WerkstattGeschichte 17 (1997), 6

Titel der Ausgabe 
WerkstattGeschichte 17 (1997), 6
Zeitschriftentitel 
Weiterer Titel 
Neue Verhältnisse

Erschienen
Hamburg. 1997: Ergebnisse Verlag
Preis
48 DM jaehrlich zuzueglich Versandkosten

 

Kontakt

Institution
WerkstattGeschichte
Land
Deutschland
c/o
transcript Verlag, Hermannstraße 26, 33602 Bielefeld, Tel. +49 521 393797 0, Fax: (0521) 39 37 97 - 34
Von
Redaktion H-Soz-Kult, HSK

Inhaltsverzeichnis

Themen

Joan W. Scott
Nach der Geschichte?

Dirk van Laak
"Nach dem Sturm schlägt man auf die Barometer ein..." Rechtsintellektuelle Reaktionen auf das Ende des "Dritten Reiches"

Susanne Koestering
"Pioniere der Rohstoffbeschaffung". Lumpensammler im Nationalsozialismus, 1934 - 1939

Irene Stoehr
Der Mütterkongress fand nicht statt. Frauenbewegung, Staatsmänner und Kalter Krieg 1950

Debatte

Alf Lüdtke
Alltagsgeschichte: Aneignung und Akteure. Oder - es hat noch kaum begonnen!

Peter Schöttler
Deutsche Historiker im Nationalsozialismus - 10 Thesen

Fußnote

Jeanette Hofmann
.... eine ganz normale Unwahrscheinlichkeit. Luhmanns "Liebe als Passion" von unten gelesen

Expo-Kritik

Parteiauftrag (Andreas Malycha)

Aufbau in Ost und West (Ina Merkel)

Rezensionen

Otto Ulbricht (Hg.)
Huren und Rabenmütter (Ulrike Gleixner)

Italien in frühen Photographien (Ulrich Wyrwa)

Thomas Lindenberger
Politik der Straße (Heinz-Gerhard Haupt)

Klaus Weinhauer
Arbeiterkampf im Hamburger Hafen (Eric. D. Weitz)

Polizei im Nationalsozialismus. Eine Sammelbesprechung (Herbert Reinke)

Gerd Paul
Staatlicher Terror (Jens Banach)

Norbert Frei
NS-Vergangenheit und die Bundesrepublik (Dirk van Laak)

Michael Brenner
Nach dem Holocaust (Andreas Reinke)

Peter Bauer
Konsens, Konflikt und Kompromiss (Felix Muehlberg)

Ulrike Poppe et al.
Zwischen Selbstbehauptung und Anpassung  (Bernd Lindner)

Joachim Walther
Sicherungsbereich Literatur (Barbara Miller)

Editorial

"Neue Verhältnisse" kann man eingehen, beenden oder verhindern, man kann auf der Verliererseite stehen, sich anpassen, von ihnen profitieren. Sie werden geschaffen, ausgehandelt oder oktroyiert; sie entstehen, unvorhergesehen, aus bestimmten Konstellationen. Sie zwingen zum Handeln und Umdenken. Der Titel dieses themenfreien Heftes von WerkstattGeschichte lässt die unterschiedlichsten Assoziationen zu und eignet sich gerade deswegen als Rahmen für die vier thematisch, methodisch eigenständigen und voneinander unabhängigen Beiträge, die wir in diesem Heft präsentieren. Der Titel verweist aber auch auf Gemeinsamkeiten. In allen Aufsätzen geht es darum, wie Akteure und Redeweisen in unterschiedlichen Epochen und gesellschaftlichen Machtpositionen "Neue Verhältnisse" schaffen oder auf diese reagieren.

So hat die Rede vom "Ende der Geschichte" ein neues Nachdenken über Geschichte als Konstruktion in Gang gebracht. Joan W. Scott greift eine aktuelle Debatte dieses ausgehenden Jahrhunderts auf und kritisiert Fukuyamas "frohe Botschaft", mit dem Ende des Kommunismus und dem Sieg von liberaler Demokratie und Kapitalismus sei die Geschichte zu ihrem Ende gekommen. Sie stellt den Widersinn dieser These heraus und durchdenkt einige der damit verbundenen Paradoxien des geschichtswissenschaftlichen Handwerks. Gegen die naive Illusion einer greifbaren Geschichte und gegen die Besitzansprüche der "Betroffenen" an ihrer Geschichte richtet Scott ihr Plädoyer einer Rekonzeptualisierung der Historiographie. Dirk van Laak analysiert die alerte Wendigkeit, mit der rechte Intellektuelle auf die "Neuen Verhältnisse" nach 1945 reagiert haben. Die geistigen Kollaborateure des NS-Regimes, zumeist Protagonisten aus dem rechten intellektuellen Laboratorium der 20er Jahre, die sich als geistige Elite ihrer Zeit verstanden und die Ideologie des Nationalsozialismus entscheidend geprägt haben, zogen sich auch im Nachkriegsdeutschland nicht zurück. Die von ihnen geprägten Stichworte blieben nicht ohne Folgen für die politischen Kultur der deutschen Bundesrepublik. Ihre Netzwerke waren ungemein produktiv und die selbsternannte "Deutungselite" formulierte das, was die meisten Deutschen nicht auszusprechen wagten.

Susanne Koestering analysiert die Etablierung "Neuer Verhältnisse" in der NS-Altstoffwirtschaft, die mit der Zerstörung der Berufsgruppe der Lumpensammler im nationalsozialistischen Deutschland einherging, einer verachteten, aber dennoch von einem eigenen Berufsstolz geprägten Gruppe, in der Juden und sozial Benachteiligte einen großen Anteil ausmachten. Ein Großteil der Sammler wurde aus dem Beruf verdrängt und ausgeschlossen. Das Regime versuchte darüber hinaus, die selbstbestimmte Tätigkeit, bei der es auf die "Spürnase" der Sammler ankam, für die ideologische Durchdringung der Gesellschaft zu instrumentalisieren und über die Altstoffsammler gleichsam bis an die Türschwelle der Haushalte heranzukommen. Koestering geht den Methoden dieser Zurichtungen nach und fragt nach ihren Grenzen.

Am Beispiel eines gescheiterten Kongressprojektes im Jahr 1950 zeigt Irene Stoehr, wie sehr die Ende der 40er Jahre wiederentstehenden Frauenbewegungen in Westdeutschland zwischen die Fronten des Kalten Krieges gerieten. Die "Neuen Verhältnisse", die der Kalte Krieg festschrieb, veränderten die frauenpolitischen Konstellationen in Westdeutschland innerhalb weniger Wochen. Stoehr weist nach, da- Frauen sich jedoch keineswegs aus der Politik zurückgezogen haben. Statt dessen zerbrach der Nachkriegskonsens, dass Frauen eine besondere und bedingungslose Verantwortung für die Erhaltung des Friedens hätten. Behaupten konnten sich diejenigen Frauenbewegungen, die ein pragmatisches Politikverständnis entwickelten und Ansätze einer systemübergreifenden Friedenspolitik, wie sie im Konzept der "Mütterlichkeit" enthalten waren, als "gefühlsbestimmt" ablehnten.

Im Debattenteil dieses Heftes setzen wir die Diskussion um Alltagsgeschichte fort, die sich auf der Tagung der Herausgeberinnen und Herausgeber im Juni des letzten Jahres entspann und im Heft 15 mit einem Beitrag von Philipp Sarasin eröffnet wurde. In diesem Heft antwortet Alf Lüdtke, dass diese "chose" keineswegs zu den Akten gelegt werden kann. Außerdem veröffentlichen wir die Thesen von Peter Schoettler, die er anlässlich einer Podiumsdiskussion zur Rolle von Werner Conze und Theodor Schieder im Nationalsozialismus vorgelegt hat, sowie seinen Aufruf an den deutschen Historikerverband, die Beteiligung von Historikern an der Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus einzugestehen und, wenn auch verspätet, die Erinnerung an die ermordeten oder vertriebenen Kolleginnen und Kollegen wachzuhalten.

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