Titel
Sports in American History. From Colonization to Globalization


Autor(en)
Gems, Gerald R.; Borish, Linda J.; Pfister, Gertrud
Erschienen
Champaign 2008: Human Kinetics
Anzahl Seiten
384 S.
Preis
$ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Orban, Historisches Seminar, Universität Erfurt

Dass Sportgeschichte keinesfalls nur ein überaus banales Spielfeld für „fans with typewriters“ darstellt, wie der gerne zitierte britische Sporthistoriker Tony Mason 1991 gezielt provokativ pointierte, sollte außer Frage stehen. Ebenso steht sie nunmehr nicht im Abseits; den Charakter eines „discrete historical ghetto“, so einst Masons warnende Formulierung, hat sie zweifelsfrei ablegen können. 1 Vielmehr liegt Sportgeschichtsschreibung, derweil erfreulicherweise auch hierzulande, gegenwärtig sowie in absehbarer Zukunft durchaus im Forschungstrend. Dies hat vor allem sicherlich damit zu tun, dass die beharrlich, zuvorderst vom australischen Sporthistoriker Douglas Booth auf dem Sportfeld gesäten „Seeds of a Postmodern Discourse“ mittlerweile im Begriff sind aufzugehen und erste Früchte zu tragen. Oder anders: Leicht verspätet haben die postmoderne Herausforderung und der cultural turn auch in der Sportgeschichte ein kulturwissenschaftlich-analytisches, transformatives Upgrade installiert. Hinsichtlich einer solchen produktiven Erweiterung und „neuen“ Positionierung der Disziplin zogen jüngst etwa Olaf Stieglitz, Jürgen Martschukat und Kirsten Heinsohn in ihrem Forschungsbericht bei H-Soz-u-Kult eine vorläufige Bilanz. Dort wird Sportgeschichte im eminent politischen Schnittfeld von Sozial-, Kultur- und Körpergeschichte verortet – und insofern eine ineinander verschränkte, sich wechselseitig bekräftigende „accommodation“ generiert, wie Booth diese Mittelposition bezeichnet. Sportgeschichte berge dementsprechend das Potenzial, so lesen wir in der Reportage, als „ein ideales Vehikel für die Analyse von soziokulturellen Ordnungsformen und Identitätsbildungen in modernen Gesellschaften, des Aushandelns, Ausagierens und Konterkarierens von Zuschreibungen sowie von Über- und Unterordnungen“ zu fungieren. 2 Ein dergestalt ausgerichtetes inklusives Forschungsdesign, das – dies sei hier betont – besonders den menschlichen Körper als zu historisierende Scharnierstelle in den Blick nimmt, akzentuiert die vielschichtige enorme Bedeutung von Sport und kann daher eine Sportgeschichtsschreibung wenig origineller Rekordlisten und Heldenepen (vermutlich eher der „Stoff“ für Fans) hinter sich lassen.

Was angloamerikanische sporthistorische Veröffentlichungen anbetrifft, so stehen der nach wie vor anhaltenden Flut an methodisch-theoretisch unreflektierten Geschichten in zunehmenden Maße auch Publikationen gegenüber, die die skizzierte Verschiebung facettenreich aufgreifen und von ihr nachhaltig profitiert haben. Als ein in vielen Punkten gelungenes Beispiel für diese sozial- und kulturhistorisch arbeitende Forschung darf “Sports in American History: From Colonization to Globalization“ gelten. Bei diesem Resultat der Kooperation dreier um Interdisziplinarität bemühter „intellectual teammates“ (S. vii), den anerkannten US-amerikanischen Sporthistoriker/innen Gerald R. Gems und Linda J. Borish sowie der deutschen Sporthistorikerin und -soziologin Gertrud Pfister, handelt es sich in erster Linie um ein Einführungs- und Überblickswerk, das sich vor allem an Studierende im multidisziplinären Bereich der Amerikanistik richtet. Zugleich vermag das Textbook aber nicht nur Sportnoviz/innen, sondern auch fortgeschrittenen Wissenschaftler/innen hilfreiche Anregungen zu offerieren. Denn abgesehen von der differenzierten Darstellung der komplexen historischen Entwicklung und Bedeutung des Sports im Konnex sich wandelnder US-amerikanischer Kultur und Gesellschaft „From Colonization to Globalization“, was bisher allenfalls Benjamin G. Rader und Richard O. Davies überzeugend geleistet haben 3, bieten Gems / Borish / Pfister fernerhin einigen bisher unterrepräsentierten Themen, Fragen und Gruppierungen Resonanz- und Spielraum. Insbesondere ist ihnen dabei Letzteres ein wichtiges Anliegen, da sie, gleichzeitig kultur- und sozialhistorisch gedacht, ihre eigene Position als AutorInnen explizit machen (keine objektive Pose vortäuschen) und zuvor unsichtbare, marginalisierte AkteurInnen in ihre somit politische Sportgeschichte einschreiben. Folgerichtig vermeiden sie die exklusiven wie redundanten (Meister-)Erzählungen weißer Männer über weiße Männer und entwerfen vielmehr ein inklusives Narrativ, welches speziell Minoritäten und Frauen große Aufmerksamkeit widmet und mithin ansatzweise der faktischen Diversität US-amerikanischer Kultur und Gesellschaft gerecht wird: „It is the sport history of those diverse Americans as well as the stories of the authors as they have experienced it in academic and athletic contexts“ (S. v).

Mit der stringent verfolgten Auffächerung der Vielfalt (etwa an sich wechselseitig bedingenden kulturellen Zuschreibungen und sozialen Praktiken) korreliert zudem die Konzeption des Sports als ein umkämpftes Terrain, wo im Sinne einer heterogenen und pluralistischen Geschichtsschreibung eine Vielzahl an Individuen sowie Kollektiven um Handlungs-, Gestaltungs- und Zugriffsmöglichkeiten, also um Positionen und Platzierungen hinsichtlich machtvoller Ressourcen ringen. Zumal dieser stetige, keineswegs voluntaristische bzw. egalitäre, hoch politische Aushandlungsprozess wiederum eine enge Verzahnung mit Zuschreibungen von Bedeutungen und Identitäten aufweist. Kurz gesagt markieren Gems / Borish / Pfister die historisierten Rollen unterschiedlicher Menschen in der sozialen (Re-)Produktion und Prägung amerikanischer (Sport-)Kultur. Direkt daran anknüpfend liegt es nahe, dass Sport nicht bloß als eine Reflexion soziokultureller Gesellschaftsordnung verstanden wird, sondern auch „as an agent of change“ (S. v) in den Fokus der Untersuchung rückt. Demnach veranschaulicht “Sports in American History“ gleichermaßen, wie Sport von verschiedenen Kräften geformt wurde und auf welche Weise Sport Kultur und Gesellschaft beeinflusste. Beispielsweise wäre ohne die Faktoren der Technologisierung und Urbanisierung der Fahrradboom Ende des 19. Jahrhunderts nur schwerlich denkbar; im Umkehrschluss ist die Einflussnahme des Fahrrades auf den Kleidungsstil weißer Mittelklassefrauen, ihr Freizeit- und Flirtverhalten, weibliche Körperbilder, identitäre Selbst- und Fremdentwürfe bzw. generell auf das viktorianische Geschlechterideal der separaten Sphären nicht zu unterschätzen. Wie dieses Beispiel – neben der exemplarischen politischen Verschachtelung von Sozial-, Kultur- und Körpergeschichte – demonstriert, muss notwendigerweise eine kritische Einbettung in die jeweiligen historischen Kontexte und Konfigurationen erfolgen, um die von Gems et al. intendierte Aufzeigung der häufig zentralen Rolle des Sports in soziokulturellen Prozessen bewerkstelligen zu können.

An das aufgeworfene Erfordernis der Einordnung und Verortung schließt sich unmittelbar die Frage nach der Struktur und Anlage des Buches an. In ihrer Beantwortung ist zunächst festzuhalten, dass die Betrachtung in neun Kapitel und zahlreiche Sektionen untergliedert ist, die sich vornehmlich an traditionellen historischen Zeitabschnitten orientieren und für jede Ära, von der vorkolonialen Epoche bis hin zur Globalisierung, eine sorgsame kontextuelle Anreicherung beinhalten. Indes sind die Kapitel nicht nur chronologisch (nach Ären) arrangiert, sondern zugleich auch nach Topoi (nach Themen, Fragen und Konzepten). Dabei ruht ein Hauptaugenmerk der flexiblen Darstellung, die so ganz bewusst Überschneidungen zwischen den einzelnen Abschnitten einschließt, Gedanken wieder aufgreift und weiterentwickelt, eigens auf wirkmächtigen, intersektionalen Strukturkategorien wie „Rasse“, Ethnizität, Geschlecht, Religion, soziale Klasse, Alter, Region und ihrer Bedeutung für das komplexe Konglomerat aus unter anderem Sport, Spiel und Gesundheit. Studierenden, den Hauptadressaten von Gems / Borish / Pfister, wird folglich mitnichten ein glattes, statisches „Wohlfühl-Narrativ“ vorgelegt. Vielmehr werden sie herausgefordert und durch die umfassende Absteckung des sportiven Feldes dazu befähigt, sich mit schwierigen und kontroversen Sachverhalten in verschiedenen historischen Konstellationen auseinanderzusetzen; und das angebotene Grundgerüst ermöglicht es ihnen, verstehen zu lernen, wie und warum Sport, gefasst als kulturelles und soziales Phänomen, mit diversen Facetten US-amerikanischer Kultur und Gesellschaft in wechselseitiger Beziehung steht. Zudem birgt „Sports in American History“ einige Features, die seinen Textbook-Charakter und seine Eignung als Grundlagentext für einen semesterlangen Kurs in Sportgeschichte unterstreichen. So beinhaltet jedes der neun Kapitel eingangs notierte (Lern-)Ziele, eine kurze Einführung, eine abschließende Zusammenfassung sowie einige Diskussionsfragen, die sich allesamt etwa für die Memorierung des Gelesenen und anschließende Besprechungen als durchaus hilfreich erweisen können. Überdies umsäumt den Text eine Timeline, wo signifikante (Non-)Sport-Ereignisse zur schnellen Referenz vermerkt sind. Weiterhin gibt es zwei Arten von Sidebars, die einerseits Schlüsselfiguren, Institutionen und ihre Sportinvolvierung beleuchten, beziehungsweise andererseits alternative, komparative Perspektiven implizieren, indem sportive Prozesse, Ereignisse und Sujets auf einer internationalen Ebene (vorzüglich der europäischen) eingefangen werden. Außerdem zieren unterstützend wie ergänzend abwechslungsreiche visuelle und schriftliche Primärquellen das Textbild. Als eine gelungene Abrundung ist eine umfangreiche Bibliografie anzusehen, die sowohl einen guten Querschnitt aktueller Forschungsarbeiten auflistet als und auch einige wichtige Materialien verzeichnet.

Resümierend gesprochen bietet die hier rezensierte, gut lesbare Publikation einen empfehlenswerten und anregenden Einstieg in das vielschichtige Feld US-amerikanischer Sportgeschichte. In „Sports in American History“ zeichnen Gems / Borish / Pfister ein breites Panorama – „From Colonization to Globalization“. Gleichwohl verzichten sie hierbei nicht auf ausgewogene, mit Analysen verknüpfte Detailliertheit. Darüber hinaus, was an dieser Stelle nochmals hervorgehoben sei, kann diese Lektüre im produktiven wie erfrischenden (Forschungs-)„middle ground“ zwischen Sozial-, Kultur- und Körpergeschichte verortet werden, der eben auch als ein politisches Statement gedacht werden sollte. Das adäquate Schlusswort dieser Rezension verweist damit auf das Vorwort des besprochenen Buches: „[T]he authors offer an innovative, lively, and inclusive book on sports in American history“ (S. vii).

Anmerkungen:
1 Tony Mason (unpubliziertes Paper, 1991), zitiert nach Jeffrey Hill, British Sports History: A Post-Modern Future?, in: Journal of Sport History 23,1 (1996), S. 2.
2 Vgl. Douglas Booth, Sport History and the Seeds of a Postmodern Discourse, in: Rethinking History 13,2 (2009), S. 153-174, hier S. 167ff.; Olaf Stieglitz / Jürgen Martschukat / Kirsten Heinsohn, Sportreportage: Sportgeschichte als Kultur- und Sozialgeschichte, in: H-Soz-u-Kult 28.05.2009, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/forum/2009-05-001> (27.10.2009); siehe auch Kay Schiller/ Christopher Young, The History and Historiography of Sport in Germany: Social, Cultural and Political Perspectives, in: German History 27,3 (2009), S. 313–330.
3 Benjamin G. Rader, American Sports: From the Age of Folk Games to the Age of Televised Sports, 6. überarb. Aufl., Upper Saddle River 2009; Richard O. Davies, Sports in American Life: A History, Malden 2007.

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