Fragen nach Möglichkeit, Gestalt und Wandel sozialer Ordnung stehen im Zentrum sozial- und kulturwissenschaftlicher Forschung. So unterschiedlich die theoretischen Perspektiven und die empirischen Befunde sein mögen – ihnen liegen stets bestimmte Ordnungsvorstellungen zugrunde. Regeln und Regelmäßigkeiten sollen herausgearbeitet, Muster identifiziert und Strukturen sichtbar gemacht werden. Das ist aber nur die eine Seite. Ordnungskonzeptionen gehen stets mit spezifischen Vorstellungen von Nicht-Ordnung einher. Was Ordnung ist, lässt sich nur in Abgrenzung von ihrem Außen bestimmen, und so vielfältig die Raum-, Zeit-, Sinn-, Macht-, Wissens-, Wirtschafts-, Verfassungs-, Geschlechter-, Liebes-, Glaubens- usw. -ordnungen, so heterogen sind die Gestalten dessen, was aus ihnen herausfällt. In den sozial- und kulturwissenschaftlichen Theorien taucht dieses Andere allerdings meist nur ex negativo als Ausnahme, Abweichung, Mangel, Opposition, Störung oder Rauschen auf. Weil von der Ordnung her gedacht wird, schrumpft ihr Anderes zum Epiphänomen. Die vorliegende Ausgabe des „Behemoth“ versucht diesen Bias zu vermeiden und eine neue Forschungsperspektive zu eröffnen, indem ihre Autorinnen und Autoren die Blickrichtung ändern. Das Andere der Ordnung bleibt dabei auf diese bezogen, aber Vorrang erhält, was sonst lediglich als Problemanzeige und Kontrastfolie fungiert. Nicht die elaborierten sozial- und kulturwissenschaftlichen Semantiken der Ordnung, sondern die im Vergleich dazu weit weniger ausgearbeiteten Semantiken des Irregulären und Außerordentlichen, des Exzeptionellen und Amorphen, des Ereignishaften und Inkommensurablen stehen im Mittelpunkt. Gesichtet werden sowohl empirische Figuren und Idealtypen als auch Theorien des Anderen der Ordnung.
TABLE OF CONTENTS
Artikel
Mitteilung der Herausgeberinnen und Herausgeber Natascha Adamowsky, Ulrich Bröckling, Wolfgang Fach, Rebecca Pates, Ralf Poscher, S. 3
Editorial Ulrich Bröckling, Christian Dries, Matthias Leanza, Tobias Schlechtriemen, S. 4–10
In Verteidigung der Korruption – eine postfundamentalistische Perspektive Oliver Marchart, S. 11–27
Grenzrauschen. Zur Figur des Parasiten in der Systemtheorie Matthias Leanza, S. 28–47
Irrtum und Irritation. Für eine kleine Soziologie der Krise nach Foucault und Luhmann Andreas Folkers, Il-Tschung Lim, S. 48–69
Das Dunkle ist mehr als die Abwesenheit von Licht. Zum Eigensinn des Anormalen Natascha Adamowsky, S. 70–83
Liebe und Verbrechen Bernhard Giesen, Marco Gerster, Kim Claude-Meyer, S. 84–102
„Zusammenhanglose Bevölkerungshaufen, aller inneren Gliederung bar“. Die Masse als das Andere der Ordnung im Diskurs der Soziologie Susanne Lüdemann, S. 103–117
„A Measure of Disorder“ – Entropie als Metapher für das Andere der Ordnung Robert Feustel, S. 118–139
The Problem of Order and the Specter of Chaos Robert Seyfert, S. 140–157
„Theoretizismus“ – Eine Kritik aus pragmatischer Sicht Marc Rölli, S. 158–176
Reviews
Guerillakommunikation. Bielefeld. transcript. 2012. Hagen Schölzel Adele Garnier, S. 177–181