R. Easley: Emancipation of the Serfs in Russia

Titel
The Emancipation of the Serfs in Russia. Peace Arbitrators and the Development of Civil Society


Autor(en)
Easley, Roxanne
Reihe
BASEES/Routledge Series on Russian and East European Studies
Erschienen
London 2008: Routledge
Anzahl Seiten
226 S.
Preis
£ 85.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
David Feest, Seminar für mittlere und neuere Geschichte, Georg-August-Universität Göttingen

Friedensvermittler waren in der Geschichte Russlands nur eine flüchtige Erscheinung. Sie wurden nach der Bauernbefreiung 1861 eingesetzt, um Auseinandersetzungen zwischen den Gutsherren und den ehemaligen Leibeigenen um die Landzuteilung zu schlichten, die bäuerliche Selbstverwaltung aufzubauen sowie eine Reihe gerichtlich-polizeilicher Aufgaben auszuüben. Zunächst von der liberalen Öffentlichkeit enthusiastisch gefeiert, verloren sie bereits nach Ende der Landverteilung im Jahr 1863 erheblich an Bedeutung. Als die Institution des Friedensvermittlers im Jahr 1874 nach dreizehn Jahren ihrer Existenz endgültig abgeschafft wurde, hatte sie ihre besten Jahre schon lange hinter sich.

In einer neuen Monographie versucht nun die amerikanische Historikerin Roxanne Easley zu zeigen, dass die Relevanz der Friedensvermittler weit über ihre unmittelbaren Aufgaben und den relativ kurzen Zeitraum ihres Einsatzes hinaus reichte. Dabei setzt sie neue Schwerpunkte. Während die Friedensvermittler in der Forschung bislang besonders auf ihre soziale Zusammensetzung, Interessen und politische Ausrichtung hin erforscht worden sind, stehen in Easleys Untersuchung vor allem die neuen Formen der Interaktion im Zentrum, die zwischen den Friedensvermittlern und den örtlichen Gutsherren und Bauern auf der einen und der Autokratie und gebildeten Öffentlichkeit auf der anderen Seite entstanden. Die Tätigkeit der Friedensvermittler sei Mittelpunkt einer Entwicklung gewesen, in der unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen nun ihre Interessen nach neuen Regeln aushandelten, politische Meinungen ausbildeten und auf ihrer Grundlage horizontale Netzwerke schufen. Bereits im Titel macht Easley deutlich, worum es ihr im Kern geht: um die Anfänge und Chancen einer Zivilgesellschaft in Russland.

Dass diese Entwicklung letztlich kaum über Anfänge hinausging, begründet die Verfasserin damit, dass der autokratische Staat eine autonom handelnde lokale Gesellschaft nie ernsthaft wollte. Diese war, wie im ersten Kapitel dargelegt wird, vielmehr Resultat einer riskanten Strategie des Innenministeriums unter S. S. Lanskoi, liberale örtliche Adelige für die Umsetzung staatlicher Ziele zu kooptieren. Nur ihnen traute man zu, jenseits von korporativen Interessen, aber auch des unzuverlässigen bürokratischen Apparates, das Befreiungsprogramm der Regierung zu implementieren und die Ordnung in der Provinz aufrecht zu erhalten. Um ihre Unabhängigkeit von dem sie umgebenden Milieu zu gewährleisten, erteilte die Staatsmacht den Friedensvermittlern beispiellose Vollmachten. Zwar wurden sie von einer unter dem Vorsitz des Adelsmarschalls agierenden „Bezirksversammlung der Friedensvermittler“ und dem staatlichen „Amt für Bauernangelegenheit“ angeleitet, waren aber weder der Adelsversammlung, noch der örtlichen staatlichen Bürokratie Rechenschaft schuldig, sondern einzig dem Senat. Neben einem Besitz- und Bildungszensus war entsprechend eine positive Einstellung zur staatlichen Politik der Bauernbefreiung wichtigstes Kriterium für die Ernennung. Das Risiko, dass diese wesentlich durch politische Ideale geeinten Kräfte das Ferment einer lokalen Gegenöffentlichkeit werden könnten, wurde dabei in Kauf genommen. Diese Politik war, so der Titel des Kapitels, ein „gamble on the peace arbitrator“.

Es war nicht leicht, die Unabhängigkeit der Friedensvermittler von den lokalen Machtträgern zu gewährleisten. Das Prinzip, die neuen Beamten zwar aus dem örtlichen Adel auszuwählen, das Recht der Nominierung aber nicht deren Korporationen, sondern den Gouverneuren zu überantworten, wurde Anlass für langwierige Auseinandersetzungen mit den Gutsbesitzern. Auf der anderen Seite musste auch das Innenministerium nicht selten unmittelbaren Druck auf die Gouverneure ausüben, damit diese bestimmte Kandidaten aufstellten. Auf diese Weise waren unter den Friedensvermittlern der „ersten Generation“ viele, die kritische Ansichten gegenüber dem örtlichen Adel vertraten und sich dezidiert als Verteidiger bäuerlicher Interessen verstanden. Homogen war die Gruppe der Friedensvermittler jedoch zu keiner Zeit und neben Idealisten der ersten Stunde – unter ihnen spätere Berühmtheiten wie Lew Tolstoi oder die Brüder Samarin – fanden sich hier auch solche, die ihre eigenen Interessen durchsetzen wollten oder die vorwiegend durch das relativ hohe Gehalt angezogen worden waren. Die Ablösung von Innenminister Lanskoi durch P. A. Walujew im April 1861 führte zudem dazu, dass nun den Wünschen der Gutsbesitzer stärker Rechnung getragen wurde. Easley wertet dies als weitere strategische Entscheidung der Regierung, die nun einsah, dass sie der Unterstützung der Gutsherren bedurfte.

Das große Verdienst von Easleys Arbeit liegt indessen weniger in der Analyse der politischen Rahmenbedingungen, als vielmehr darin, dass auch der täglichen Arbeit der neuen Amtsleute in den Gemeinden ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Hier wird deutlich, wie idealistische Vorstellungen schnell mit den dörflichen Realitäten in Konflikt geraten konnten. Die Friedensvermittler standen mit den Worten Walujews zwischen „Bauern, die häufig die neue Situation nicht verstanden, und Gutsbesitzern, die sie häufig nicht verstehen wollten“ (S. 93). In beiden Fällen war das Verhältnis vielfach konfliktbeladen. Während Gutsleute in den neuen Beamten nicht selten ihre Gegner sahen, reagierten auch viele Bauern in einer Weise, die noch wenig von neuen Formen der Aushandlung von Interessen spüren ließ – sei es, dass sie den Friedensvermittlern als Adeligen misstrauten, sei es, dass sie deren Allmacht weit überschätzten. Doch auch die Friedensvermittler selbst vertraten beileibe nicht immer die neuen Prinzipien von Gesetzlichkeit und Öffentlichkeit, sondern fielen ebenso durch Bestechlichkeit und Gewalttätigkeit auf. Im Gouvernement Pskow richteten sich entsprechend dreißig Prozent der Beschwerden, die bei den Friedensvermittlern eingingen, gegen diese selbst. Trotzdem schätzt Easley die transformierende Wirkung der neuen Politik auf die Formen der Auseinandersetzung in den Gemeinden sehr hoch ein. Indem die vorher isolierten Gutsbesitzer und Bauern dazu gezwungen geworden seien, Eigentumsfragen auf dem Verhandlungsweg zu lösen, hätten sie damit begonnen, jeweils ihr eigenes politisches Programm zu entwerfen. Die Tätigkeit der Friedensvermittler habe so den „Hauch eines zivilen Lebens“ eingeführt und breite Kreise ermutigt, eine „politische Integration jenseits des ihnen vom Staat zugeschriebenen isolierten Status“ anzustreben (S. 143). Manche Friedensvermittler gingen in ihren politischen Ambitionen noch weiter. Der berühmte Fall von Twer, wo im Februar 1862 dreizehn Friedensvermittler die Übergabe des Bodens in Bauernhand und die Aufhebung von Standesprivilegien forderten, trug nicht wenig dazu bei, dass der autokratische Staat seine Strategie der örtlichen Mobilisierung neu überdachte.

Der Vorfall von Twer sorgte für ein breites öffentliches Echo, und so ist es durchaus konsequent, wenn Easley die Friedensvermittler mit der Herausbildung einer öffentlichen Meinung verknüpft und diesem Thema ein eigenes Kapitel widmet. Denn für die gebildete Öffentlichkeit, so kann sie anhand von publizistischen, aber auch belletristischen Texten zeigen, hatten sie gerade aufgrund ihrer Neu- und Andersartigkeit eine immense symbolische Bedeutung. Erfolg oder Misserfolg der Institution des Friedensvermittlers, so die Verfasserin, repräsentierten hier „als Miniatur den Erfolg oder das Scheitern der Reform als Ganzes“ (S. 173). Damit habe die Diskussion um die Friedensvermittler wesentlich dazu beigetragen, die Gesellschaft in die Großen Reformen einzubinden, die Politisierung der öffentlichen Meinung voran zu treiben und letztlich einen möglichen Opponenten zur Autokratie zu schaffen.

Easleys klar geschriebene Untersuchung nutzt das Thema der Friedensvermittler für eine wichtige Analyse der Wechselbeziehungen zwischen der autokratischen Reformpolitik, dem Entstehen einer Öffentlichkeit und Lokalpolitik. Dass die Diskussion um die Friedensvermittler gerade für die gebildeten Kreise eine wichtige symbolische Bedeutung hatte, indem sie half, politische Positionen schärfer zu konturieren, ist überzeugend. In Hinblick auf die Kreise und Gemeinden kann der behauptete Grad an Politisierung jedoch durchaus angezweifelt werden. Easleys Behauptung, horizontale Verbindungen seien hier erst infolge der Tätigkeit der Friedensvermittler nach 1861 hergestellt worden, unterschätzt die Wirksamkeit bereits bestehender Ordnungen. Tatsächlich hatten solche Verbindungen schon vorher bestanden, wenn auch nicht im Sinne zivilgesellschaftlicher Integration, sondern in Form von personellen Patronagenetzwerken, die ihren eigenen Regeln folgten. Auch Friedensvermittler, die Ideale von Gesetzlichkeit und Öffentlichkeit durchzusetzen trachteten, bewegten sich in diesen Netzwerken und mussten Konzessionen an sie machen. Eine Untersuchung dieser Begegnung findet aufgrund der Fixierung auf zivilgesellschaftliche Formen nicht statt. Bei ihrer Suche nach den Anfängen der Gesellschaft verliert Easley die bereits existierenden Gemeinschaften als ordnungsstiftende und normierende Instanzen etwas aus dem Blick. Ungeachtet dieser Kritik ist ihr ein packendes Buch gelungen, das quellennah und plastisch Einblicke in die frühen Versuche der russischen Autokratie bietet, den Staat aufs Dorf zu bringen.

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