Die Identität des Diplomaten: Beruf oder "nobler Zeitvertreib"? (Spätmittelalter–19. Jahrhundert)

Die Identität des Diplomaten: Beruf oder "nobler Zeitvertreib"? (Spätmittelalter–19. Jahrhundert)

Veranstalter
Deutsches Historisches Institut Paris in Zusammenarbeit mit den Universitäten Münster, Nantes, Paris-Sorbonne, Paris-Diderot und Sorbonne-Nouvelle
Veranstaltungsort
DHIP, 8 rue du Parc-Royal, 75003 Paris
Ort
Paris
Land
France
Vom - Bis
14.06.2017 - 17.06.2017
Von
Dunja Houelleu


»Je ne voudrais point un négociateur de métier…«
Die Identität des Diplomaten: Beruf oder »nobler Zeitvertreib«?
(Spätmittelalter–19. Jh.)

Internationale Tagung, Paris
14.–17. Juni 2017

Call for Papers

Organisation:
Rainer BABEL (Deutsches Historisches Institut Paris)
Lucien BÉLY (Universität Paris-Sorbonne)
Sophie CŒURÉ (Universität Paris-Diderot)
Indravati FÉLICITÉ (Universität Paris-Diderot et Paris-Sorbonne)
Martin KINTZINGER (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
Marie-Louise PELUS-KAPLAN (Universität Paris-Diderot)
Éric SCHNAKENBOURG (Universität de Nantes)
Alexandre STROEV (Universität Sorbonne-Nouvelle)

Im Anschluss an zahlreiche Arbeiten, die in den letzten Jahrzehnten die Erforschung der internationalen Beziehungen und der Diplomatie im frühneuzeitlichen Europa auf neue Grundlagen gestellt haben, interessieren sich die Historiker heute auch verstärkt für das Thema der diplomatischen Praxis (le diplomate au travail).
Dabei rücken ganz unterschiedliche Bereiche ins Zentrum der Aufmerksamkeit: etwa der Alltag der Verhandlungen, die Arbeitsbedingungen der Diplomaten, die Bedeutung ihrer persönlichen Beziehungsgeflechte und ihrer Handlungsnetzwerke, aber auch ihre Fähigkeit, im entscheidenden Augenblick auf spezifische Kompetenzen zurückzugreifen.

In der Tat erscheint der Diplomat in einem durch andauernde Konflikte erschütterten, aber gleichzeitig nach Frieden strebenden Europa als eine sowohl im Bereich der praktischen Politik als auch in der Repräsentation durch Kunst und Literatur zentrale und leicht zu identifizierende Figur.

Während jedoch in der frühen Neuzeit die Figur des »professionellen Unterhändlers« verstärkt auftaucht, gibt es den Begriff des »Diplomaten« zu dieser Zeit noch nicht: Ob man ihn nun als »ehrenwerten Spion« (honnête espion), Agenten oder Botschafter bezeichnet, der »Diplomat« bleibt schwer zu fassen. In der jüngsten Geschichtsschreibung gelten die Verhandlungspraktiken als besonders fruchtbares und vielversprechendes Forschungsfeld für unser Wissen über die Akteure der auswärtigen Beziehungen. Zugleich wird zunehmend aber auch die Entstehung einer besonderen diplomatischen Kultur zur Kenntnis genommen, die von Personen getragen wird, welche – zum Teil ausschließlich – mit zwischenstaatlichen Verhandlungen beauftragt sind. Diese Kultur beruht auf einem bestimmten Habitus, auf einer besonderen sozialen Stellung und einer bestimmten Geisteshaltung bzw. Weltanschauung. Mithin liefern diese Elemente einen ersten Hinweis auf die Herausbildung einer unterscheidbaren Berufsgruppe innerhalb der gesamten staatlichen Verwaltung. Jedoch hebt die Vielzahl der Verbindungen, die zwischen der Welt der Diplomaten und strukturierteren Gruppen, wie etwa der Gelehrtenrepublik oder der Welt der Kaufleute und Bankiers bestehen, die Durchlässigkeit hervor, die die international bedeutenden Netzwerke kennzeichnet – was wiederum eine strikte Definition der diplomatischen Akteure erschwert.

Darüber hinaus verändern sich die diplomatischen Praktiken zwischen dem Spätmittelalter und dem 19. Jahrhundert, so dass sich die Frage stellt, welche Triebkräfte dieser Entwicklung zugrunde gelegen haben.
Ziel dieser in Paris vom 14. bis zum 17. Juni stattfindenden internationalen Tagung wird es daher sein, Handeln und Praxis des Diplomaten mit seinem »Berufsbegriff« und Selbstverständnis zu konfrontieren, und dabei die Konturen einer »Identität des Diplomaten« näher zu definieren. Themenvorschläge, die einen vergleichenden Ansatz bieten, werden dabei bevorzugt. Insbesondere folgende Perspektiven können in Betracht gezogen werden, ohne hierdurch jedoch die Vielzahl der mit dem Thema verbundenen Fragen ausschöpfen zu wollen:

1. Praktiken, die seit dem Mittelalter in der Diplomatie zu Alleinstellungsmerkmalen des »Diplomatenberufs« geworden sind.
Die hier zu nennenden besonderen Herangehensweisen an die Schriftlichkeit, die Lektüre und die Kommunikation, eine gewisse Kunst der Rhetorik, aber auch Formen der durch die diplomatischen Aktivitäten eingeführte – oder diese auch beeinflussende – Geselligkeit verdienen in diesem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit. Zudem ist zu hinterfragen, inwiefern diese Praktiken zu denen anderer Netzwerke in Beziehung stehen, etwa zu denen in der Gelehrtenrepublik, in Händlernetzwerken oder auch in familiären oder religiösen Strukturen. Anschließend kann so die Frage gestellt werden, ob die Zugehörigkeit der Diplomaten zu verschiedenen Netzwerken eine Besonderheit dieses neuen Berufsstandes ist oder ob dadurch seine Unterscheidbarkeit zu anderen Berufen womöglich eher behindert wird. Des Weiteren könnte untersucht werden, welche Rolle die Religion in der Aktion der Diplomaten spielt und auf welche Weise die Genese des modernen Staates seinen Beruf neu definiert: Werden die Diplomaten im Kontext des Erstarkens der Territorialstaaten und zu einer Zeit, in der die Staatsgrenzen in den Mittelpunkt der internationalen Verhandlungen rücken, zu Experten von »Alterität«?

2. Der Status des Diplomaten sowie der Begriff des »Berufs«
Verhandlungen werden immer häufiger »Experten« übergeben, die sämtliche »Regeln der Kunst« beherrschen. Wenngleich viele Texte diese Regeln darlegen, so ist damit für die Identität des Unterhändlers als Experte für Verhandlungen und für »Alterität« noch keineswegs alles erklärt. Braucht es für den »Beruf« des Diplomaten besondere Kenntnisse? Welche Verbindung besteht zwischen dem Beruf und diesen Kenntnissen? Woran erkennt man einen Berufsdiplomaten in der frühen Neuzeit? Weshalb wird man Unterhändler? Unterscheidet sich diese Aktivität so sehr von anderen, dass gleichsam ein neues Korps entsteht, das dieselbe Ethik, denselben Geist und dieselbe Haltung teilt? Und in materieller Hinsicht: Kann man von dem Beruf des Diplomaten leben? Diese Frage steht im Zusammenhang mit der Entlohnung und den materiellen Lebensgrundlagen der Diplomaten, die wiederum eng verbunden ist mit der Stellung, welche diese in den »öffentlichen Angelegenheiten« einnehmen. Zur Beantwortung dieser Fragen kann beispielsweise die Art und Weise, wie das Institut der Immunität von den verschiedenen Akteuren betrachtet und genutzt wird, interessante Beiträge leisten.

3. Die Voraussetzungen und Modalitäten der Anstellung eines Diplomaten und die soziologische Zusammensetzung des »diplomatischen Korps«
Die Diversität scheint hier die Regel zu sein: Bewerbung um bestimmte Posten, Anstellung durch die Regierungen, Bedeutung familiärer Verbindungen, Patronage und Zugehörigkeit zu bestimmten Klientelverbänden. Lässt sich hier die Entstehung eines »modernen« Berufes beobachten, der auch dem Wandel von Vorstellungen, die man sich von ihm macht, ausgesetzt ist? In dieser Hinsicht kann die Repräsentation des Diplomaten in literarischen Fiktionen und in der Ikonographie erhellende Analysehilfen bieten: Beiträge von Kunsthistorikern und Literaturwissenschaftlern zu dieser Tagung sind deshalb sehr willkommen. Darüber hinaus kann die Sicht verschiedener Institutionen auf die Diplomaten – z.B. die der Ausländerpolizei in Paris – eine Ergänzung oder einen Kontrapunkt zum Bild des idealen Diplomaten liefern. Sodann erlaubt es die wichtige Rolle der Kaufleute in der Diplomatie, die Verbindungen zwischen ihrer Welt und der der Unterhändler genauer zu erforschen. Zum Schluss – und last but not least – können auch Blicke auf die Aktionen von Frauen in der Diplomatie der weiteren Erforschung der diplomatischen Kultur äußerst dienlich sein, zumal im Hinblick auf ihre Rolle in den Netzwerken und ihre besondere Stellung auf dem »Arbeitsmarkt« der frühen Neuzeit.

4. Der Beruf des Diplomaten im Alltag, zwischen Diversität und Vereinheitlichung.
Auch dieser Aspekt soll speziell untersucht werden; Dabei soll vor allem der Frage nach der Anerkennung des Diplomaten nachgegangen werden. Dieser Begriff umfasst grundlegende Realitäten für die Ausübung des Berufs. Die Frage nach dem Charakter ist hierbei wesentlich und von zentraler Bedeutung. Es muss dann zum einen definiert werden, worin eine diplomatische Mission eigentlich besteht. Zum anderen muss den multiplen Realitäten des Berufs Rechnung getragen werden: Der Alltag eines Botschafters hat häufig nur wenig mit dem eines Konsuls, eines Agenten oder eines Gesandten einer wenig bedeutenden Macht gemein. Die Interaktionen zwischen den Diplomaten und der sie umgebenden Gesellschaft nehmen in dieser Perspektive eine besondere Bedeutung ein.

Die Vorschläge (kurzer Lebenslauf mit Publikationsliste und ein kurzes Abstract von max. 2000 Zeichen) sind bis spätestens 16. Oktober 2016 an folgende Adresse zu senden: identitedudiplomate@dhi-paris.fr

Wissenschaftliches Komitee:
Rainer BABEL (Deutsches Historisches Institut Paris)
Lucien BÉLY (Universität Paris-Sorbonne)
Sophie CŒURÉ (Universität Paris-Diderot)
Indravati FÉLICITÉ (Universität Paris-Diderot et Paris-Sorbonne)
Martin KINTZINGER (Westfälische Wilhelms-Universität Münster )
Thomas MAISSEN (Deutsches Historisches Institut Paris)
Jean-Marie MOEGLIN (Universität Paris-Sorbonne)
Marie-Louise PELUS-KAPLAN (Universität Paris-Diderot)
Géraud POUMARÈDE (Universität Bordeaux-Montaigne)
Éric SCHNAKENBOURG (Universität de Nantes)
Alexandre STROEV (Universität Sorbonne-Nouvelle)

Programm

Kontakt

Rainer Babel

DHIP, 8 rue du Parc-Royal, 75003 Paris

rbabel@dhi-paris.fr

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