C. Coester: Schön wie Venus, mutig wie Mars

Cover
Titel
Schön wie Venus, mutig wie Mars. Anna d`Este. Herzogin von Guise und von Nemours (1531-1607)


Autor(en)
Coester, Christiane
Reihe
Pariser Historische Studien 77
Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
408 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Antoinette Saxer, Queen Mary, University of London

Anna d’Este war eine bemerkenswerte Frau. In ihrer sorgfältig recherchierten Arbeit, die 2004 an der TU Berlin als Dissertation angenommen wurde, ist es Christiane Coester gelungen, zahlreiche Facetten dieser grande dame einzufangen. Umrahmt von der allegorischen Klammer „schön wie Venus, mutig wie Mars“ skizziert Coester die bewegte und bisher weitgehend unerforschte Lebensgeschichte der Herzogin von Guise und von Nemours.

Die Studie beginnt mit einer Beschreibung des aus diversen italienischen und französischen Archiven zusammengetragenen Quellenkorpus, deren wichtigste Gattung die persönliche Korrespondenz der Anna darstellt. Der zweite Teil der Einleitung ist der theoretischen Reflexion über die Problematik der wissenschaftlichen Biographie gewidmet, welche am Beispiel dreier Arbeiten über Katharina von Medici, Annas langjähriger Freundin und Vertrauten, aufgezeigt werden.1 Coester hebt die Kohärenz-Frage als eine Problematik der Biographie hervor und verweist auf die Gefahren, die aus einer chronologischen Ordnung von Ereignissen und Lebensabschnitten sowie aus psychologischen Deutungsversuchen erwachsen können. Der Autorin geht es darum, die lebensweltlichen Gestaltungsmöglichkeiten sowie die Agency ihrer Hauptfigur auszuloten. Daraus ergeben sich zwei Leitlinien der Arbeit, zum einen „Ereignisse aus dem Leben seiner Protagonisten ausführlich darzustellen“, zum anderen „sich der Rolle adliger Frauen für die Verwaltung von Familienbesitz und die Organisation der maison oder ihre Bedeutung für Erziehung und Karriereplanung für den Nachwuchs im Falle einer frühen Witwenschaft [zu] widmen“ (S. 23). Dies unternimmt sie in neun Kapiteln, die nun kurz vorgestellt werden sollen.

Das erste, sehr knapp gehaltene Kapitel ist der Darstellung Annas in der zeitgenössischen Malerei und Literatur gewidmet. Im Vordergrund stand die Schönheit der jungen, tugendhaften Frau, deren Bildnisse vom Vater im Rahmen seiner Heiratspolitik an europäischen Fürstenhöfen in Umlauf gebracht wurden. Elegien und Gedichte priesen – neben den Tugenden – die intellektuellen Fähigkeiten sowie die erstaunlich umfassende Bildung, die die Prinzessin genoss. Insgesamt zeichnet sich dennoch ein relativ stereotypes aristokratisches Frauenbild ab. In diesem Sinne stellt Coester fest: „Die schriftlichen Porträts in Form von Lobgedichten oder in den Erzählungen [...] erlauben es ebenso wenig, eine Aussage über die Person zu treffen, die sich hinter ihnen verbirgt, wie Gemälde, Zeichnungen und Emailmalereien“ (S. 46).

Ab dem zweiten Kapitel nähert sich die Autorin ihrer Hauptfigur dann anhand von Textquellen. Um argumentative Knotenpunkte herum spinnt Coester ein dichtes Netz aus deskriptiver Erzählstruktur.2 Detailreiche und multiperspektivische Einblicke – so die stark an Frankreich orientierte Kultur der Ferrareser Herzöge, Annäherungen an Annas Vater, Ercole II. d’Este, und an ihre Mutter, die Königstochter Renée de France, sowie einen allgemeineren Überblick über die Kindheitsjahre und Erziehung – begleiten die Leserin schrittweise vom Mädchen zur heiratsfähigen Frau. Das dritte Kapitel untersucht diverse für Anna entwickelte Heiratsprojekte, darunter mögliche Verbindungen mit dem Neffen des Papstes Pauls III. und mit dem polnischen Thronfolger, sowie die langwierigen Verhandlungen, welche schließlich zur Verlobung Annas mit François, dem Herzog von Aumale, später auch von Guise, führten. Im vierten Kapitel verlässt die Prinzessin ihre Heimat und tritt eine lange Reise nach Frankreich an. Mit großem Gespür für Einzelheiten gelingt es Coester, den Abschied, die Reise, die schrittweise Anpassung und Verwandlung der jungen, verheirateten Frau nachzuzeichnen. In Paris glänzte Anna, nicht zuletzt bei den zahlreichen repräsentativen Aufgaben, die sie schon kurz nach ihrer Ankunft im Namen der Guise wahrnahm. Sie war nun Mitglied einer der einflussreichsten französischen Adelsfamilien, welche in den einige Jahre später ausbrechenden Religionskriegen eine zentrale und kontroverse Rolle spielen sollte.

Ab dem fünften Kapitel, welches Anna in ihrer Funktion als Herzogin von Guise ins Rampenlicht rückt, erscheint die Protagonistin in einem anderen Licht. Sie ist nicht mehr nur Tochter, gute Partie oder tugendhafte Ehefrau. Anna gewinnt ein eigenständiges Profil – als Verwalterin von Haus und Gütern, als Mutter und Familienstrategin, als zweifache Witwe, als politische Informantin und Vermittlerin, und nicht zuletzt als Klägerin und Prozessführerin in zahlreichen straf- und erbrechtlichen Fällen. Die Darstellung der Lebensgeschichte verdichtet sich. Im Detailreichtum gehen allerdings Annas Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten sowie ihr einzigartiges Profil – als Tochter eines Katholiken und einer feurigen Calvin-Sympathisantin, als Ehefrau eines Katholiken und Hauptakteurs in den frühen Religionswirren – manchmal unter.

Das sechste Kapitel behandelt Annas erste Witwenschaft, die völlig unerwartet in ihr Leben einbrach, als François 1563 vom Hugenotten Jean de Poltrot erschossen wurde. Die näheren Umstände des Mordes, insbesondere die Verantwortlichkeit eminenter Hugenotten wie Gaspard de Coligny, des Prinzen von Condé und von Théodore de Bèze, bleiben hier bewusst ungeklärt (S. 185); ebenso die Frage nach möglichen Verbindungen zwischen dem Attentat auf François de Guise, dem Mord an Coligny 1572 und den Ereignissen der Bartholomäusnacht (S. 200). Im siebten Kapitel stellt Coester Annas zweites, nicht unumstrittenes Heiratsprojekt vor. Der zweite Ehemann, Jacques de Savoie, war in Paris eine wichtige Figur, als Herzog von Nemours und von Genevois war er allerdings an Frankreich ebenso gebunden wie an Savoyen. Die Jahre bis zu Jacques’ natürlichem Tod 1585 waren offenbar sehr glücklich. Annas Stellung und Ansehen bei Hofe waren ungebrochen, mit der fortschreitenden Krankheit ihres Gemahls übernahm sie als seine Stellvertreterin vermehrt repräsentative und politische Funktionen. Daneben standen ihre Bemühungen im Zusammenhang mit der Karriereplanung der Söhne, der Coester verschiedene Abschnitte widmet, im Vordergrund. Im weiteren Kontext der 1580er-Jahre, insbesondere der Aktivitäten der Ligue, der Ermordung (1588) ihrer Söhne Henri, dem Herzog von Guise, und Louis, dem Kardinal von Guise, sowie den durch die Ermordung Heinrichs III. (1589) neu entfachten Streitigkeiten um die französische Thronfolge eingebettet, behandelt das achte Kapitel Annas zweite Witwenschaft. In jenen Jahren, insbesondere nach dem Tod ihrer Freundin Katharina von Medici, ebenfalls 1589, avancierte Anna zur vermutlich einflussreichsten politischen Akteurin ihrer Zeit.

Im neunten und letzten Kapitel geht es Coester zunächst um das Verbleiben der sterblichen Überreste der grande dame und um die Pflege ihrer Memoria. Den Schluss bildet ein faszinierender Einblick in die Bibliotheksbestände des Hôtels de Nemours. Anna d’Este war nicht nur schön wie Venus und mutig wie Mars, sie war auch mächtig und gebildet. Dies mit großer Sorgfalt aufzubereiten, ist Christiane Coester gut gelungen – wie nicht zuletzt der Anhang veranschaulicht, der neben einem Inventar des Hôtels de Nemours beim Tod Annas 1607 auch Listen ihrer Kinder sowie die Genealogien der Familien d’Este, de Guise und de Nemours beinhaltet. Zwei Kritikpunkte, welche das Lesevergnügen und den positiven Gesamteindruck keineswegs schmälern, sollen hier dennoch Erwähnung finden. Der Versuch, den „Gegensatz zwischen narrativer und argumentativer Geschichtsschreibung aufzuweichen“ (S. 30), ist mutig. Widersprüchlichkeit und Greifbarkeit der außerordentlich spannenden Frauenfigur, die uns die Autorin präsentiert, scheinen jedoch ab und zu vom sozialen Beschreibungsgeflecht überdeckt worden zu sein. So stellt sich die Frage, ob einige zusätzliche analytische und synthetische Knotenpunkte, beispielsweise zu Annas politischen Leitgedanken und zu ihrer Agency während der Religionskriege, das Gesamtbild möglicherweise hätten abrunden können. Zweitens könnte der relativ extensive und durchwegs unübersetzte Gebrauch von lateinischen, mittelfranzösischen, italienischen und spanischen Originalzitaten, für Romanistinnen und Romanisten sicherlich erfrischend, einer breiteren Leserschaft Schwierigkeiten bereiten. Übersetzungen hätten der Verwendung des Buches im Sinne eines reichen und wertvollen Handbuches zu adligem Frauenleben im 16. Jahrhundert unter Umständen gedient.

Anmerkungen:
1 Jean-Hippolyte Mariéjol, Catherine de Médicis 1519-1589 (1920), Paris 1979; Sheila Ffolliott, Catherine de’ Medici as Artemisia: Figuring the Powerful Widow, in: Margaret W. Ferguson u.a. (Hrsg.) Rewriting the Renaissance. The Discourses of Sexual Difference in Early Modern Europe, Chicago 1986, S. 227-241; Janine Garrisson, Catherine de Médicis. L’impossible harmonie, Paris 2002.
2 Vgl. Einleitung, Vorüberlegungen zur Textgestalt, S. 28-31.

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