J. N. Bade (Hrsg.): Im Schatten zweier Kriege

Titel
Im Schatten zweier Kriege. Deutsche und Österreicher in Neuseeland im 20. Jahrhundert


Herausgeber
Bade, James N.
Erschienen
Bremen 2005: Edition Temmen
Anzahl Seiten
391 S.
Preis
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Andreas Hübner, Friedrich-Schiller-Universität

Die wachsende Bedeutung der Migrations-, Exil- und Flüchtlingsforschung hat in den letzten Jahren dazu geführt, dass abseits der klassischen geographischen Räume und Sozialisationskontexte, wie den USA, Südamerika oder etwa Afrika, neue interkulturelle Perspektiven erschlossen werden. In diesem globalgeschichtlichen Rahmen kann auch der Sammelband über Deutsche und Österreicher in Neuseeland im 20. Jahrhundert verortet werden. Ein homogenes Bild der deutschsprachigen Migration nach Neuseeland bzw. der deutsch-neuseeländischen Verknüpfungen entsteht dabei zunächst nicht.

Im ersten Teil des Sammelbandes, der die Periode der Weltkriege erfasst, skizziert Ian McGibbon die direkte Konfrontation zwischen deutschen und neuseeländischen Truppen im Ersten und Zweiten Weltkrieg, während Jean King die deutschfeindliche Hysterie an der neuseeländischen Heimatfront analysiert. Neben der Furcht vor subversiven Elementen, zum Beispiel in Form von deutschen Spionen, erkennt King vor allem zwei weitere Ausdrucksarten dieser Hysterie: Erstens, die legislative Einschränkung so genannter feindlicher Ausländer, zum Beispiel durch die Alien Enemies Acts, sowie die vereinzelte Internierung eben dieser auf der Somes-Insel (im Hafen von Wellington) und auf der Motuihe-Insel (im Hafen von Auckland). Dass diese Einschränkungen eine paradoxe Renaissance erleben sollten, arbeitet Ann Beaglehole anhand der Situation der Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland heraus. Bis 1939 gewährte Neuseeland etwa 1.100 jüdischen Flüchtlingen Asyl, denen die Neuseeländer mit starken antijüdischen und antideutschen Ressentiments begegneten. Wiederum griff das neuseeländische Parlament zu legislativen Maßnahmen – unter anderem waren Meldepflicht und Berufseinschränkungen die Folge. Beaglehole beschränkt sich jedoch nicht auf diese negativen Komponenten, sondern betont, dass die als race aliens eingestuften jüdischen Migranten in den monokulturellen neuseeländischen Städten der 1930er- und 1940er-Jahre durchaus eine Art Exotenstatus einnahmen und das Leben der Neuseeländer in den kommenden Jahren in vielerlei Hinsicht bereichern sollten. Diese Kernthese Beagleholes nehmen die Verfasser der späteren Kapitel immer wieder auf. 1

Im Mittelpunkt des zweiten Teils steht der deutsche Einfluss auf die neuseeländische Kulturszene. Dabei spielen die biographischen Skizzen deutsch-jüdischer Immigranten eine wesentliche Rolle. Die Schilderungen zu Karl Wolfskehl, Maria Dronke, Marie Vandewart Blaschke und Margot Philips repräsentieren exemplarisch den Wandel vom deutsch-jüdischen Exilanten über den befremdlichen Exoten zum Neuseeländer. So suchte beispielsweise der Dichter Karl Wolfskehl, der im Juli 1938 in Auckland eingetroffen war, schon bald nach seiner Ankunft den Kontakt zu neuseeländischen Schriftstellern und Künstlern. Während Wolfskehl auf der einen Seite für diese meist jungen Intellektuellen als eine Art Repräsentant europäischer Kultur fungierte, lernte er auf der anderen Seite die moderne angloamerikanische Literatur kennen. Auch die weiteren Aufsätze dieses Teils deuten die Reziprozität der kulturellen Beziehungen beider Länder an. Autorenstipendien in der Literatur, deutsche Investitionsfirmen im neuseeländischen Film sowie die Verflechtung europäischer und maorischer Elemente in der Kunst zeugen von der Mannigfaltigkeit bzw. der Wechselseitigkeit deutsch-neuseeländischer Verknüpfungen. Leider können die Verfasser der einzelnen Aufsätze das immense Potenzial dieser Verknüpfungen nicht vollständig erschließen – die Skizzenhaftigkeit des Mediums Sammelband lässt eine exaktere Betrachtung oftmals nicht zu. Besonders wünschenswert wäre diese bei den Schilderungen zu Friedensreich Hundertwasser gewesen, dessen Neuseelandreisen die spätere Einbürgerung des Künstlers sowie den Entwurf einer alternativen Neuseelandflagge zur Folge hatten.

Die Aufsätze des dritten und vierten Teils sind rein biographischer Natur. Die verschiedenen Verfasser verorten insgesamt siebzehn Lebensläufe aus der Welt der Wissenschaften sowie der Geschäfts- und Berufswelt, die exemplarisch die deutsch-neuseeländischen Verknüpfungen auf den jeweiligen Gebieten illustrieren. Dabei wird deutlich, dass in Bezug auf die Gruppe der deutschsprachigen Auswanderer eine periodische Differenzierung essentiell erscheint, unterscheiden sich die Muster der Emigration nach Neuseeland vor 1933, zwischen 1933 und 1945 sowie nach 1945 doch eklatant von einander.2 Joseph F. Küthze beispielsweise, dessen Werdegang vom Kadetten der deutschen Handelsmarine zum Pionier des neuseeländischen Brauereiwesens von Axel Laurs dargestellt wird, betrieb bis zu seinem Tod im November 1901 mehrere Brauereien in Neuseeland, die von den nachfolgenden Generationen der Familie fortgeführt wurden. Bei seiner Darstellung beschränkt sich Laurs auf den neuseeländischen Raum und vermeidet es, die Biographie Küthzes im transnationalen bzw. globalen Kontext zu eruieren, also zum Beispiel einen kurzen Blick in Richtung Nordamerika zu wagen.3 Eben diesen Blick riskiert Nelson Wattie am Ende seiner Schilderung zu Karl Popper. Geboren im Jahre 1902 als Sohn jüdischer Eltern in Wien erkannte Popper die Gefahr des Nationalsozialismus frühzeitig und emigrierte über England nach Neuseeland, wo er sich mit Arbeiten zur Gesellschaftstheorie als Philosoph einen Namen machte.4 Popper, der später nach England zurückging, wird von Wattie folgerichtig im Kontext der deutschen bzw. deutschsprachigen Juden verortet, die die Existenzfrage „Gehen oder Bleiben?“ mit der Emigration, hier nach Neuseeland, beantworteten.5

Weniger existenziell dürfte sich dieselbe Frage für die Emigranten nach 1945 dargestellt haben, wie auch der Beitrag von Rod Fisher über die deutschen Winzer in Neuseeland zeigt. Zwar ist Fishers historischer Abriss zur Verbindung zwischen den deutschen Immigranten und dem Weinbau in Neuseeland im letzten Kapitel des Sammelbandes, dass sich auf die deutsch-neuseeländischen Beziehungen in jüngster Zeit konzentriert, eingegliedert, jedoch greift Fisher wie die vorhergehenden Kapitel auf biographische Episoden zurück. Dabei zeichnet er das Bild einer symbiotischen Verflechtung: Deutsche Rebsorten und deutsches Fachwissen verbinden sich mit neuseeländischer Flexibilität und neuseeländischem Klima zu einem völlig neuen Weincharakter. Ein ähnlich optimistisches Bild der deutsch-neuseeländischen Verflechtungen versuchen auch die weiteren Aufsätze des letzten Kapitels zu zeichnen. Merklich sind die Autoren darum bemüht, Gedächtnis und Erinnerung der deutsch-neuseeländischen Vergangenheit aus dem Schatten der zwei Weltkriege zu zerren und die Heterogenität der Beziehungen beider Staaten zu betonen. So argumentiert zum Beispiel Raymond Miller, dass der Einfluss deutscher Immigranten maßgeblich zur Einführung des Mehrparteiensystems und zur Bildung alternativer grüner Parteien in Neuseeland beigetragen habe.

Mit dieser Argumentation deutet Miller die Stärken des vorliegenden Sammelbandes an. Es gelingt den Verfassern quasi als Gegenpol zum traditionellen Bild Neuseelands als eines auf Großbritannien ausgerichteten Landes neue interkulturelle Perspektiven zu öffnen.

Anmerkungen:
1 Vgl. auch Ann Beaglehole / Hal Levine, Being far from the Promised Land? Being Jewish in New Zealand, Wellington 1995.
2 Vgl. Brigitte Bönisch-Brednich, Auswandern. Destination Neuseeland. Eine ethnographische Migrationsstudie, Berlin 2002, S. 39.
3 Vgl. u.a. Jerry Apps, Breweries of Wisconsin, Madison 1992.
4 Karl Popper, Die offene Gesellschaft und ihre Feinde, Bern 1957.
5 Vgl. Marion A. Kaplan, Gehen oder Bleiben, in: Stiftung Jüdisches Museum Berlin und Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.), Heimat und Exil. Emigration der deutschen Juden nach 1933 (Begleitbuch zur Ausstellung „Heimat und Exil“), Berlin 2007, S. 31ff.

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