Comparativ, Heft 3/1999

Titel der Ausgabe 
Comparativ, Heft 3/1999
Weiterer Titel 
Eisenhüttenstadt

Erschienen
Erscheint 
ISBN
3-933240-25-5

 

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Institution
Comparativ. Zeitschrift für Globalgeschichte und Vergleichende Gesellschaftsforschung
Land
Deutschland
c/o
Comparativ Universität Leipzig Leipzig Research Centre Global Dynamics IPF 348001 Ritterstrasse 24 04109 Leipzig GERMANY e-mail: comparativ@uni-leipzig.de
Von
Middell, Matthias

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Andreas Ludwig
"Traum der Zukunft Wirklichkeit". Stadtgeschichte, Selbstbild, Fremdbild in Eisenhüttenstadt 9 Brigitte Vogel
Kulturelles Leben in Stalinstadt zwischen Politisierung und "Eigen-Sinn". Ansätze zu einem deutsch-deutschen Vergleich städtischer Kulturpolitik in den fünfziger Jahren 21
Dorothée Kohler
Der Stahlstandort Eisenhüttenstadt: ein "sozialistisches" Fos-sur-mer? 33 Rainer Weinert
Technische Innovation im Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) als Entscheidungsproblem der Wirtschaftsführung der DDR 52 Valérie Lozac’h
Die kommunale Wirtschaftsförderungspolitik vor neuen Herausforderungen 86 Gerhard Schürer
Eisenhüttenstadt EKO 100
Diskussion zum Beitrag von Gerhard Schürer 106

Forum

Hartmut Elsenhans
Individualistische Strategien der Haushalte zur Zukunftssicherung: Grundlage für den Niedergang des wohlfahrtsstaatlichen Kapitalismus 114

Bericht

Deutschlandbilder Frankreichbilder 17001840 (Thomas Höpel) 143

Buchbesprechungen

Laura Brace, The idea of property in seventeenth-century England. Tithes and the individual, Manchester/New York 1998 (Roland Ludwig) 146 Sepp Linhart/Erich Pilz (Hrsg.), Ostasien. Geschichte und Gesellschaft im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1999 (Steffi Richter) 148 Christof Dipper, Rainer Hudemann, Jens Petersen (Hrsg.), Faschismus und Faschismen im Vergleich, Köln 1998 (Friedemann Scriba) 151 Christian-Georg Schuppe, Der andere Droysen. Neue Aspekte seiner Theorie der Geschichtswissenschaft, Stuttgart 1998 (Gabriele Lingelbach) 154 Bücher ohne Verfallsdatum. Rezensionen zur historischen Literatur der neunziger Jahre, hrsg. von Peter Schöttler und Michael Wildt, Hamburg 1998 (Matthias Middell) 157

Resümees/Abstracts 161

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 167

Resümees

Andreas Ludwig
"Traum der Zukunft Wirklichkeit". Stadtgeschichte, Selbstbild, Fremdbild in Eisenhüttenstadt

Der Autor untersucht das Bild Eisenhüttenstadts, das die Publizistik und die belletristische Literatur seit den Aufbaujahren verbreitet hat, und die Etappen im Wandel der Selbstwahrnehmung und der Darstellung vom pathetischen Aufbruch in die Zukunft und den schweren Anfangsjahren über die Erfolgsgeschichte, die Betonung der sozialpolitischen Leistungen und der Produktionserfolge, bis zum Gründungsmythos und Gegenstand der Geschichtsschreibung. Zwei Argumentationslinien, die sich seit den fünfziger Jahren herausgebildet haben, durchziehen noch heute die Wahrnehmung: der Mythos des Aufbaus und die Suche nach Normalität. Das Bedürfnis Eisenhüttenstadts nach einer neuen Funktion nach 1989 drückt sich in der anhaltenden Diskussion um ein neues Selbstbild aus.

"Dream of the Future Reality": Urban History, Self-Image, and Imposed Identities in Eisenhüttenstadt
by Andreas Ludwig

The author explores the images of Eisenhüttenstadt which have been published in the mass media and in literature since its founding. The various phases in changing self-perceptions and representations include the lofty pathos of the founding period, the difficulties of the early years, the success story, the emphasis on social and political achievements and on productivity, the origin myth, and Eisenhüttenstadt as an object of historical research. Two lines of argument, which were first developed in the 1950s, have shaped perceptions up to the present: the myth of the Aufbau ("starting from scratch") and the search for normality. The need for a new function after 1989 has produced a continuing discussion concerning a new self-image for Eisenhüttenstadt.
Brigitte Vogel
Kulturelles Leben in Stalinstadt zwischen Politisierung und "Eigen-Sinn". Ansätze zu einem deutsch-deutschen Vergleich städtischer Kulturpolitik in den fünfziger Jahren

Die Autorin erörtert den Aufbau des Kulturlebens in der 1950 gegründeten "Stalinstadt" (1961 Eisenhüttenstadt), die für die Arbeiter des neuen Eisenhüttenkombinats Ost errichtet wurde. Die kulturelle Entwicklung in Stalinstadt war eng mit der offiziellen Kulturpolitik der jungen DDR verbunden: "Kultur für jedermann" sollte auch den unteren Schichten einen Zugang zu Kunst und Bildung ermöglichen. Die Autorin untersucht die Grundzüge der Umsetzung der offiziellen Kulturpolitik und die Resonanz der in Berlin zentralistisch beschlossenen Kulturpolitik bei der (durchgehend jungen) Bevölkerung. Das wird anhand des "Kulturbundes", des Bereichs "Künstlerisches Volksschaffen/Volkskunst" und des Friedrich-Wolf-Theaters untersucht. Ein Vergleich mit dem kulturellen Leben der ebenfalls in den fünfziger Jahren aufgebauten westdeutschen Industriestadt Wolfsburg schließt sich an.

Cultural Life in Stalinstadt between Politicization and "Eigensinn":
by Brigitte Vogel

The author examines the creation of cultural facilities and programs for the city of Stalinstadt (as of 1961 Eisenhüttenstadt), which was built for the workers in the new steel production complex Eisenhüttenkombinat Ost. The development of cultural life in Stalinstadt was closely tied to the official cultural policy of the newly founded GDR: "Culture for Everyone" was supposed to make the arts and education available to the lower social strata. The author investigates the implementation of official cultural policy, which was centrally planned in Berlin, and the resonance which it found among the relatively young city residents. The most important examples include the Kulturbund (a mass organisation devoted to popular education and the arts), the area of "künstlerisches Volksschaffen/Volkskunst" (creative arts for the people and people’s or folk art), and the Friedrich Wolf Theater. The paper also includes a comparison with cultural life in the West German city of Wolfsburg, which was also developed in the 1950s.
Dorothée Kohler
Der Stahlstandort Eisenhüttenstadt: ein "sozialistisches" Fos-sur-mer?

Im Mittelpunkt des Beitrags steht ein Vergleich Eisenhüttenstadts mit Fos-sur-mer, einem Stahlstandort der gleichen Generation in Frankreich. Die Autorin deckt das Wirken der staatlichen und industriellen Logik bei der Herausbildung eines neuen Raumes um die neugeschaffenen Industriepole auf und beschreibt Analogien der Industrialisierungspolitik. Wenngleich der Industrialisierungs- und Stadtbildungsprozeß von Eisenhüttenstadt mit dem der traditionellen kapitalistischen Industriestädte nichts gemein hat, plädiert die Autorin dafür, daß man nicht von vornherein jede Ähnlichkeit zwischen der Industrie- und der Entwicklungspolitik in Ost- und Westeuropa von der Hand weisen sollte, wenn der Staat die Initiative zur Schaffung industrieller Standorte ergreift. Am Beispiel von Fos-sur-mer wird gezeigt, daß Eingriffe des Staates in die Eisen- und Stahlindustrie und die Einbeziehung dieses Industriezweiges in die Raumordnungspolitik keine nur sozialistischen Regierungen vorbehaltenen Mittel sind.
The Steel Town Eisenhüttenstadt a "socialist" Fos-sur-mer?
by Dorothée Kohler

This paper compares Eisenhüttenstadt with Fos-sur-mer, a steel production site in France, which came into being at approximately the same time. The author describes the logic of state and industrial policy and points to analogous processes in the formation of spatial arrangements surrounding newly created industrial centres. Although the processes of industrialisation and urban development in Eisenhüttenstadt did not resemble corresponding processes in traditional capitalist industrial cities, the role of the state in the creation of new industrial sites does account for some similarities between industrial and developmental policy in Eastern and Western Europe. The example of Fos-sur-mer shows that the role of the state in the iron and steel industry and the meaning which this branch of industry acquires in regional planning is not unique to socialist governments.
Rainer Weinert
Technische Innovation im Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) als Entscheidungsproblem der Wirtschaftsführung der DDR

Der Autor geht im Rahmen von Innovationstheorien sozialistischer Gesellschaften der Frage nach, ob der Schumpetersche Innovationsbegriff auf Planungsökonomien anwendbar sei. Seine These, daß Innovationsprozesse und Innovationspolitik in Planungsökonomien einen eigenen Charakter hatten, prüft er anhand der Stahlindustrie der DDR und der Investitionsentscheidungen im Eisenhüttenkombinat Ost in den achtziger Jahren. Das Fallbeispiel, das zeigt, daß der Prozeß der technologischen Erneuerung durch die Abhängigkeit von rahmenpolitischen Vorgaben technikfremden Zwängen unterworfen war, wird in die Innovationspolitik der DDR-Wirtschaftsführung insgesamt eingebettet.

Technological Innovation in the Eisenhüttenkombinat Ost (EKO) as a Problem in Decision Making for Economic Planning in the GDR
by Rainer Weinert

With reference to theories of innovation in socialist societies, the authors asks whether Schumpeter’s concept of innovation is applicable to planned economies. His thesis is that both the politics of innovation and actual processes of innovation have a unique character in planned economies. This thesis is tested in an examination of the steel industry of the GDR and, more particularly, of decisions regarding investments in the Eisenhüttenkombinat Ost, a steel factory in Eisenhüttenstadt, in the 1980s. This example shows that the process of technological innovation was subordinated to political factors which were not related to technology. In conclusion, the author discusses the significance of this example for the politics of technological innovation in economic planning in the GDR.
Valérie Lozac’h
Die kommunale Wirtschaftsförderungspolitik vor neuen Herausforderungen

Für Eisenhüttenstadt, das zur DDR-Zeit als Experimentierfeld für das Organisationsmodell der Planwirtschaft konzipiert wurde, war der Schritt in die Marktwirtschaft äußerst schwierig: Die industrielle Aktivität in der Kommune beruhte auf Bedingungen, die heute obsolet sind. Nach der "Wende" verlor Eisenhüttenstadt seine zentrale wirtschaftliche Bedeutung und wurde zu einer industriellen Krisenstadt am östlichen Rand des vereinigten Deutschlands und an der Peripherie der EU. Der Beitrag untersucht die Folgen für die kommunale Wirtschaftsförderungspolitik angesichts des heute in Westeuropa zunehmenden Engagements der Städte im wirtschaftlichen Bereich. Dazu werden die Aufgaben und Instrumente der Wirtschaftsförderungspolitik und ihre konkreten Anwendungen sowie die vielfältigen Schwierigkeiten, vor denen die kommunale Wirtschaftsförderung in Eisenhüttenstadt steht, erläutert.

New Challenges to Urban Policies of Economic Development
Valérie Lozac’h

For Eisenhüttenstadt, which was conceived as an experimental field for the organisational model of the planned economy in the GDR, the transition to the market economy was extremely difficult. Industrial activity in this city was based on conditions which are now obsolete. After the transition of 1989/1990, Eisenhüttenstadt lost its central economic significance and became a crisis-ridden industrial city on the eastern border of a unified Germany and on the periphery of the European Union. This paper examines the consequences for local economic developmental policy in light of the contemporary tendency in Western Europe for cities to become increasingly engaged in economic matters. This involves an analysis of both the concrete tasks and instruments of economic developmental policy and the many difficulties with which local economic development in Eisenhüttenstadt is confronted.
Gerhard Schürer
Eisenhüttenstadt EKO

Der ehemalige Vorsitzende der Staatlichen Plankommission der DDR berichtet aus seinem persönlichen Erleben über die Gründung des EKO und der Stadt Eisenhüttenstadt und über deren Stellenwert in der Wirtschaftspolitik der DDR. Um den metallurgischen Zyklus zu schließen, erarbeitete er 1983 mit den Ministern für Metallurgie, Außenhandel, Bauwesen und Schwermaschinenbau eine Politbüro-Vorlage zur Errichtung eines Warmwalzwerkes, die auch beschlossen wurde. Ähnliche Pläne gab es schon länger, sie wurden jedoch seit 1953 zurückgestellt. Die Bauarbeiten für die Warmwalzstraße wurden nun 1987 auf Betreiben des Wirtschaftssekretär der SED, Günter Mittag, abgebrochen. Für das EKO war das im Moment der Öffnung 1990 ein deutlicher Standortnachteil und gefährdete dessen Fortbestehen. Schürer berichtet über die Privatisierung des EKO und die Umstände für das Überleben des Stahlstandortes Eisenhüttenstadt bis 1997, als endlich eine Warmbandstraße ihren Betrieb aufnahm.

Eisenhüttenstadt EKO
by Gerhard Schürer

In this paper, the former chair of the state planning commission of the GDR reports from personal experience on the founding of the EKO and the city of Eisenhüttenstadt and on their significance for economic policy in the GDR. In order to complete the cycle of metal production, he worked together with the ministers for Metallurgy, Foreign Trade, Civil Construction, and Heavy Machine Construction in 1983 in order to draft a Politburo plan for the construction of a hot rolling mill. The plan was subsequently implemented. Similar plans had been formulated earlier, but they were tabled in 1953. Construction of the hot mill train was interrupted in 1987 at the instigation of Günter Mittag, the Economic Secretary of the SED (Socialist Unity Party). This put the EKO at a clear disadvantage when the economy was opened to the West in 1990. In fact, its continued existence was endangered. Schürer reports on the privatisation of the EKO and the circumstances surrounding the survival of the steel production site Eisenhüttenstadt until the year 1997, when a hot rolling mill finally began operating.

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