1928) – in der Geschichtswissenschaft weniger verbreitet ist als in der Soziologie oder gar der Politikwissenschaft. In der letzten Zeit wurden Versuche unternommen, die vergleichende Geschichtswissenschaft zu rehabilitieren. Hierbei wurde die vorgebrachte Kritik auf konstruktive Weise einbezogen und die Möglichkeit betont, den Vergleich zu nutzen und aufmerksam gegenüber Transfers und Kreuzungspunkten zu sein.
Auf einer noch allgemeineren Ebene werfen Ansätze unter dem Begriff der Global History, der World History, der transnationalen Geschichte oder der histoire connectée neue Fragen zum Austausch zwischen den sozialwissenschaftlichen Disziplinen auf – insbesondere bezüglich der Bedingungen, unter denen solche Untersuchungen empirisch und theoretisch durchgeführt können. Ziel dieser dritten Linie soll es sein, eine Bilanz der gemeinsamen bzw. jeweils spezifischen Überlegungen der verschiedenen historischen Disziplinen und der Sozialwissenschaften zu ziehen und hinsichtlich ihres heuristischen Werts und ihrer Herausforderungen zu diskutieren. So können die Möglichkeiten, die die genannten Ansätze für die empirische Forschung bereithalten, miteinander verglichen werden. Wie kann die Nutzung soziologischer Konzepte dabei helfen, eine Fragestellung in der vergleichenden Geschichtswissenschaft zu formulieren? Wie kann der interdisziplinäre Austausch selbst konkret zu einer erneuerten vergleichenden Forschung, der histoire croisée und/oder des Kulturtransfers beitragen?

Teilnahmebedingungen und Modalitäten
Die Veranstaltung richtet sich an NachwuchsforscherInnen aus den Geschichts- und Sozialwissenschaften aller Nationalitäten, die mit einem interdisziplinären Ansatz arbeiten.

Vorschläge für Beiträge sollten bis spätestens 7. Mai 2018 an folgende Adresse gesandt werden: jesociologiehistoire2018@gmail.com. Sie sollten max. 500 Wörter umfassen und können auf Deutsch oder Französisch verfasst sein. Sie sollten sich auf eine oder mehrere Erfahrungen aus der empirischen Forschung beziehen. Die Bewerber sollten angeben, in welche der angegeben Forschungslinien sich ihr Beitrag einordnen lässt. Der Bewerbung ist ein CV mit Angaben zu den sprachlichen Kenntnissen hinzuzufügen. Das Organisationskomitee wird sich bis spätestens Montag, den 21. Mai 2018, bei den KandidatInnen melden.

Die Arbeitssprachen der Veranstaltung sind Deutsch und Französisch.

Die Reise- und Übernachtungskosten der TeilnehmerInnen werden übernommen.

OrganisatorInnen: Antonin Dubois (EHESS/Universität Heidelberg), Quentin Fondu (EHESS/Universität Bielefeld), Felix Schilk (TU Dresden) und Claire Tomasella (EHESS/Centre Marc Bloch).

Wissenschaftlicher Beirat: Andrea Kretschmann (Centre Marc Bloch), Guillaume Mouralis (CNRS/Centre Marc Bloch), Gérard Noiriel (EHESS), Gisèle Sapiro (CNRS/EHESS), Dominik Schrage (TU Dresden), Elsa Tulmets (Centre Marc Bloch).

Partner: Centre Marc Bloch, Deutsch-französisches Doktorandekolleg „Unterschiede denken II: Struktur – Ordnung – Kommunikation“, École des hautes études en sciences sociales (EHESS), Universität Bielefeld, Universität Heidelberg, Technische Universität Dresden.

Programm

Dienstag, 10. Juli:

13.00-13.30 Uhr
Einführung
13.30-15.00 Uhr
Vorträge und Diskussion
15.00-15.15 Uhr
Pause
15.15-16.45 Uhr
Vorträge und Diskussion
16.45-17.00 Uhr
Pause
17.30-19.00 Uhr
Podiumsdiskussion mit Prof. Dr. Bénédicte Zimmermann (EHESS/ Wissenschaftskolleg zu Berlin) und Prof. Dr. Peter Schöttler (CNRS/Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte)
20.00
Abendessen im Restaurant

Mittwoch, 11. Juli

09.00-11.00 Uhr
Vorträge und Diskussion
11.00-11.15 Uhr
Pause
11.15-12.45 Uhr
Vorträge und Diskussion
12.45-13.00 Uhr
Abschlussrunde
13.00 Uhr
Mittagsbuffet

Kontakt

Felix Schilk

jesociologiehistoire2018@gmail.com