H. Elzer: Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar

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Titel
Die deutsche Wiedervereinigung an der Saar. Das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen und das Netzwerk der prodeutschen Opposition 1949-1955


Autor(en)
Elzer, Herbert
Reihe
Geschichte, Politik und Gesellschaft 8
Erschienen
Anzahl Seiten
1040 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Johannes Großmann, Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte, Universität des Saarlandes

Um das Buch von Herbert Elzer besser einordnen zu können, lohnt ein Blick auf die Forschung der letzten 20 Jahre zu den deutsch-französischen Beziehungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier lassen sich zwei mehr oder weniger geschlossene Denkschulen ausmachen. Eine erste Gruppe von Historikern um Rainer Hudemann war seit Mitte der 1980er-Jahre darum bemüht, das ursprüngliche Bild einer harten französischen Revanche- und Reparationspolitik in den unmittelbaren Nachkriegsjahren zu hinterfragen. Auf Basis umfangreichen französischen Quellenmaterials wurde das Bild einer Politik gezeichnet, die von Anfang an durch Demokratisierung, Kooperation und strukturelle Vernetzung im europäischen Rahmen auf eine langfristige Sicherheitsgarantie gegenüber Deutschland abgezielt habe. Am pointiertesten hat Dietmar Hüser diese Interpretation in seiner Untersuchung über die „doppelte Deutschlandpolitik“ Frankreichs formuliert.1 Demnach hätten die – allerdings von inneren Konflikten gezeichneten und zur Rücksichtnahme auf die Stimmung der eigenen Bevölkerung gezwungenen – französischen Akteure während der Besatzungszeit vor allem im gesellschaftspolitischen Bereich entschiedener und kreativer gehandelt als Briten oder Amerikaner. Die deutsch-französische Annäherung, so die indirekte Schlussfolgerung, habe deshalb nicht erst mit dem europäischen Integrationsprozess oder gar erst mit dem Versöhnungswerk De Gaulles und Adenauers ab 1958 begonnen, sondern schon unmittelbar nach Kriegsende. Dies ist somit ein diplomatiegeschichtlicher Ansatz, der politische und gesellschaftliche Aspekte miteinander verbindet, und dabei strukturellen Entwicklungen Vorrang vor einer eher personenbezogenen Perspektive einräumt. Für die Saarfrage lässt sich die Meinung dieser Forschergruppe etwa folgendermaßen resümieren: Abstreiten französischer Annexionsabsichten an der Saar, Betonung der positiven Aspekte französischer Besatzungspolitik und eine prinzipiell neutrale Haltung gegenüber den Autonomiebestrebungen der damaligen saarländischen Regierung.2 Die Saarfrage wird also tendenziell als Chance für eine deutsch-französische Annäherung gewertet.

Die Gegenposition wird methodisch und inhaltlich durch Klaus Hildebrand inspiriert und findet ihren Ausdruck wohl am deutlichsten in einer Untersuchung von Ulrich Lappenküper und in einer verdienstvollen, von Hildebrand und Horst Möller herausgegebenen Quellenedition.3 Vorausgesetzt wird in diesen Publikationen, dass von deutsch-französischen Beziehungen frühestens ab 1949 gesprochen werden könne, da der französischen Regierung erst mit Gründung der Bundesrepublik eine verhandlungsfähige staatliche Vertretung gegenüberstand. Diese Position ist durchaus legitim und letztlich darauf zurückzuführen, dass sich ihre Verfechter schwerpunktmäßig auf staatliche Aktenbestände deutscher Provenienz berufen. Methodisch stellt dieser Ansatz eine deutlich enger gefasste Vorstellung von Diplomatiegeschichte dar, werden doch in erster Linie zwischenstaatliche Beziehungen untersucht, während nichtstaatliche Akteure eher weniger Beachtung finden. Im Vordergrund steht das Wirken bedeutender Politiker wie Konrad Adenauer, Robert Schuman und Charles de Gaulle, stehen griffige Fixpunkte wie der Schuman-Plan und der Élysée-Vertrag. Was die Saarfrage anbelangt, bedeutet das zunächst, dass der Zeitraum von 1945 bis 1949 faktisch ausgeklammert bleibt. Für diese Frühphase werden einer stärker als einheitlich wahrgenommenen französischen Politik potentiell revanchistische und annexionistische Bestrebungen nachgesagt. Im Hinblick auf die zwischenstaatlichen Beziehungen ab 1949 wird die Saarfrage in erster Linie als Hindernis interpretiert, das letztlich nur durch eine „Rückkehr“ der Saar zu Deutschland auszuräumen gewesen sei. Die französische Regierungspolitik und vor allem die Machthaber des teilautonomen Saarstaates schneiden weniger gut ab. Und genau diese Position vertritt auch Elzer in seiner umfangreichen Studie über das Bundesministerium für Gesamtdeutsche Fragen (BMG) und das Netzwerk der „prodeutschen“ Opposition an der Saar.

Bedenklich ist, dass Elzer die Vorgeschichte des „prodeutschen“ Oppositionsnetzwerkes und überhaupt die Entwicklung der Saarfrage vor 1949 nur in aller Kürze abhandelt (S. 45-50). Dies mag mit Blick auf die schwerpunktmäßig herangezogenen Quellenbestände aus dem Bundesarchiv in Koblenz schlüssig erscheinen, ist für eine derart ambitionierte Studie aber wenig verständlich. Schwerwiegender ist, dass Elzer eine inhaltliche Auseinandersetzung mit wichtigen, zumeist auf französischer Quellenbasis entstandenen Publikationen zur Saargeschichte mehr oder weniger kategorisch ablehnt.4 Wissenschaftlichen Regeln zuwider handelt Elzer schließlich, wenn er auf Basis von Quellen, die praktisch ausnahmslos aus der Feder „prodeutscher“ Gremien, Organisationen und Einzelpersonen stammen, ein vermeintlich objektives und abschließendes Urteil über die Natur des Saarstaates fällen will und dessen Machthabern vorwirft, ihre Politik „in beträchtlichem Maße auf ‘braune Elemente‘“ (S. 892) gestützt zu haben. In diesem Fall wäre es nützlich gewesen, die Forschung zum teilautonomen Saarstaat einzubeziehen. Auch hier wird ein kritisches und bei weitem nicht nur positives Bild von der Regierung Hoffmann gezeichnet, das jedoch Quellen verschiedener Herkunft gegeneinander abwägt und damit der tatsächlichen Komplexität der politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten an der Saar eher gerecht wird.5 Elzer wirft jedoch den Forscherkollegen ohne stichhaltige Argumente vor, die autoritären und menschenrechtsfeindlichen Züge der Saar-Regierung zu verschweigen oder gar schönzureden.

Zum schwierigen Duktus des Bandes gesellen sich methodische und handwerkliche Fragwürdigkeiten. Bereits der Umfang des Buches, spätestens aber die Lektüre des zehnseitigen Inhaltsverzeichnisses lassen erkennen, dass es sich bei Elzers Studie eher in erster Linie um eine akribische Materialsammlung handelt und weniger um eine fundierte Diskussion verschiedener Thesen. Eine Durchsicht der Anmerkungen erhärtet den Eindruck, dass der Autor sich weitgehend darauf beschränkt hat, aus der Fülle des zusammengetragenen Quellenmaterials zu zitieren. In einem ersten Teil beschreibt Elzer Entstehung, Entwicklung und außenpolitische Konzeption der für die Saarfrage zuständigen Abteilung III des BMG. Im zweiten Abschnitt finden sich Informationen zum Zusammenspiel des BMG mit einzelnen Parteien und Verbänden zwischen 1949 und 1954. Hier liegt auch der größte Erkenntnisgewinn des Bandes. Untersucht werden die „prodeutschen“ saarländischen Parteien, die Rolle der Katholischen Kirche, der Deutsche Saarbund, die Deutsche Saar-Zeitung und die Deutsche Aktion. Doch fehlt diesen im Stile von getrennten Einzelbeschreibungen angelegten Unterkapiteln wiederum die Auseinandersetzung mit den Thesen bereits vorhandener Forschungsliteratur. Auch die eindeutigen inhaltlichen und personellen Parallelen zur deutschen Saarpropaganda vor 1935 werden unterschlagen.6 Im dritten Teil wird geschildert, wie sich die Zusammenarbeit des BMG mit den genannten Institutionen im Zeitraum zwischen den Pariser Verträgen und der Abstimmung über das Europastatut am 23. Oktober 1955 entwickelte. Ein vierter und letzter Abschnitt beleuchtet „Spezialprobleme der Saararbeit des BMG“. Bei genauerem Hinsehen wird klar, dass sich Elzer hier unter anderem mit so zentralen Streitfragen wie der politischen Justiz im Saarstaat und der Ausweisungspraxis der saarländischen Regierung befasst.

Vor allem Elzers Schlussfolgerung erscheint unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten fragwürdig. Warum beansprucht Elzer auf Basis interner Dokumente einer Propagandaabteilung des BMG, ein objektives Urteil über den Saarstaat fällen und dabei einen überwiegenden Teil der bisherigen Forschung zur Saarfrage verwerfen zu können? Wer eine systematisierte und gut erschlossene Sammlung von Quellen aus den Saarbeständen des BMG sucht, dem sei das vorliegende Buch empfohlen. Nicht weniger aber eben auch nicht mehr weiß Elzer in seinem Mammutwerk zu bieten. Die wissenschaftliche Einordnung und Bewertung dieses Quellenmaterials bleibt ein Desiderat.

Anmerkungen:
1 Vgl. Hüser, Dietmar, Frankreichs „doppelte Deutschlandpolitik“. Dynamik aus der Defensive – Planen, Entscheiden, Umsetzen in gesellschaftlichen und wirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen Krisenzeiten 1944-1950, Berlin 1996.
2 Vgl. ausführlich: Heinen, Armin, Saarjahre. Politik und Wirtschaft im Saarland, 1945-1955, Stuttgart 1996.
3 Lappenküper, Ulrich, Die deutsch-französischen Beziehungen 1949–1963. Von der „Erbfeindschaft“ zur „Entente élémentaire“, 2 Bde., München 2001; Möller, Horst; Hildebrand, Klaus, Die Bundesrepublik Deutschland und Frankreich. Dokumente 1949-1963, München 1997 und 1999.
4 Die Darstellung von Heinen in Saarjahre verwirft er mit dem kaum nachvollziehbaren Hinweis, das Buch habe keinen „politischen Horizont“ (S. 28).
5 Vgl. neuerdings beispielsweise Linsmayer, Ludwig (Hrsg.), Die Geburt des Saarlandes. Zur Dramaturgie eines Sonderwegs, Saarbrücken 2007.
6 Zum Propagandanetzwerk vor 1935 vgl. beispielsweise neuerdings die Studie von Becker, Frank G., „Deutsch die Saar, immerdar!“ Die Saarpropaganda des Bundes der Saarvereine 1919–1935, Saarbrücken 2007.

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