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Titel
Najpolitickejšia veda. Slovenská historiografia v rokoch 1948-1968 [Die politischste Wissenschaft. Slowakische Historiografie in den Jahren 1948-1968]


Autor(en)
Hudek, Adam
Erschienen
Bratislava 2010: Historicky ustav SAV
Anzahl Seiten
252 S.
Preis
€ 8,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bohumil Jiroušek, Philosophische Fakultät, Südböhmische Universität České Budějovice

Es steht außer Zweifel, dass die slowakische Geschichtsschreibung im Rahmen der sich auf Ostmitteleuropa beziehenden Historiographiegeschichte bis jetzt mit nur sehr wenig Aufmerksamkeit bedacht wurde. So kommt es, dass die hier anzuzeigende Studie von Adam Hudek nicht nur die erste monographische Aufarbeitung darstellt, die der slowakischen Historiographie in den ersten zwanzig Jahren der kommunistischen Diktatur gewidmet ist, sondern auch die erste wirkliche Monographie zur Geschichte der Historiographie in der Slowakei als solcher.1 In dieser Hinsicht wird die Hudeksche Dissertation als bahnbrechend zu bezeichnen sein. Gleichwohl macht sie darauf aufmerksam, wie schwer eine Antwort auf die Frage zu finden ist, ob die slowakische Historiographie in der von Hudek untersuchten Zeitspanne von der Kommunistischen Partei der Slowakei bestimmt worden sei, oder in Wirklichkeit von der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Sie war es, die über alles Wesentliche entschieden hat, wobei in Rechnung zu stellen wäre, dass Fragen der historischen Entwicklung der Slowakei für sie unter dem Gesichtspunkt einer marxistischen Interpretation der Entstehung und der Existenz der Tschechoslowakei durchaus grundsätzlich waren.

Die im Jahre 1918 entstandene Tschechoslowakei basierte auf dem Gedanken des Tschechoslowakismus. Dieser postulierte die Existenz eines einheitlichen tschechoslowakischen Volkes. Sich damit abzufinden, war für die slowakische politische Klasse in der Zwischenkriegszeit, vor allem aber dann nach dem Zweiten Weltkrieg nicht leicht. Wenn auch der Slowakische Nationalaufstand von 1944 sein eindeutiges Ziel in der Föderalisierung der Tschechoslowakei hatte, war die Haltung Prags bis zur Verabschiedung des Föderationsgesetzes 1968 eindeutig zögerlich.

Vor diesem Hintergrund muss eine kritische Beurteilung der Entwicklung der slowakischen Historiographie im paradigmatischen Sinne des Wortes als weit schwieriger eingeschätzt werden, als dies für die tschechische Historiographie der Fall ist. Während die tschechische Geschichtsschreibung in der Lage war, ohne die slowakische Frage zurechtzukommen, musste die slowakische Historie in enger Beziehung zur tschechischen gedeutet werden. Sie war gezwungen, auf das deutliche Streben nach einer Instrumentalisierung der slowakischen Geschichte mit Blick auf die politische Idee eines einheitlichen tschechoslowakischen Volkes zu reagieren. Dazu kam später noch die Betonung der im Einklang mit dem historischen Materialismus getroffenen Einschätzung, die Geschichte der Slowaken habe in der sozialistischen Tschechoslowakei ihren Gipfelpunkt erreicht.

Nicht nur aus diesen Rahmenbedingungen erklärt sich, warum wir in Hudeks Buch auch Ausführungen über die Situation in der tschechischen historischen Wissenschaft finden. Die Prager Historiker bestimmten in einer Reihe von Themenbereichen die historische Auslegung der sich auf dem Gebiet der Slowakei ereignenden Entwicklung – so überwog die tschechische Sicht auf das mittelalterliche Großmährische Reich, nach der es nicht als Vorläufer der tschechischen oder slowakischen Staatlichkeit begriffen wurde, während die slowakischen Historiker einen Konnex mit der modernen Slowakei herstellen wollten. In Bezug auf das Hussitentum musste ein positiver Widerhall in der Slowakei herausgearbeitet werden. Auch die Periodisierung der slowakischen Geschichte erfolgte nach tschechischen Bedingungen, was weder mit den Ergebnissen der wirtschaftshistorischen Forschungen korrespondierte noch aus der Sicht der politischen Geschichte plausibel war. Hatten sich die slowakische und tschechische Geschichte doch bis zum Jahre 1918 eindeutig in anderen Kontexten (in Transleithanien und Zisleithanien) abgespielt. Auch deshalb ist es höchstwahrscheinlich in den 1950er- und 1960er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts nicht gelungen, das Projekt einer vierbändigen Synthese der Geschichte der Slowakei zu beenden.

Obgleich auf die beiden Dekaden von 1948 bis 1968 konzentriert, zeichnet Adam Hudek in seinem Buch mehr oder weniger die ganze Geschichte der Herausbildung der slowakischen Historiographie nach. In seiner Sicht hat sich die slowakische Nationalgeschichte etwa seit der Barockzeit des 18. Jahrhunderts herausbildet, als der Mythos von der „magischen Einheit einer Kommunität“ (S. 19) entstand. In der Nichtexistenz eines selbstständigen historischen slowakischen Staates erblickt er den Hauptunterschied im Vergleich zu den anderen ostmitteleuropäischen Staaten. Dies spiegelt sich auch in der Historiographie nach dem Jahre 1948 wider. Die slowakische Nation wurde als ethnographisches Ganzes begriffen, als ein Volk, zu dem kein eigenes Bürgertum und kein eigener Adel gehörten, denn die Slowaken waren den Ungarn unterworfen, von ihnen unterdrückt. Zugleich aber wurde gezeigt, dass die Slowaken ihre politische Repräsentation gehabt hätten, unter anderem in der Revolution von 1848. Im Einklang mit den Aussagen von Karl Marx jedoch wurden die slowakischen Stellungnahmen als konterrevolutionär verstanden. Adam Hudek schildert alle diese Verflochtenheiten der Auslegung der slowakischen Geschichte im Zuge der fortschreitenden Veränderungen innerhalb der slowakischen Historiographie in den Jahren 1948-1968. Rigide stalinistische Positionen wurden erst nach dem Jahre 1962 spürbar verlassen, da es in der Tschechoslowakei in den 1950er-Jahren zu keiner ausdrucksvolleren Entstalinisierung gekommen war. Wie in anderen Historiographien des Ostblocks kam auch in der Slowakei die für ideologisch verfasste Regime kommunistischen Typs prägende Janusköpfigkeit der Geschichtsschreibung zum Tragen: dem westlichen Ausland wurde die eigene Vergangenheit anders vorgeführt als dem heimischen Publikum. So beriefen sich die führenden marxistischen Fachleute 1967 in ihren Beiträgen für eine Konferenz in Amerika auf die Schlussfolgerungen des Historikers Daniel Rapant, der für das kommunistische Regime in der Tschechoslowakei über Jahre unakzeptabel war.

Von grundlegendem Interesse sind in Bezug auf die Veränderungen der slowakischen wissenschaftlichen Institutionen vor allem der Ausbau der Slowakischen Akademie der Wissenschaften nach sowjetischem Vorbild und die Entwicklungen an der Komenský-Universität in Bratislava. Hudek schildert en detail die Personalpolitik und verfolgt die politisch motivierten und mithin der historischen Wissenschaft „von Außen“ aufgezwungenen Interpretationen der Schlüsselereignisse der slowakischen Geschichte. Dabei macht er jenes Balancieren zwischen dem „Internationalismus“ und Nationalismus sichtbar, das für die Wissenschaft im sowjetischen Block so typisch war. Versuche, Diskussionen zu führen, werden als Prozess rekonstruiert, sich an die Anforderungen der kommunistischen Wissenschaftspolitik irgendwie anzupassen. Eine spezifisch slowakische Situation in der stalinistisch geprägten Historiographieentwicklung stellt die Tatsache dar, dass die größten „Fachleute“ für die Auslegung der Geschichte Autodidakten ohne historische Ausbildung waren (Miloš Gosiorovský und Andere). Diese hätten sich nichtsdestotrotz einem marxistisch-leninistischen Historismus verpflichtet gefühlt.

Für Spezialisten der Historiographiegeschichte ist das Buch von Adam Hudek außerordentlich wichtig, denn es eröffnet Vergleichsmöglichkeiten mit anderen ostmitteleuropäischen Historiographien nach dem Zweiten Weltkrieg. Für Interessenten aus anderen historischen Disziplinen bietet es manche Erklärung für zeitgenössische Vergangenheitsdebatten, die natürlich auch mit der gegenwärtigen politischen Situation zusammenhängen. Das zeigt sich sehr deutlich in den Interpretationen oder besser Missinterpretationen der Zeitgeschichte. Der Slowakische Nationalaufstand, von allen – den Teilnehmern, den Politikern bis hin zu den Historikern – instrumentalisiert, kann hier pars pro toto genannt werden.2

Anmerkungen:
1 Zu erwähnen wären jedoch Teilstudien, die mitunter in Büchern zusammengefasst wurden wie Dušan Kováč, O historiografii a spoločnosti [Über Historiographie und Gesellschaft], Bratislava 2010, aber auch Beiträge zur Entwicklung der slowakischen Historiographie nach 1989 wie zum Beispiel in: Alojz Ivaniševič u.a. (Hrsg.), Klio ohne Fesseln? Historiographie im östlichen Europa nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, Wien 2002; Stefan Berger / Chris Lorenz, Society and the Nation. Ethnicity, Class, Religion and Gender, Basingstoke 2007. Einen groben Überblick über die slowakische Historiographie bis Mitte des 20. Jahrhunderts kann man nach wie vor finden in: František Kutnar / Jaroslav Marek, Přehledné dějiny českého a slovenského dějepisectví [Überblicksgeschichte der tschechischen und slowakischen Historiographie], 3. Aufl. Praha 2009.
2 Man denke an das Buch des späteren Parteichefs und Staatspräsidenden Gustáv Husák, Der Slowakische Nationalaufstand, Berlin 1972 {slowakische Ausgabe: Svedectvo o Slovenskom národnom povstaní, Bratislava 1964).

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