K. Hagelstein: Eine an sich mittelmäßige Frage

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Titel
Eine an sich mittelmäßige Frage. Der deutsch-dänische Konflikt 1864


Autor(en)
Hagelstein, Karl-Otto
Erschienen
Anzahl Seiten
715 S.
Preis
€ 99,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carsten Jahnke, Saxo Instituttet, Afdeling for Historie, Københavns Universitet

Der sogenannte deutsch-dänische Konflikt von 1864 ist die entscheidende Weggabelung in der Geschichte Schleswig-Holstein-Lauenburgs nach Ende des Mittelalters. Dem Königreich Dänemark bescherte er ein bis heute anhaltendes Trauma, Preußen den ersten militärischen Erfolg seit langer Zeit und den Auftakt zu den sogenannten Einigungskriegen. Für Österreich leitete er das Ausscheiden aus dem deutschen Kontext und für die drei Herzogtümer die Einverleibung in das preußische Reich, den Verlust ihrer Selbständigkeit und den Verlust ihrer Identität und Geschichte ein. Insofern ist es naheliegend, wenn sich K.-O. Hagelstein in seiner 1995 in Kiel vorgelegten und nun aktualisierten Magisterarbeit ausführlich mit den Hintergründen und einzelnen Verwicklungen dieser „an sich mittelmäßigen Frage“ (so Bismarck) auseinandersetzt.

In sechs Kapiteln zeichnet K.-O. Hagelstein auf 650 kleingedruckten Seiten minutiös jede Stellungnahme und jeden Kommentar aller Politiker des Deutschen Bundes, Österreichs, Preußens, Frankreichs und Englands zu den einzelnen tagespolitischen Ereignissen innerhalb dieses Konfliktes nach. Er beginnt dabei bei den Voraussetzungen des Konfliktes in Dänemark, den Auseinandersetzungen von 1848 und den Londoner Vereinbarungen von 1851/52 sowie der Stellung des Hauses Augustenburg, eines der Erbanwärter auf den holsteinischen Herzogtitel. In den folgenden Kapiteln werden die Ereignisse chronologisch en Detail beschrieben, über die Novemberverfassung in Dänemark, die den Grund für die Besetzung Holsteins lieferte, der Bundesexekution, der Besetzung Holsteins, dem Vorrücken der Preußen nach Norden, Düppel und Alsen bis zur Besetzung ganz Jütlands, den Wiener Verhandlungen und dem Hinausdrängen des Bundes aus dieser Angelegenheit. Die heraufziehenden Kriegswolken des Jahres 1865 werden nur noch am Rande erwähnt, wie auch die endgültige Annexion der drei Herzogtümer durch Preußen nach der Schlacht von Königgrätz nicht mehr behandelt wird. K.-O. Hagelstein zeigt hierbei eine imponierende Detailkenntnis, die zum Beispiel auch die Haltung Fürst Heinrichs LXVII. von Reuß-Gera oder Fürst Georg-Viktors von Waldeck und Pyrmont (S. 109) zu dieser Angelegenheit mit in Betracht zieht. Seine Untersuchungen umfassen dabei ausschließlich die politische Ebene, beginnend bei den Souveränen, fortsetzend bei den jeweiligen Ministerpräsidenten und Außenpolitikern bis zu den einzelnen Ständeversammlungen in den deutschen Territorien.

Bei aller Detailkenntnis, die mit Sicherheit späteren Generationen als Steinbruch für ihre eigenen Arbeiten dienen wird, ist an dem vorliegenden Werk doch deutliche Kritik angebracht. So gelingt es K.-O. Hagelstein nicht, in dem Gewirr tagespolitischer Ereignisse und Winkelzüge europäischer Kabinettspolitik einen roten Faden zu finden. Zwar bewundert K.-O. Hagelstein die Bismarcksche Politik, durchschaut sie aber nicht. So stellt er zum Beispiel auf S. 501 die These auf: „Ob Bismarck wirklich bereits Anfang Januar 1864 offiziell die Annexion als seine Politik erklärt hat, muß also offen bleiben.“ Hier hätte schon Bismarcks eigene Mitteilung an seinen Sohn Abhilfe bringen können: „Es würde ihm [Bismarck] nie gelungen sein, seine Politik zur Durchführung zur bringen, wenn er im Spätherbst 1863 Wilhelm I. gesagt hätte: ‚Ich werde jetzt Österreich zur gemeinsamen Kriegsführung mit Dänemark wegen Schleswig-Holstein bringen in der Erwartung, daß es später über Schleswig-Holstein zum Bruch mit Österreich kommen und dafür dann auf dem einzig möglichen kriegerischen Wege die Suprematie Preußens über Deutschland herstellen [werde]‘.“1 Zwar bescheinigt K.-O. Hagelstein zum Beispiel der dänichen Presse „mangelnde außenpolitische Urteilskraft“ und bemerkt, dass sie „munter drauflos schwadronierten” (S. 48), kann aber außer einem absoluten politischen Machtwillen auch bei Bismarck kein durchgängiges politisches System entdecken.

Hier liegt auch der zweite Kritikpunkt an dem vorliegenden Werk. K.-O. Hagelstein kann zwar deutlich die Aktionen und Reaktionen der einzelnen Akteure aufzeichnen, ihm fehlt aber jedes Verständnis für den Hintergrund. Immer wieder werden die Charaktereigenschaften der Potentaten selbst oder die Unzulänglichkeiten ihrer Minister bemüht, selten aber die politischen Umstände, die öffentliche Meinung oder die eigenen politischen Ziele und Möglichkeiten. Das trifft in besonderem Maße die dänische Seite. Selbst wenn die dänische Politik der Jahre zwischen 1848 und 1865 von außen betrachtet einem geradezu absurden Schauspiel glich, besaß sie doch eine innere Logik, die es zu verstehen gilt, will man die Ereignisse wissenschaftlich und neutral betrachten. Diesem Ziel wird K.-O. Hagelstein nicht gerecht. Stattdessen kommen persönliche Betrachtungen ins Spiel, wie zum Beispiel bei der liberalen Zeitung Fædrelandet, zu der er bemerkt, dass deren „fabulierende Korrespondenzen und agitatorische Kommentare auch später viel zur gestörten Wahrnehmung der Realitäten in der dänischen Öffentlichkeit und damit zur Verschärfung der Krise beitragen sollten“ (S. 19). Auch hat die gesamte dänische Presse, im Gegensatz zur preußischen, bei ihm einen schweren Stand, wenn er zum Beispiel bemerkt, dass „die Unüberwindbarkeit des alten Grenzwalls […] ein fast schon zwangsneurotisches Ceterum censeo der national-liberalen Journaille“ gewesen sei (S. 273). Ähnliches gilt für dänische Politiker, wenn K.-O. Hagelstein zum Beispiel zum schleswigschen Kultusminister Regenburg bemerkt, dass dieser „ein tüchtiger Jurist aber verstockter Bürokrat [gewesen sei] unfähig, in größeren politischen Zusammenhängen zu denken“ (S. 21). Werden die dänischen Protagonisten nicht direkt diskreditiert, so geschieht das indirekt. Der so harmlose Satz: „Der Kieler Professor Peter Wilhelm Forchhammer bemühte sich in seiner Gedenkrede [zum Tode des dänischen Königs Friedrich VI.] um eine gerechte Würdigung des Menschen Friedrich” (S. 72) gewinnt an eindeutiger Brisanz, wenn man die (nicht zitierte) „Würdigung“ Forchhammers im Wortlaut kennt, nämlich, dass „wir […] es als eine Gnade der Vorsehung ansehen [wollen], dass sie diesen Todten hat sterben lassen, ohne seine Seele mit neuem schweren Unrecht zu belasten“. Diese wenigen Beispiele verdeutlichen den Umgang K.-O. Hagelsteins mit der dänischen Seite. Aber nicht nur die Dänen sind die ausgesprochen dummdreisten Akteure in diesem Konflikt. Auch die Sachsen, und dort vor allem der Minister Beust, wie auch viele andere Mittelstaaten haben das Missfallen K.-O. Hagelsteins erregt, der dem sächsischen Minister schon einmal bestätigt, dass diesem jetzt „die Pferde durchgingen“ (S. 162).

Neben der mangelnden Objektivität gibt es weitere, gravierende Mängel, die den Wert des vorliegenden Bandes erheblich trüben. So ist zum Beispiel die verwandte Sprache unzulänglich. Zitate wie: „Und dieses Urteil paßte in das Deutschlandklischee der Briten von Biergarten, Black Forrest und Trachtenlook: Schmuddelig und unpraktisch, aber freundlich und auf eine harmlose Art leicht bescheuert“ (S. 385) sind ebenso inadäquat wie der Ausdruck, dass Königin Victoria nur das „nachbetete“, was ihr Albert vermittelt habe (S. 452) oder, dass „bei soviel höherer Kultur […] es nichts [machte], wenn die Logik auf der Strecke blieb“ (S. 443). Ein weiteres wesentliches Manko ist die Angewohnheit K.-O. Hagelsteins, seine Anmerkungen in ein oder zwei Fußnoten am Ende einer Seite zu sammeln. Mag das der Übersichtlichkeit förderlich sein, ist es spätestens dann unwissenschaftlich, wenn er konsequent Zitate unbelegt lässt, so. zum Beispiel auf S. 329, 333f., 361, 367, 401, 498, 542, 548f. und passim, und nicht deutlich macht, ob es sich um Übersetzungen oder Zitate handelt. Aus der Vielzahl der in den Fußnoten angegebenen Hinweise lässt sich der Zitatbeleg zudem nicht herausfiltern.

K.-O. Hagelstein hat versucht, den Konflikt von 1864 in einer klassisch politisch-monarchischen Studie nachzuzeichnen, dessen Ausgang die innere Bewertung beeinflusst. Allerdings war der Konflikt sehr viel facettenreicher, als er es dargestellt hat. So beeinflusste Bismarck zum Beispiel nicht nur durch „seine“ Zeitungen die öffentliche Meinung, sondern benutzte unter anderem Historiker wie von Treitschke oder Mommsen aktiv zur Stimmungsmache, um deren Äußerungen dann als Druckmittel auf den preußischen König2 und in der Öffentlichkeit anzuwenden. Hier hätte sich der Blick vom Politischen lösen und mehr das Gesamtagieren bismarckscher Politik in den Blick nehmen sollen.

Aus den genannten Gründen ist es schwierig, ein Gesamtfazit zu ziehen. Auf der einen Seite steht der ungeheure Detailreichtum des Bandes. Was K.-O. Hagelstein zusammengetragen hat, ist vorher nirgends so umfassend geleistet worden. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob man einer an sich mittelmäßigen Frage wirklich 650 Seiten widmen musste, zumal kein Überblick, kein roter Faden oder eine Erkenntnis außerhalb des Faktuellen vermittelt wird. Hinzu kommen der eindeutig borrussische Standpunkt Hagelsteins sowie die gravierenden technischen Mängel, die den Wert des vorliegenden Werkes erheblich mindern.

Anmerkungen:
1 Josef Becker (Hrsg.), Bismarcks spanische „Diversion“ 1870 und der preußisch-deutsche Reichsgründungskrieg. Quellen zur Vor- und Frühgeschichte der Hohenzollern-Kandidatur für den Thron in Madrid 1866–1932, Band III, Paderborn 2007, S. XIXf.
2 Preußisches Konratsprotokoll vom 29. 5. 1865, fol. 267r.–268v. Acta Borussica, N.F. 2.

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