Wie jedes Buch kann man Loel Zweckers „Die Macht der Machtlosen“ auf unterschiedliche Weise lesen. Aus der Warte einer „Geschichte von unten“ und mit Sympathie für diejenigen, die auch historiographisch unterrepräsentiert sind, wird man das Buch mit vielen Anregungen rezipieren. Denn es will Mut machen zu zivilgesellschaftlichem Engagement. Dazu dokumentiert es an historischen Beispielen, welche langfristigen Einflüsse Aktionen in der Vergangenheit haben konnten, ohne dass man die Namen der Akteur:innen heute noch kennt. Seine Paradebeispiele sind die Bewegungen gegen die Sklaverei und für die Rechte der Frauen sowie die Gewerkschafts- und die Genossenschaftsbewegung. Dabei handelt es sich um heute allenfalls Spezialisten bekannte Personen wie Benjamin Lay, John Woolman, Mary Harris Jones, Domitila Barrios de Chungara, Catharina Linck oder Claudette Colvin.
In den – nur grob chronologisch angeordneten – 20 Stationen seiner Erzählung möchte Zwecker der gegenwärtigen „Veränderungsermüdung“ und „Verlustangst“ (S. 19) eine progressive Gegenerzählung der Selbstermächtigung entgegensetzen. Neben dem Anarchosyndikalismus sind seine ausgesprochenen Favoriten die True Levellers/Diggers und die Quäker, auf die er vor allem im zweiten Teil des Buches immer wieder zurückkommt. Erstere haben in der Mitte des 17. Jahrhunderts ein basisdemokratisches, egalitäres und ressourcenschonendes Gemeinwesen etabliert, an dem der Autor fast alles vorbildlich findet. Letztere repräsentieren für ihn so etwas wie ein Residuum urchristlicher Vorstellungen von Solidarität, Empathie, Gemeinsinn, Kooperation und Genügsamkeit.
Aus der Warte klassischer Auffassungen von Geschichte, die sich eher an Autorität und Bedeutsamkeit orientieren, kann man diese Erzählung freilich als eine linksromantische Verklärung von Subalternen qualifizieren. Hier wird man auf weithin bekannte „Vordenker“ der geschilderten Umbrüche verweisen und sein Befremden darüber äußern, dass in dem Buch wieder einmal die Korruption durch Macht, das Erbrecht, die Ökonomisierung und der – nicht trennscharf definierte – Neoliberalismus als Ursachen für viele Übel der Gegenwart herangezogen werden. Vollends disqualifizieren wird sich der Autor aus dieser Sicht vermutlich durch seine Berufung auf Studien, die belegen würden, dass Macht und Einfluss, über ein gewisses Maß hinaus, keineswegs glücklicher machten.
Die Grundidee des Buches ist keine, wie sie etwa Bernt Engelmann oder Howard Zinn erfolgreich verfolgt haben, nämlich eine polarisierte, mit eindeutigen Wertungen verknüpfte Geschichte der Unterdrücker und der Unterdrückten zu schreiben.1 Ebenfalls etwas anders argumentierte der kürzlich verstorbene James C. Scott, der die heimliche Macht der kleinen Leute in einer Systematik des alltäglichen Widerstands verortete.2 Zweckers Buch ist eher als Wiederentdeckung derjenigen zu lesen, welche die Geschichtsschreibung scheinbar vergessen hat, obgleich sie Wichtiges angestoßen – und zugleich kein Aufhebens um sich gemacht – haben. Neben den eingangs bereits Erwähnten reicht dies von der Bilderstürmerin Mary Richardson bis zum – zumindest hierzulande – kaum bekannten „ärmsten Präsidenten der Welt“, José Mujica aus Uruguay, der von 2010 bis 2015 freiwillig auf 90 Prozent seines Gehalts verzichtete.
Dabei geht es um „ein vielseitiges Arsenal an Methoden“ (S. 12), mit denen Unterprivilegierte oft überraschende soziale Wirkungen erzielt hätten. Dazu gehören Formen des aufrüttelnden Anschlags wie die Aktionskunst, Bummel- und Mietstreiks, Konsumboykotte und Fair Trade, das Tragen einer provokativen Mode oder Stipendien für ein politisches Engagement von weniger Bevorzugten. Zwecker propagiert eine individuelle „Philosophie des Abschaffens, Abgebens und Loslassens“ (S. 42) und bemüht dabei das scheinbare Paradox eines „Abgabegewinns“ (S. 339). Aus seinem Erstaunen über die verbreitete Einbildung von Privilegierten, „irgendetwas stünde einem mehr als anderen zu“ (S. 81), leitet er eine „berechtigte“ Subversion von Regeln und Gesetzen zugunsten höherer und gerechterer Ziele ab.
Wie immer man sich intellektuell oder emotional zu diesem Programm verhält, so irritieren doch einige der Vorgehensweisen des Autors. Dass er seine Begriffe nicht wirklich definiert und bisweilen anekdotische Evidenzen bemüht, wurde schon erwähnt. Dass er Grenzverläufe der Geschichtsschreibung zu Literatur und Kunst einebnet, könnte man sicher hinnehmen, wenn sich nicht tragende Abschnitte wie die über den „Robinhoodismus“ fast gänzlich auf fiktive Quellen stützen würden. Die wenig stringenten historischen Bögen sind oft kühn, bisweilen schwindelerregend, gerade wenn historischen Analogien suggeriert werden. So stellt er etwa die Seenotretterin Carola Rackete in die Nachfolge von Harriet Tubman von der „Underground Railroad“ (S. 75f.).
Viele dieser Aktualisierungen dürften gerade Spezialisten der früheren Zeitepochen Stirnrunzeln bereiten. Etwas zermürbend ist, dass alles Mögliche als historisch „erstmalig“ charakterisiert wird.3 Skeptisch können einen auch die heterogenen Quellengrundlagen machen, die von Standardwerken bis zu Wikipedia reichen, von Talkshow-Statements bis zu YouTube-Videos. Über die Kunst-, Literatur- und Musik-Vorlieben des freien Publizisten und promovierten Kunsthistorikers Zwecker meint man nach der Lektüre mehr zu wissen. Nur weiß man nicht in jedem Fall, weshalb man sie kennen sollte.
Kritisch wird es allerdings, wenn er die von Edward Bernays propagierte „gelenkte Demokratie“ meinungsbildender Eliten und unsichtbar bleibender Herrscher als „das absolute Gegenmodell zur Macht der Machtlosen und zum Engagement einfacher Leute“ (S. 101) bezeichnet. Hier kommt er in gefährliche Nähe zu Verschwörungserzählungen. Das gilt auch für den Gebrauch von Begriffen wie „Mainstream-Medien“ (S. 149), die etwas pauschal ausfallende Elitenkritik (S. 271–278) oder sein Plädoyer für die „positiven Varianten des Populismus“ (S. 303).
Gewagt ist auch eine vermeintliche Grundeinsicht Zweckers: „Zu jedem Zeitpunkt der Geschichte lag die Mehrheit der Menschen, einschließlich der Mehrheit der Mächtigen und besonders Gebildeten, bei sehr wichtigen, grundlegenden Fragen falsch. Demgegenüber hatte eine Minderheit recht,“ was freilich „stets erst mit großer Verzögerung erkannt“ werde. „Damit einher geht die simple Tatsache, dass in der Geschichte immer irgendwelche Taten und Zustände legal waren, die aus heutiger Sicht kriminell sind, und umgekehrt illegale Aktionen im Rückblick legitim.“ (S. 260f.) Mit einer solchen, hier zum Dogma geronnenen Beobachtung widerlegt er nicht zuletzt viele seiner historischen Analogieschlüsse.
Ganz ohne Vordenker:innen kommt auch Zwecker nicht aus, und seine Erinnerung an manchen alternativen Gedanken, etwa Paul Lafargues „Das Recht auf Faulheit“ (1880), nimmt man ebenso gewinnbringend zur Kenntnis, wie die Erinnerung an viele der vergessenen Vorkämpfer:innen. Überhaupt hat Zwecker einen anregenden Essay über Handlungsmacht verfasst, der aber als „Geschichte von unten“ nicht durchgeht. Je nach dem Grad an Sympathie für sein Menschen- und Gesellschaftsbild wird man sein flüssig geschriebenes Buch entweder verschlingen oder verwerfen. Nimmt man den Erfolg seiner bisherigen Bücher als Maßstab, scheint es von Ersteren nicht eben wenige zu geben.4
Anmerkungen:
1 Bernt Engelmann, Wir Untertanen. Ein deutsches Anti-Geschichtsbuch, München 1974; ders., Einig gegen Recht und Freiheit – Deutsches Anti-Geschichtsbuch 2. Teil, München 1975; Howard Zinn, A People’s History of the United States, New York 1980. Zwecker beruft sich außerdem auf John Richard Greens „Short History of the English People“ aus dem Jahr 1874.
2 James C. Scott, Weapons of the Weak: Everyday Forms of Peasant Resistance, New Haven 1985; ders., Domination and the Arts of Resistance: Hidden Transcripts, New Haven 1990.
3 Dies könnte freilich mit inspiriert sein durch David Graeber / David Wengrow, Anfänge. Eine neue Geschichte der Menschheit, Stuttgart 2022.
4 Loel Zwecker, Was bisher geschah. Eine kleine Weltgeschichte, München 2010; ders., Ein Schritt zurück in die Zukunft. Was wir aus der Geschichte lernen können, München 2013; ders., Vom Anfang bis heute. Eine kleine Geschichte der Welt, München 2017.