Schulen in Migrationsgesellschaften stehen vor der Herausforderung, der zunehmenden Diversität ihrer Schüler/innenschaft gerecht zu werden. Angesichts der kulturellen und religiösen Pluralität der Schüler/innen müssen Bildungsprozesse migrations-, kultur- und religionssensibel ermöglicht werden. Zugleich garantiert Artikel 24 des im März 2009 in Deutschland in Kraft getretenen Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) Schüler/innen mit Behinderungen einen Anspruch auf Bildung in einem inklusiven Bildungssystem. Dabei müssen auch Schüler/innen mit mehrfachen potenziell von Diskriminierung bedrohten Differenzmerkmalen Lernwege erschlossen werden, wie beispielsweise an der Intersektion von Behinderung mit Kultur, Religion und Migration.
Sehr unterschiedlich wird in der Praxis mit diesen Veränderungen umgegangen, „die gängige Normalitätsvorstellungen und Normalisierungspraxen“ (Leiprecht & Steinbach, 2015, S. 7) in Bezug auf die vermeintliche Homogenität der Schüler/innenschaft in Frage stellen.
In den letzten Jahren ist in der Forschung ein verstärktes Interesse an der spezifischen Überschneidung der Differenzlinien Behinderung und Migration zu erkennen (siehe v.a. Wansing & Westphal, 2014; Westphal & Wansing, 2019). Spätestens seit den 1950er Jahren ist in der Pädagogik (und ihren Subdisziplinen) die gesellschaftliche Dynamik um Migration ein Thema, das sich über die interkulturelle Pädagogik hin zu einer Pädagogik der Vielfalt bzw. Migrationspädagogik entwickelte (u.a. Mecheril, 2016a; Leiprecht & Steinbach, 2015). Parallel fand in einer großen Zahl teilweise verwandter, aber auch fernerer Fachdisziplinen eine Auseinandersetzung mit kultureller und sprachlicher Vielfalt statt. So gibt es umfassende Arbeiten aus den Bereichen der Soziologie, Sozialer Arbeit, Theologie, Geschichtswissenschaften, Medizin und vielen mehr, die die vielfältigen Facetten einer Migrationsgesellschaft beleuchten. Aktuell rückt dabei auch der Faktor Religion in den Fokus und wird zunehmend als relevante Differenzlinie im Kontext von Diversität wahrgenommen. Schüler/innen werden am Lernort Schule „in Selbstverständnisse und Selbstpraktiken“ eingeführt, deren Ordnungen und Strukturen natio-ethno-kulturell kodiert sind und in der Religion, wie auch Behinderung ein bestimmender Faktor von „Zugehörigkeitsordnungen“ und ausgrenzendem Othering sein kann (Mecheril 2016b, 17). Eine breitere konzeptionelle Beschäftigung mit Vielfalt und Teilhabe, die die Intersektionalität von Migration, Behinderung sowie religiöser und natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit im Kontext Schule berücksichtigt, steht jedoch noch aus.
Hier setzt das Desiderat des geplanten Sammelbandes an: So sollen interdisziplinär theoretische und empirische Erkenntnisse zu Dis/Ability und Migration in Bildungskontexten zusammengebracht werden. Von Interesse sind Beiträge, die die Intersektionalität von Behinderung und Migration im Kontext Schule analysieren.
Dabei schaut der Sammelband zum einen auf Forschungskontexte, die Subjektperspektiven von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in den Blick nehmen und nach deren kulturellen und religiösen Verortungen und Zugehörigkeiten fragen. Welche individuellen und systemischen Unterstützungen wünschen sich bzw. benötigen Kinder und Jugendliche mit Behinderung und Migrationshintergrund/-erfahrung resp. anderer kultureller und religiöser Hintergründe als denen, die bereits in schulischen Kontexten Beachtung finden (z.B. das Christentum oder eine monolingual deutschsprachige Sozialisation)?
Zum anderen sollen Eltern und Angehörige von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung in das Blickfeld gerückt werden. Wie können beispielsweise die Erziehungsvorstellungen von Eltern aufgenommen und als Ressourcen für die schulische Begleitung ihrer Kinder genutzt werden? Welche kultur- und religionssensiblen Konzepte gibt es für die Bildungspartnerschaft mit Elternhäusern?
Schließlich sind auch die Partizipationsmöglichkeiten in medizinisch-therapeutischen und pädagogischen Handlungsfeldern von Interesse. Wie kann die Zusammenarbeit der unterschiedlichen Institutionen im Interesse der Schüler/innen mit Behinderung gestärkt werden? Wie lassen sich partizipative Forschungsansätze weiterentwickeln? Welche interkulturellen und religiösen Kompetenzen müssen Lehrer/innen, Sozialarbeiter/innen und Ärzt/innen erwerben, um erfolgreich eine Zusammenarbeit mit Kindern mit Behinderung sowie ihren Angehörigen und Eltern zu begründen?
Beitragsvorschläge können in Form eines Abstracts (500 Wörter exkl. Literaturangaben) bis zum 31.08.2020 an britta.konz@tu-dortmund.de gesendet werden. Die Rückmeldung erfolgt bis 15.09.2020.
Bei Rückfragen wenden Sie sich gerne an die Herausgeberinnen britta.konz@tu-dortmund.de und anne.schroeter@tu-dortmund.de.
Weitere Details zum Aufbau des Bandes und dem weiteren Vorgehen entnehmen Sie bitte folgendem Dokument: https://depot.tu-dortmund.de/4xvzc