Dass Wissensgeschichte lange modernisierungstheoretisch als Verwissenschaftlichungsgeschichte geschrieben und erzählt worden ist, hat sich in der Alltagssprache niedergeschlagen: Laien, Dilettanten, Amateure und Autodidakten personifizieren das Sammeln, Dokumentieren, Forschen, Schreiben, Vermitteln mit großem Eifer aber ohne legitimierendes Studium und ohne wissenschaftlich relevantes Ergebnis.
Wie insbesondere wissenschaftshistorische Arbeiten gezeigt haben, war und ist die mit der geläufigen Hierarchisierung von ‚wissenschaftlich‘ und ‚populär‘ verknüpfte Abwertung jedoch nie die einzige Dynamik im hier interessierenden Feld: Als Ehrenamtliche oder Bürger können Laien politisch mobilisiert und staatlich geehrt werden, dann nennt man ihre Tätigkeit ‚Engagement‘ oder ‚Partizipation‘. Historische Fälle dieser Orientierung sind SammlerInnen oder StifterInnen. Zahlreiche kleine Museen werden von Vereinen betrieben und getragen; die neueste museologische Forschung hat diese „Wilden Museen“ (A. Janelli) erstmals in den Blick genommen. Aktuell sind alle Beteiligten mit dem Konzept der Bürgerwissenschaft oder citizen science konfrontiert; die neueste Forschung hat solche Absichten und Programme bereits als machtvolle „elite attempts to constitute ‚engaged publics‘“ (J. Gregory/Ch. Thorpe) kritisch betrachtet.
Initiativen, AGs oder Geschichtswerkstätten signalisieren heterodoxe Positionen und Kritik. Insbesondere zur Geschichte von unten, zur Frauen- bzw. Geschlechtergeschichte und zur Geschichte des NS-Regimes haben Aktivitäten im Lokalen angesetzt, um blinde Flecken akademisch etablierter Wissenschaft zu erhellen und zugrundeliegende Geschichtsbilder zu kritisieren. Die Beteiligten sind damit vor Ort mit einem breiten Spektrum von Arbeitsbehinderung bis hin zu persönlichen Anfeindungen konfrontiert; auf lange Sicht jedoch waren diese Initiativen nicht selten Impulsgeber und Pioniere auf Forschungsfeldern, die später an den Universitäten aufgegriffen wurden.
Broker, Informanten und Gewährsleute vermitteln Kontakte und Fakten. Sie ermöglichen überhaupt erst das Erheben von qualitativen wie quantitativen Massendaten wie in den Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts (z.B. der weltweite bird count) oder im Großprojekt Atlas der Volkskunde von den 1920er bis in die 1980er Jahre. Als einfache Leute fungieren sie aber auch, wie die Viehmännin der Gebrüder Grimm, als Bürgen für Authentizität. Die Big Data genannte Möglichkeit der Digitalisierung und Verknüpfung von Massendaten hat alte Hoffnungen auf umfassende und objektive Dokumentation durch namenlose Viele neu belebt.
Die Tagung möchte sich Figurationen des Laien an den Schnittstellen von Forschung, Interesse und Politik seit dem 19. Jahrhundert widmen. Dem Arbeitsfeld des Veranstalters (Volkskundliche Kommission des Landschaftsverbands Westfalen-Lippe, Münster) entsprechend liegt der Fokus dabei vor allem auf den geistes- bzw. sozial- und kulturwissenschaftlichen Disziplinen.
Übergreifend soll es vor allem um folgende Fragestellungen gehen:
Inwiefern sind Figurationen des Laien mit Dynamiken gesellschaftlicher Ordnung wie Klasse, Milieu, Geschlecht, race, verknüpft?
Wie ist das Verhältnis zwischen eingeladener bzw. institutionalisierter Beteiligung und unerwünschten Initiativen?
Welche Effekte haben die Forderung nach Professionalisierung einerseits und der Anspruch der Demokratisierung von Wissen bereits im Stadium der Forschung andererseits?
Welche Medien und Schnittstellen dienen/ dienten der Transformation von Wissen?"
Die geplante Tagung wird und will keinen Überblick bieten. Vielmehr sollen ausgewählte historische und aktuelle Fälle einen Einblick in je spezifische Figurationen des Laien bieten. Aus diesem Grund sind Berichte aus der Praxis ebenso erwünscht wie Fallstudien aus der Wissenschaftsgeschichte bzw. aus der Wissenschaftsforschung im Gegenwartshorizont.