K. Andresen: Widerspruch als Lebensprinzip

Cover
Titel
Widerspruch als Lebensprinzip. Der undogmatische Sozialist Heinz Brandt (1909-1986)


Autor(en)
Andresen, Knud
Reihe
Politik- und Gesellschaftsgeschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
€ 34,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Wilke, Berlin

Das außergewöhnliche Leben des Sozialisten Heinz Brandt hat seinen Biografen gefunden. Knud Andresen hat eine auch sprachlich überzeugende Biografie geschrieben, die einen Wesenszug von Brandt im Titel hervorhebt: „Widerspruch als Lebensprinzip“. Widerspruch gegen Krieg, Ausbeutung, die Diktaturen und als Atompazifist gegen die Kernkraft. Sein Glaube an den Sozialismus, auf den er hoffte als die gerechte Welt und für den er kämpfte als Mitglied der KPD, der SED, der SPD und der IG-Metall, gab ihm die Glaubenskraft, den Widerspruch auch in und gegenüber den Organisationen der Arbeiterbewegung zu leben.

Geboren in einem jüdischen Elternhaus in Posen, KPD-Mitglied 1931, Widerstand, 1934 verhaftet, Haftstrafe, danach die Konzentrationslager Sachsenhausen, „die Hölle“ Auschwitz, „der Dschungel“, in dem der Häftling keine Sekunde Pech haben durfte, und schließlich Buchenwald. Zum Schwur der befreiten Häftlinge im April 1945 hob auch er die Hand. Zurück in Berlin begann der Lebensabschnitt als KPD/SED-Funktionär, dies blieb er bis 1954. Der 17. Juli 1953, die Entstalinisierung, die ungarische Revolution 1956 und einer Reise nach Moskau, wo er das Ausmaß des stalinschen Terrors erfuhr, dem auch sein Bruder zum Opfer gefallen war, führten zum Bruch mit der SED. Freunde, die sich viel früher von der KPD trennten, verhalfen ihm zu Kontakten mit dem Ostbüro der SPD; 1958 Flucht nach West-Berlin, 1959 Neuanfang im Westen als Redakteur der Zeitung der IG Metall. 1961 kidnappte ihn das MfS in West-Berlin, das Oberste Gericht der DDR verurteilte ihn nach einem Beschluss im SED-Politbüro mit drei weiteren Angeklagten zu 13 Jahren Zuchthaus, es folgten zwei Jahre Isolierungshaft in Bautzen. Eine internationale Solidaritätskampagne, 1962 erklärte ihn amnesty international zum politischen Gefangenen des Jahres, erkämpfte seine Freiheit. Politisch blieb der Bruch mit der SED nicht der letzte seines Lebens. Er unterstützte die Studentenbewegung, demonstrierte gegen Atomkraftwerke und mischte sich als Atompazifist in die Friedensbewegung gegen den NATO-Doppelbeschluss ein. Er forderte Solidarität mit der polnischen Solidarnosc gegen die sowjetische Interventionspolitik und trat gegen die "Einäugigen" auf, für die nur die westlichen Atomraketen den Frieden bedrohten und die bered über die sowjetischen schwiegen. Er schloss sich den Grünen an. In all diesen Wandlungen folgte er als ethischer Sozialist seinem visionären Ziel einer humanen Welt: „Ein Traum, der nicht entführbar ist“, so der Titel seiner Autobiografie, die er 1967 veröffentlichte. Diese persönliche ethische Überzeugung schuf eine innere Distanz zu den Parteien und Organisationen der Arbeiterbewegung, für die Brandt arbeitete und die ihm die Kraft gaben zum Bruch. Seine Loyalität galt der Idee, nicht der Organisation oder Partei, die für ihn Werkzeug blieb. Hier lag die Quelle seiner Kraft und Motivation für sein Leben im Widerspruch.

Andresen hat anhand einer unvollendeten Auschwitz-Erzählung Brandts Traum rekonstruiert. Auf diese Weise hat er eine beeindruckende Biografie über diesen ethischen Sozialisten geschrieben, der seiner Idee treu blieb in den wechselnden Konstellationen seines Lebensweges: Um die Welt zu verändern, wurde er Kommunist. Seinen Widerstand gegen die nationalsozialistische Barbarei setzte er auch als Häftling, als Angehöriger der „Kampfgruppe Auschwitz“, fort. Der Schwur von Buchenwald für eine von Faschismus und Krieg befreite Menschheit ließ ihn an den demokratischen Neuanfang der Kommunisten glauben – so wurde er SED-Funktionär. Der Bruch kam, als sich diese Hoffnung als Illusion erwies. Entschlossen begann er anschließend einen neuen Widerstandskampf, diesmal gegen die SED-Diktatur und die bedrohliche Macht des sowjetischen Imperiums. Als Atompazifist lebte er in der Furcht, ein nuklearer Krieg könnte das Ende der Menschheit bedeuten, deshalb trat er für eine Politik der Entspannung und der Abrüstung ein, um gesellschaftliche Wandlungsprozesse in Ost und West zu ermöglichen. Wegen seiner Lebenserfahrung konnte er zivilen Widerstand gegen die kommunistischen Diktatoren, die eigene, die demokratische Selbstbehauptung, die Solidarität mit denen, die im sowjetischen Imperium um die Freiheit kämpften und die Unterstützung der Entspannungspolitik dialektisch miteinander verbinden. Er verstand sich als Versöhnler. Er glaubte, der Mensch sei lernfähig und könne umkehren und damit sich selbst aus ideologischer Verstrickung lösen. In dieser Gewissheit dachte er, Veränderungen im Westen wie im Osten sollten sich evolutionär vollziehen – auch wenn ihre Konsequenzen revolutionäre sein sollten.

Andresen versteht es, den Lebensweg von Brandt immer in den Kontext der politischen Entwicklung zu stellen, um seine Entscheidungen und politischen Positionen nachzuvollziehen. Was er über die Familie, Kindheit und Jugend und die Freundeskreise herausfand, erforderte geradezu detektivische Fähigkeiten bei der Spurensuche. Er ist ehrlich genug, um im Dank an seine Frau anzudeuten, dass er oft aufgeben wollte. Zum Glück hat Andresen es nicht getan.

Brandt war keine „führende Persönlichkeit“ der Arbeiterbewegung, auch kein bedeutender Theoretiker. Worin lag seine Bedeutung in der westdeutschen Linken, die eine solche Biografie rechtfertigt? Die Antwort liegt in der Authentizität seiner Biografie. Er hatte all die Geschichte erlebt, mit deren Lasten und Folgen sich die Neue Linke in den 1960er-Jahren auseinander setzen musste: den Nationalsozialismus in unserem Land, den Stalinismus in KPD/SED, die deutsche Teilung und die angebliche sozialistische Alternative DDR im Vergleich zur von dieser linken Generation als restaurativ empfundenen Bundesrepublik. Seine Autobiografie ein „Traum, der nicht entführbar ist“ erschien 1967 zeitgerecht und diente allen in der Außerparlamentarischen Opposition (APO) als Orientierung, die weder der SED dienen wollten, indem sie sich der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) anschlossen, noch in Mao-tse-Tung ihr neues Idol sahen und erneut begannen, Stalin zu studieren. Er sprach somit Suchende an, die von der Realpolitik der SPD, ihrer Koalition mit der CDU/CSU abgestoßen waren, aber wie Brandt den richtigen sozialistischen Weg suchten.

Für Andresen war diese Autobiografie eine doppelte Herausforderung. In ihr fehlte das private Leben des Menschen Brandt, und ob sein politischer Bericht, den er über seine Zeitzeugenschaft abgab, der Nachprüfung standhielt, das war die Frage.

Eine Lücke muss erwähnt werden. Über die Jahre als SED-Funktionär schwieg er. Walter Ulbricht stand 1967 noch immer an der Spitze der SED. Er musste also Rücksicht nehmen auf frühere Freunde, Weggefährten, die noch in der DDR lebten, die er nicht gefährden wollte. Offen schrieb er nur über Robert Havemann, Karl Schirdewan, Hans Jendretzky als Reformer und die Gegner Hermann Axen und den Mithäftling in Auschwitz Bruno Baum, der nur einmal zitterte, als im Frühjahr 1953 die Kaderakten der jüdischen SED-Funktionäre eingesammelt wurden. Drei Jahre später feierte er überschwänglich den sowjetischen Panzereinmarsch in Budapest im November 1956.

Diese Biografie ist ein wichtiger Beitrag zur Zeitgeschichte und dies in vielfacher Hinsicht. Hervorzuheben sind die Bereiche Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Geschichte des Kommunismus und der SED/DDR, aber sie ist auch bedeutsam für die Geschichte der außerparlamentarischen Bewegungen der Bundesrepublik vor 1989. Abschließend sei angemerkt, dass Heinz Brandt kein Grab hat, er wollte es nicht. Seine Begründung für diesen letzten Widerspruch: Der eine Teil meiner Familie starb im Völkermord an den europäischen Juden der Nationalsozialisten und der andere Teil wurde in Stalins Archipel Gulag verscharrt, die Erinnerung an sie hat keinen Ort und das soll auch für mich gelten. Nun hat ihm Knud Andresen einen würdigen intellektuellen Gedenkstein gesetzt.

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