Die Gemahlin des Monarchen hatte im 19. Jahrhundert zwar keine politische Entscheidungsgewalt, doch sie stand im Zentrum der Macht. Sie besaß direkten mündlichen wie schriftlichen Zugang zum Regenten, zu Ministern und Diplomaten. Zudem bildete die Fürstin gemeinsam mit ihrem Gatten ein Amtsehepaar, indem beide repräsentative und dynastische Verpflichtungen sowohl gemeinsam als auch selbständig wahrnahmen. Den Fürsten des 19. Jahrhunderts hat die Geschichtswissenschaft zahllose Biografien und Briefeditionen gewidmet – ihre Ehefrauen kommen darin, wenn überhaupt, nur als Randfiguren vor.
Die Edition „Schwestern im Geiste“ stellt nun gleich zwei Fürstinnen in den Mittelpunkt: Großherzogin Alexandrine von Mecklenburg-Schwerin (1803–1892) und Königin Elisabeth von Preußen (1801–1873). Das zweibändige Werk umfasst den vollständigen und ungekürzten Briefwechsel der beiden Schwägerinnen aus den Jahren 1824 bis 1873. Der Herausgeber und die Herausgeberin verorten ihr Werk in der mecklenburgischen Landesgeschichtsforschung und wollen damit einen Beitrag zur angestrebten Aufnahme des Schweriner Residenzensembles in das UNESCO-Weltkulturerbe leisten (Bd. 1, S. 9f.). Doch der Mehrwert dieser Edition geht weit über die mecklenburgische Regionalgeschichte hinaus.
Alexandrine hatte als Tochter des Königspaares Friedrich Wilhelm III. und Luise von Preußen eine bewegte Kindheit. Als Kleinkind floh sie mit ihrer Familie vor Napoleon nach Ostpreußen und verlor 1810 ihre Mutter, die durch Trauerkult und Verehrung bald zu einem preußischen Mythos stilisiert wurde. 1822 heiratete sie Erbgroßherzog Paul Friedrich von Mecklenburg-Schwerin. Doch nach 15 Jahren als Thronfolgerpaar waren den beiden durch den jähen Tod Paul Friedrichs lediglich fünf Regierungsjahre vergönnt. So verbrachte Alexandrine ab 1842 den Großteil ihres Lebens als Großherzoginwitwe – behielt jedoch weiterhin eine zentrale Position am Hof, da zwei ihrer drei Schwiegertöchter früh im Kindbett verstarben.
Elisabeth heiratete 1823 Alexandrines Bruder, den preußischen Kronprinzen, der 1840 als Friedrich Wilhelm IV. den Thron bestieg. Die bayerische Prinzessin sah sich wie alle Frauen ihrer Position dem großen Druck ausgesetzt, möglichst schnell einen Sohn zur Welt zu bringen, um die Thronfolge zu sichern. Die Ehe blieb jedoch kinderlos. Als Friedrich Wilhelm IV. 1857 mehrere Schlaganfälle erlitt und regierungsunfähig wurde, folgten schließlich sein Bruder Wilhelm I. und dessen Gattin Augusta 1861 als preußisches Königspaar.
Die Edition begleitet die beiden Frauen also durch verschiedene Stadien ihres Lebens, von der Kronprinzessin und amtierenden Fürstin bis hin zur Königin- bzw. Großherzoginwitwe. Dabei ergeben sich viele Perspektiven, die für unterschiedlichste politische, dynastische oder genderbezogene Fragestellungen Relevanz besitzen, beispielsweise die Einflussmöglichkeiten einer angehenden, amtierenden und ehemaligen Fürstin oder ihre Eindrücke als Akteurinnen und Zeitzeuginnen politisch zentraler Ereignisse. Insbesondere für die Revolutionsjahre 1848/1849 und die Zeit der Regierungsunfähigkeit des Königs Ende der 1850er-Jahre birgt die Edition einen besonderen Quellenwert. Alexandrine und Elisabeth betrachteten die Monarchie als gottgewollt und standen jeglichen ihre Macht einschränkenden Veränderungen ablehnend gegenüber. Kritik an Verfassung, Parlament und Ministern, die Verehrung Russlands sowie die Abneigung gegenüber Frankreich stellen wiederkehrende Themen der Korrespondenz dar. Mit dieser Einstellung standen sie im Gegensatz zu ihrer Schwägerin, der preußischen Königin Augusta, die sie meist nur spöttisch als „die hohe Frau“ betitelten. Neben dem politischen Tagesgeschehen bieten die Briefe Einblicke in den hochadligen Alltag einer Fürstin, von Kuraufenthalten, über repräsentative Verpflichtungen bis hin zur Ausübung ihrer wohltätigen Vorbildfunktion. Hier zeigt sich erneut die Relevanz dieser Edition, da sie ein Schlaglicht speziell auf weibliche Erfahrungshorizonte wirft, wie beispielsweise auch Schwangerschaften, Geburten und die damit einhergehenden Gefahren. Wie ein roter Faden durchzieht darüber hinaus die Religion die Korrespondenz. Dass die katholische Elisabeth erst 1830 konvertierte, ist kein Konfliktpunkt. Ob Alltag, persönliche oder politische Krisen – der Glaube diente stets als Trost und allumfassendes Deutungsmuster.
Die von einem regelmäßigen Briefwechsel und häufigen persönlichen Begegnungen geprägte Beziehung zwischen „Adine“ und „Elis“ – so ihre Kosenamen füreinander – war eingebettet in ein europaweites adliges Verwandtschaftsnetzwerk. Die Großherzogin und die Königin pflegten durch Korrespondenz und Besuche den Kontakt zur Verwandtschaft und waren dadurch stets auf dem neuesten Stand, was an den europäischen Höfen vor sich ging. So berichtete etwa Alexandrine von ihren Besuchen am russischen Hof oder aus Briefen ihrer Schwester Kaiserin Alexandra Fjodorowna und erfragte bei Elisabeth: „Was hast Du für Nachrichten von Deinen Schwestern aus Dresden und Wien?“ (Bd. 2, S. 579). Die edierten Briefe ermöglichen somit nicht nur Einblicke in die preußischen und mecklenburgischen Familiendynamiken, sondern berühren, wie das umfangreiche Personenregister widerspiegelt, die bedeutendsten hochadligen, politischen und diplomatischen Akteurinnen und Akteure der Zeit. Zudem bietet die Edition – nicht zuletzt durch die beiden informationsreichen Einleitungen – neue biografische Anhaltspunkte dieser beiden bisher nur wenig betrachteten Frauen.
Da nach dem Tod Elisabeths 1873 alle Briefe an Alexandrine zurückgeschickt wurden, wird der gesamte Briefwechsel heute im Landeshauptarchiv Schwerin aufbewahrt. Vollständig erhalten ist die Korrespondenz jedoch leider nicht. Von 1.056 überlieferten Briefen stammen 904 von Alexandrine und lediglich 152 von Elisabeth (hier hat die Rezensentin mühsam selbst nachgezählt). Für zahlreiche Jahre (1824–1836, 1838, 1839, 1841, 1843–1845, 1847, 1856, 1862, 1866, 1867, 1869 und 1871) sind gar keine Briefe Elisabeths mehr erhalten, für 15 Jahrgänge nur sechs oder weniger Briefe. Leider liefert die Edition kein Dokumentenverzeichnis mit, was nicht nur eine allgemeine Übersicht über den Bestand, sondern auch das konkrete wissenschaftliche Arbeiten mit der Edition erschwert.
Die Edition beinhaltet weiterhin 38 Bilder vorwiegend der wichtigsten Akteurinnen und Akteure und ihrer Wirkungsorte. Bei einer solchen Vielzahl an Abbildungen ist es jedoch äußerst schade, dass lediglich zwei Faksimiles von Briefen abgedruckt wurden – dabei sind es doch die Briefe, die im Fokus der Edition stehen. Printeditionen reduzieren Briefe häufig ausschließlich auf ihren Text. Die Materialität der Quelle, also das Briefpapier (Blattformat, Verzierungen), die formale Gestaltung (Randabstände, mehrfache Beschriftung) die Handschrift (eigenhändig oder diktiert, säuberlich oder schludrig) oder die Versandart, gehen dabei meist verloren, gehören jedoch untrennbar zum Quellenkontext dazu. Hier findet erst langsam ein Umdenken statt, sich von der bloßen Konzentration auf den Text zu lösen und die Quelle auch als Objekt ernst zu nehmen1, sei es durch eine ausführlichere Beschreibung des Bestandes in der Einleitung oder durch die Abbildung mehrerer Faksimiles, sodass auch Veränderungen über die Dauer des Briefwechsels sichtbar werden. Dieser Kritikpunkt soll jedoch die editorische Leistung der beiden Herausgeber Kathleen Jandausch und René Wiese keineswegs schmälern. Beide haben bereits breit zur mecklenburgischen Geschichte und Dynastie geforscht. Mit dieser Edition liefern sie einen weiteren wertvollen Beitrag zur Monarchiegeschichte, vor allem aus weiblicher Perspektive, die bisher vornehmlich der Populärwissenschaft überlassen wurde.
Anmerkung:
1 Anne Bohnenkamp / Waltraud Wiethölter (Hrsg.), Der Brief – Ereignis & Objekt. Katalog der Ausstellung im Freien Deutschen Hochstift – Frankfurter Goethe-Museum, 11. September bis 16. November 2008, Frankfurt am Main 2008.