Titel
Les coptes d'Egypte. Violences communautaires et transformations politiques (2005-2012)


Autor(en)
Guirguis, Laure
Erschienen
Anzahl Seiten
310 S.
Preis
€ 28,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Schmoller, Zentrum zur Erforschung des Christlichen Ostens, Universität Salzburg

Die koptischen Christen Ägyptens standen in den vergangenen Jahren vermehrt im Blickpunkt medialer Berichterstattung, zuletzt im August 2013, als der Sturz der Regierung Mohammed Mursi zu den bisher gewalttätigsten Angriffen auf koptische Einrichtungen und Personen durch aufgebrachte Muslimbrüder führte. Dabei hatte sich bei den anfänglichen Demonstrationen auf dem Tahrir-Platz das Bild von den friedlichen Demonstranten eingeprägt, die als Symbol der Einheit Ägyptens den Halbmond neben dem koptischen Kreuz abbildeten und damit gewissermaßen an die ägyptische Revolution von 1919 anschlossen. Doch schon bald danach trat im sunnitisch geprägten Ägypten die Realität konfessioneller Isolation und Spaltung in den Vordergrund. Nach verstärkten Gewalttaten gegen Kopten demonstrierten diese vor dem Fernsehgebäude auf der Nilpromenade – auch Maspero genannt – und verwendeten dabei exklusiv christliche Symbole, um partikulare konfessionelle Forderungen zu artikulieren.

Diese jüngste Geschichte ist in der Ende 2012 erschienenen Studie der französischen Politologin Laure Guirguis „Les coptes d’Égypte“ nicht mehr berücksichtigt. Dies mindert jedoch keinesfalls den Wert der Arbeit, einer Dissertation an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris, liefert diese doch gerade einen breiten und differenzierten Blick auf die hinter den aktuellen Ereignissen liegenden Entwicklungen. Dafür nimmt Guirguis einerseits en détail das Anschwellen der physischen wie der symbolischen Gewalt gegen die koptische Bevölkerung Ägyptens seit 2005 in Blick und beleuchtet andererseits en gros vor dem Hintergrund der ägyptischen Geschichte seit der Unabhängigkeit die politische Entwicklung der Kopten. Mit anderen Studien ähnlichen Formats 1 trägt der Band dazu bei, eine beträchtliche Lücke in der Literatur zu füllen, die in der Erforschung der Geschichte und Politik der modernen koptischen Kirche und Community besonders dann auffällt, wenn man die vergleichsweise reichhaltige Diskussion über die Rolle des Islam in der Politik und des politischen Islam heranzieht.2

Guirguis will in ihrer dreiteiligen Studie aufzeigen, wie die Mechanismen der gouvernementalité Ägyptens, eines Begriffs, den sie von Michel Foucault übernimmt, eine „logique d’exclusion“ der koptischen Christen begründen, reproduzieren bzw. neukonfigurieren (S. 27). Der Horizont, der ihre Forschung antreibt, ist die Frage, ob und gegebenenfalls wie die bestehende „Abschottung in einer Parallelgesellschaft“ der Kopten – dies kommt der in Frankreich und von der Autorin gepflegten Verwendung des Begriffs communautarisme (Kommunitarismus) wohl am nächsten – überwunden oder zumindest verändert werden könnte. Guirguis kommt in diesem Punkt letzten Endes zu einem skeptischen Befund.

Der erste Teil widmet sich der Analyse des Ausbruchs sogenannter konfessioneller Gewalt sowie den auf Exklusion zielenden Identitätsdiskursen. Guirguis periodisiert eingangs die Gewalt gegen die Kopten seit den 1970er-Jahren in drei Etappen und unterscheidet tödliche Anschläge wie jenen vom 6. Januar 2010 auf die Kirche in Nag Hammadi von früheren Gewaltausbrüchen. Die zusehends zerstörerische und tödliche Gewalt im beginnenden 21. Jahrhundert entstammte so weniger der spontanen Dynamik lokaler Konflikte, wie dies rund um umstrittene oder boykottierte Kirchenbauprojekte zum Ausdruck kommt, sondern hat, wie Untersuchungen der „Egyptian Initiative for Personal Rights“ zeigen, vorsätzlichen und organisierten Charakter, der sich allgemein gegen die Kopten wendet.

Neben der physischen Gewalt thematisiert die Studie auch die symbolische Gewalt und Diskriminierung entlang der konfessionellen Trennlinien, die von islamistischen Kräften als „pureté du sang et séparation des corps“ ideologisiert werden (S. 45). Es handelt sich um Verbote und Vorschriften, die den täglichen Umgang mit Christen oder Andersgläubigen reglementieren bzw. unterbinden und so die Teilung der Gesellschaft vertiefen. So ist auch auf koptischer Seite bemerkbar, dass das Konzept der Reinheit immer mehr Lebensbereiche durchdringt, etwa wenn Nahrungsmittel nicht aus den Händen von Muslimen stammen dürfen oder an der Universität eigene Zonen und Aktivitäten ausschließlich für Kopten beansprucht werden.

Besonders gelungen ist der Autorin die differenzierte Darstellung der Thematik der Entführung koptischer Mädchen und Frauen, die zwangskonvertiert und zwangsverheiratet werden. Guirguis nähert sich dem Phänomen kritisch, referiert dabei Untersuchungen, die tatsächlichen oder kolportierten Vorfällen nachgegangen sind und erkennt auf der Ebene der gängigen Narrative auf koptischer wie auf muslimischer Seite die Herausbildung stereotyper Muster der Darstellung, in denen die vermeintlichen Opfer geradezu eine Leerstelle bilden. Sich nicht von den alarmistischen Aufschreien der diskriminierten Kopten oder westlichen NGOs und vordergründigen Menschenrechtsdiskurs leiten lassend, verortet sie die „Zwangskonversion“ auch aus dem Perspektivenspektrum der potenziell Betroffenen. Deren sozialer und familiärer Perspektivenmangel verdichtet sich im Rahmen des kommunitären Systems, das die patriarchale Verfügungsgewalt über die Töchter zwecks Sicherung und Stärkung der Community zementiert, mitunter zu einer alles erstickenden Atmosphäre, die außer dem Übertritt zur anderen Religion keine Option als Ausweg zu erlauben scheint.

Der zweite Teil setzt sich aus einer umfassenden Reflexion der Minorisationsprozesse während des über vier Jahrzehnte dauernden Patriarchats von Schenuda III. (1971–2012) zusammen. Die Schaffung eines geschlossenen kommunitären Raumes der koptischen Kirche vollzog sich, so die Autorin, parallel zu einer Individualisierung der religiösen Praxis, einem Wandel von religiösen zu ethischen Werten und dem Niedergang des nationalen Ideals. Aufschlussreich ist dabei auch das Augenmerk auf die innerkoptische Dynamik des gesellschaftlichen Rückzuges, wie er von Papst Schenuda in seiner Kirchen- und Regimebeziehungspolitik – unter effektiver Ausschaltung von Widerstand – forciert wurde. Der stille Pakt der Unterstützung des Mubarak-Regimes einerseits und der Kommunitarismus andererseits, der mit einer vehementen Hegemonisierung des Ekklesialen einherging, schlossen einander nicht aus. Im Gegenteil, die islamische Gesellschaftsordnung war dem theologisch-politischen Programm Schenudas mehr gelegen als ein laizistisches Modell, solange er – wie im osmanischen Millet-System – die jurisdiktionelle Autorität im Bereich der Persönlichkeitsrechte behalten konnte.

Der letzte Teil verdeutlicht, wie die partielle Pluralisierung des politischen und medialen Lebens der letzten Mubarak-Jahre die communautarisation (das heißt die Ausbildung einer Parallelgesellschaft) noch verstärkt und neue Formen der konfessionellen Stigmatisierung hervorgebracht hat. Guirguis thematisiert hier sehr grundlegend die politische Szene Ägyptens, in der die Frage der politischen Repräsentation der Kopten seit der Konstitution von 1923 von Bedeutung ist. Wie sich z.B. die Muslimbrüder über die Kopten Ägyptens im Kontext von Wahlen geäußert haben, fungierte insgesamt immer wieder als Gradmesser für ihre Politiktauglichkeit.

Dass die koptische Community eine ausgeprägte Transnationalität aufweist, äußert sich schließlich in der besonderen Militanz der weltweiten Diaspora, die die Studie näherbringt. Tendenziell dem rechten politischen Spektrum zuzurechnen und aus sozial besser gestellten Sphären agierend, entwickelte der militante Einsatz für die verfolgten Glaubensbrüder im Heimatland – vor allem aber nicht nur – in den USA Sympathiebekundungen aus dem (neo-)konservativen islamophoben Lager der politischen Rechten (vgl. S. 244).

Laure Guirguis ist mit diesem Buch ein höchst informativer Einblick in die moderne und jüngste Geschichte der Kopten gelungen. Wünschenswert wäre bestenfalls eine stärkere Berücksichtigung der islamistischen Kräfte wie der Muslimbruderschaft gewesen, um eine bessere Kontextualisierung der Faktoren, die für die Entwicklung der Kopten ausschlaggebend waren, zu erhalten. Entscheidend ist jedoch, dass die Studie von Guirguis auch eine neue Forschungsperspektive auf das moderne Koptentum mit formt, die sich dadurch auszeichnet, dass sie keinen viktimologisch verengten Blick weiter tradiert. Dieser hat zu historischen Einseitigkeiten geführt, die zudem im Westen für fragwürdige politische Agenden in Dienst genommen wurden und werden. Durch dieses Buch erhält die Erforschung der autochthonen religiösen Minderheit Ägyptens in Frankreich als auch auf internationaler Ebene nicht nur mehr Beachtung, die sie angesichts der politischen Aktualität zweifelsohne verdient, sondern auch ein schärferes wissenschaftliches Profil.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa: Elizabeth Iskander, Sectarian Conflict in Egypt. Coptic Media, Identity and Representation, Hoboken 2012; Vivian Ibrahim, The Copts of Egypt. The Challenges of Modernisation and Identity, London 2013.
2 Vgl. Paul Sedra, Writing the History of the Modern Copts. From Victims and Symbols to Actors, in: History Compass 7 (2009) 3, S. 1049–1063.

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