Titel
Americanism. New Perspectives on the History of an Ideal


Herausgeber
Kazin, Michael; McCartin, Joseph A.
Erschienen
Anzahl Seiten
279 S.
Preis
€ 16,37
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Gassert, Deutsches Historisches Institut, Washington, DC

Dieser Sammelband stellt keine Intervention in eine wissenschaftliche Debatte dar. Vielmehr handelt es sich um ein Zeitdokument, das faszinierende Einblicke in die durch den „Krieg gegen den Terror“ ausgelösten inneramerikanischen Deutungskämpfe im frühen 21. Jahrhundert eröffnet. Der Band fasst die Ergebnisse einer Tagung an der Georgetown University zusammen, die auf dem Höhepunkt der Irak-Debatte im März 2003 veranstaltet wurde. Unter den Autoren und Herausgebern sind führende social und labor historians der USA, von denen insbesondere Michael Kazin sich 2002/03 in Editorials gezielt in die Irak-Debatte einmischte.1 Sie wenden sich einerseits gegen den Militarismus und den unilateralen Interventionismus der Regierung Bush (bzw. deren intellektueller Wasserträger), andererseits aber auch gegen einen Amerikanismus als Chauvinismus ablehnende multikulturelle Linke. Gegen naiven Hurra-Patriotismus und extreme politische Selbstkasteiungen suchen sie den „middle ground“ traditionell (links-) liberaler Lesarten „amerikanischer Werte“ wieder stärker zu behaupten.

Unter „Amerikanismus“ werden von den Herausgebern weniger Besonderheiten von Kultur und Gesellschaft der USA im internationalen Vergleich verstanden (was der Begriff außeramerikanisch meist impliziert). Vielmehr meint Amerikanismus einen nicht völlig beliebigen, aber historisch wandelbaren Kanon von politischen Idealen und sozialen Werten – Selbstregierung, Chancengleichheit, bürgerliche Freiheits- und Abwehrrechte sowie ein tief eingewurzelter Fortschrittsglauben – für den Amerika seit jeher stehe. Da sich über Inhalt und Tragweite dieser Werte trefflich streiten lässt, hat ein so verstandener „Amerikanismus“ nicht selten zentrifugale Tendenzen entfalten können (und wurde z.B. in der Debatte über die Sklaverei sowohl zur Rechtfertigung als auch zur Abschaffung des Status quo ins Feld geführt). Andererseits setzten universale „amerikanische Werte“ angesichts des multi-ethnischen Charakters der US-Gesellschaft auch innere Kohäsionskräfte frei. Die Herausgeber betonen deshalb in der Einleitung (nicht zuletzt um die neo-progressive Agenda gegen den Vorwurf des Anti-Amerikanismus zu immunisieren), dass Kritik an herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen in der Vergangenheit stets an den Versprechen der Unabhängigkeitserklärung und der Verfassung angeknüpft habe.

Verschüttete progressive Traditionen eines liberalen Amerikanismus und Patriotismus für die Gegenwart fruchtbar zu machen, ist demnach das Hauptanliegen des Sammelbandes. Fast mechanisch folgen die Herausgeber einem tief eingewurzelten amerikanischen Exzeptionalismus, indem sie universale Wertbezüge und nicht kulturelle Besonderheiten als den Kern nationaler Identitätsfindung in den USA behaupten. Scharf ins Gericht gehen sie mit radikalen Selbstkritikern wie zum Beispiel Noam Chomsky und Martha Nussbaum, die „Anti-Amerikanismus als die einzig wahrhaftige Einstellung“ sähen und Patriotismus als gefährliche Legitimationsideologie ablehnten. Adressaten des Bandes sind daher überwiegend nicht die ohnehin rettungslos verlorenen, weil naiv die Flagge schwingenden Konservativen. Vielmehr fordern die Herausgeber zu einem Umdenken innerhalb des (links-)liberalen Lagers auf, das Patriotismus als positiven Wert wieder neu entdecken müsse. Progressive Intellektuelle, so die ritualisierende Selbstanklage, hätten in den vergangenen Jahrzehnten keine volkstümliche Sprache gefunden. Man habe das Feld den Konservativen überlassen, die ungestört die Agenda gesetzt hätten. Dem Präsidentschaftskandidaten der Demokratischen Partei 2004, John Kerry, wirft Gary Gerstle beispielsweise vor, er hätte nicht allein seinen Einsatz in Vietnam als patriotische Pflicht offensiv vertreten müssen, sondern auch seine Kritik an diesem Krieg.

Geschichte wird hier in kritischer Absicht dezidiert für Gegenwartsfragen fruchtbar gemacht. Naturgemäß lassen sich die Einzelbeiträge auf dieses Postulat eines neo-populistischen Progressivismus mit unterschiedlicher Intensität ein: Mia Bay etwa spürt dem Amerikanismus unter freien und versklavten Afroamerikanern nach, die im 19. Jahrhundert die Revolution als „unfinished business“ verstanden hätten. Indes ist sich die Autorin durchaus bewusst, dass der Rekurs auf die revolutionären Ideale nicht selten eine taktische Dimension besaß (wie sie selbst am Beispiel von Federick Douglass argumentiert). Jonathan Hansen setzt sich mit liberalen Intellektuellen des frühen 20. Jahrhunderts auseinander (unter anderem mit Louis Brandeis, W.E.B. Du Bois, Horace Kallen, Randolph Bourne und John Dewey), die die Prämissen des klassischen Liberalismus hinterfragten, der das Individuum theoretisch frei von ethnischen Bindungen sah. Stephen Whitfield entdeckt den als naiven Chauvinisten seiner meiner Meinung nach missverstandenen Künder des amerikanischen Jahrhunderts, Henry Luce, wieder, der amerikanische Vorherrschaft als die Vorherrschaft nicht nur liberaler, sondern auch sozialer Werte gesehen habe.

Einige der Essays thematisieren die ambivalenten Resultate früherer Ansätze, die Geschichte der USA im Sinne eines progressiven Amerikanismus und liberalen Patriotismus neu zu deuten. Gary Gerstle hält die Versuche von Regisseuren wie Ken Bruns und Stephen Spielberg für gescheitert, mit dem Bild des „Bürgers in Uniform“ (citizen soldier) den Amerikanischen Bürgerkrieg und den Zweiten Weltkrieg im Kontext der jüngsten „history wars“ neoprogressiv umzudeuten. Weil sich ihre Filme auf den einzelnen Soldaten und dessen heroische, individuelle Pflichterfüllung konzentrieren und die Kriegserfahrung nicht in ihren sozialen Kontext gestellt hätten, habe es beispielsweise „Saving Private Ryan“ konservativen Apologeten der amerikanischen Weltmission leicht gemacht, diesen Film für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Gerstle macht auf einen Grundunterschied zwischen Kriegen der Liberalen (Zweiter Weltkrieg und Vietnam) und dem neokonservativen Interventionismus der Gegenwart aufmerksam. Weil unter Nixon die Wehrpflicht abgeschafft worden sei, falle gesellschaftliche Kritik an überseeischen Engagements seither gedämpfter aus. In jüngster Zeit scheint sich jedoch das Blatt zu wenden, weil die unerwartet langen Dienstzeiten in Afghanistan und Irak den Rückhalt für diese Kriege vor allem unter den ursprünglich als Wochenendkrieger angetretenen Nationalgardisten (und ihren Familien) schwinden lässt.

Alan McPherson greift die heftigen Debatten über den spanisch-amerikanischen Krieg 1898 und den daran anschließenden vierjährigen Guerilla-Krieg gegen die philippinischen Nationalisten als Parallele zur Gegenwart auf. Wie im Falle der Vietnam-Kritiker in den 1960er-Jahren oder der heutigen Irak-Gegner, standen im Fokus der Auseinandersetzungen um die Politik von Präsident McKinley weniger das Leiden der Filipinos und der Filipinas (bzw. der Irakis heute) als die Opfer, die amerikanische Soldaten brachten, die Auswirkungen der Debatten zwischen Imperialisten und Anti-Imperialisten auf den inneren Zusammenhalt der USA und die Folgen der Foltervorfälle auf den Philippinen für Amerikas Moral. McPhersons Beitrag macht eine Blindstelle des neoprogressiven Amerikanismus offenkundig. Selbst wer wie Spielberg im Opfer der „greatest generation“ einen liberalen Impuls sehen möchte, unterschätzt den multinationalen Charakter dieses Krieges. Zwar gingen die USA aus dem Zweiten Weltkrieg als die stärkste Macht der Erde hervor und waren insofern der eigentliche Gewinner. Doch Hauptlast des Kampfes gegen NS-Deutschland trugen andere Völker, insbesondere die Völker der Sowjetunion, aber auch die Briten und die Völker des Empire, deren Beitrag in Filmen über die „greatest generation“ meist unerwähnt bleibt oder marginalisiert wird (übrigens auch in Ken Burns jüngster PBS-Serie „The War“). War der Zweite Weltkrieg auch für Amerika ein „guter Krieg“, so war er eben nicht Amerikas Krieg allein. Obwohl der Band mit drei Beiträgen zur Außenwahrnehmung des Amerikanismus (Jun Furuya zu Japan, Rob Kroes und Louis Menand zu Frankreich) inneramerikanische Debatten in transnationale Diskurse einzubetten sucht, kommt man um das kritische Fazit nicht herum, dass das anspruchsvolle Programm eines neo-progressiven Patriotismus, wie es Kazin und McCartin vertreten, doch eng einer amerikanischen Binnenperspektive verpflichtet bleibt.

Anmerkung:
1 Vgl. Kazin, Michael, The Best Dissent Has Never Been Anti-American, Washington Post, 9. Februar 2003.

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