Titel
Going First Class?. New Approaches to Privileged Travel and Movement


Herausgeber
Veret, Amit
Reihe
European Aviation Safety Agency Series 7
Erschienen
Oxford 2011: Berghahn Books
Anzahl Seiten
Preis
€ 19,56
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Regina Bendix, Institut für Kulturanthropologie / Europäische Ethnologie, Georg-August-Universität, Göttingen

Eine Paperback-Ausgabe vier Jahre nach Erstpublikation einer Aufsatzsammlung zum Thema privilegierten Unterwegsseins macht neugierig: was gibt das Thema her, dass es im dichten Forschungsfeld Tourismus und Mobilität zu Mehrfachausgaben kommt? Neun Fallstudien, alle von Frauen verfasst, werden eingeleitet von Vered Amits Überlegungen dazu, wie SozialanthropologInnen sich bisher mit privilegiertem Status und Mobilität auseinandergesetzt haben. Gefragt wird nach Praxen und Befindlichkeiten rund um Arbeit, die trotz der sehr spezifischen untersuchten Kontexte „bescheidenen Wohlstandes“ (S. 3) auf kontextunabhängige Neuorientierungen in globaler Langstreckenmobilität der Mittelschicht deuten – einer Schicht also, die bisher neben der „Kosmokratie“ und dem migrierenden Prekariat kaum in den Blick geraten sei. Der Titel des Bandes ist entsprechend doppelt irreführend – denn die Forscherinnen haben keine teilnehmende Beobachtung in den breiten Sesseln im vorderen Teil von Flugzeugen, Erste-Klasse-Waggons oder Limousinen durchgeführt. Es ist auch nicht das Reisen oder die Bewegung an sich, die hier zentral ist, sondern es sind in der Hauptsache die Zustände in einem „Dazwischen“, die sich – mit Ausnahme eines Beitrags zur Altersmigration nach Spanien (Caroline Oliver) – arbeitsbedingt für AkteurInnen ergeben und die zu charakterisieren in einigen der Beiträge gut gelingt. Während Amits Einleitung unter anderem auf die entstehenden Infrastrukturen eingeht, die die globale Mobilität unterschiedlichster Situationen ermöglicht und kanalisiert, erkunden manche der Beiträge die Befindlichkeit, die sich im temporären Ankommen und Sein herausbildet. So gibt es Vokabularien, die auf die Vergänglichkeit oder das Dahinschwinden ihrer Ko-Präsenz an einem Ort verweisen – wie etwa die „Expats“ die in Jakarta von einer „Seifenblase“ sprechen, in der sie ihre Zeit während ihres Arbeitsaufenthaltes in Firmenwohnung und -einrichtungen verbringen, Orte, die gegen außen einem Bunker gleichen, aber innen luxuriös und offen gestaltet sind (Meike Fechter). Temporär in die USA verpflanzte japanische Familien unterhalten – dank der nicht berufstätigen Mütter – im Innern ihrer äußerlich amerikanisch erscheinenden Häuser Aspekte japanischer Alltagspraxis, um damit nicht zuletzt den Kindern die andere Welt, in welche sie zurückkehren werden, primär zu erhalten (Sawa Kurotani). Die sozialen Beziehungen des beruflich immer wieder versetzten Beraters passen sich der Vielzahl von Kontakten an – das weitgespannte Netz wird durch flachere Verbindungen aufrechterhalten (Vered Amit). Und die (arbeitenden) Volontärinnen eines spirituellen Resorts auf Hawaii erfahren das beständige Kommen und Gehen von Gästen und Arbeitskräften, mit welchen im Geiste des Ortes freundschaftliche Nähe gepflegt wird, als eine Beziehungszumutung (Margaret C. Rodman).

Seit der Erstpublikation hat sich einiges bewegt im Bereich der Mobility Studies1 – sei dies in der Migrationsforschung, der Arbeitsmobilitätsforschung oder der Langzeittourismusstudien –, und man hätte sich in der Einleitung ein Update, eine Schärfung des Blickwinkels und auch eine historische Vertiefung erhofft, die die etwas verstreuten Erkenntnisse dazu, was privilegierte, berufliche Mobilität in einem Hier und Jetzt auszeichnet, herausarbeitet und ihre Verschmelzung mit Reisen und Migration räsoniert. Denn etwas müde scheint die sowohl in der Einleitung wie in verschiedenen Beiträgen wiederholte Beobachtung, dass die Sozialanthropologie traditionellerweise lokales, kleinräumiges Leben mit stationärer Methodik erfasst habe. Die Tourismusforschung bemüht sich immerhin seit gut vier Jahrzehnten um Erkenntnisse zur Befindlichkeit der Mobilen, und Nomaden gehören seit Anbeginn ethnographischer Recherchen zum Forschungsfeld. Damals wie auch bei den hier vorliegenden Fallstudien sieht sich die Ethnographin letztlich doch gezwungen, lokalisiert zu forschen: selbst die Fallstudie zur national heterogensten Gruppe, den sehr mobilen Professionellen der Filmindustrie, baut hauptsächlich auf Interviews und verorteter teilnehmender Beobachtung auf. Diesem Beitrag, sicher auch gerade wegen der gewählten Berufsgruppe, gelingt es am besten, die Verflechtung von Mobilität, Interkulturalität und erwünschten „Fremdheitseffekten“ bei gleichzeitiger Transzendenz herauszuarbeiten. Sie ist hier ein Teil des kinematographischen Ethos, deutet aber vielleicht auch auf die individuelle Sehnsucht nach eigenem Wachstum in der Bewegung hin, die vielen der untersuchten Menschen eigen zu sein scheint (Cathy Greenhalgh).

Doch insgesamt regt weder die Methodik noch der Fokus auf privilegierte Gruppierungen – die letztendlich eben doch auch großteilig schuftend unterwegs sind – zum Denken an: es ist die Verschmelzung der Kategorien von Arbeit und Reisen/Reizen, die eine Ethnographie des Mobilen vorwärtsbringt. Zeigen lässt sich dies vielleicht einleuchtender an der Genese des Bandes als an seinem Inhalt: Wie so viele Fachpublikationen entstand das Buch aus einem Workshop, hier im Rahmen der European-Aviation-Safety-Agency-Tagung 2004, und auf die Thematik des Bandes bezogen lässt sich selbstreflexiv auch überlegen, welches Arbeitsprivileg in der ethnographisch tätigen Profession liegt. EthnologInnen reisen kaum First Class, aber gleich anderen WissenschaftlerInnen verbinden sie den Tagungsauftritt auch gerne mit Städtetourismus, ein „multi-tasking“, das eine mit Tagungsemblemen bedruckte Tasche auch abbildet.2 Das Tagungsthema fokussiert potentielle TeilnehmerInnen und regt dazu an, laufende Forschung mittels der Tagungsthematik zu durchdringen oder neue Forschung zu unternehmen: harte Arbeit gekoppelt mit Reiseplanung und Raumreservierung, und dies wieder gefolgt von Verschriftlichung- und Publikationsarbeit – meist während bereits die Vorbereitungen für zwei bis drei weitere solche Unternehmungen laufen. Beruflich erwartet und belohnt, persönlich mit der Vorfreude auf Beziehungserneuerungen und Begegnung mit einem Ort verbunden – der sich dann jedoch doch oft wieder in einen Augéschen Nicht-Ort komponiert aus Tagungsstätte und Hotel auflöst – nutzen auch WissenschaftlerInnen die globalen Mobilitätsinfrastrukturen und weisen eine Anzahl der Praxen auf, die dieser Band thematisiert. Aus der Unterschiedlichkeit der Fallstudien ergeben sich entsprechend auch Konstanten der individuellen Verortung in einem Zustand des mehr oder minder „bescheidenen Wohlstandes“ – Konstanten, die mit der ökonomischen Verfügbarkeit dieser Formen und dieses Ausmaßes verbunden sind.

Anmerkungen:
1 Verwiesen sie hier auf die „Mobile Culture Studies“-Initiative (<http://www.mobileculturestudies.com/> [27.01.2012]), die sich der Bewegung insbesondere annähert und Texte über open access zur Verfügung stellt.
2 Vgl. Konrad Köstlin, Die Kongresstasche und die Europäische Ethnologie, in: Lutz Musner / Gotthard Wunberg (Hrsg.), Kulturwissenschaften. Forschung – Praxis – Positionen, Wien 2002, S. 191-220.

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Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
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