B. Koelges: Der Demokratische Frauenbund

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Titel
Der Demokratische Frauenbund. Von der DDR-Massenorganisation zum modernen politischen Frauenverband


Autor(en)
Koelges, Barbara
Reihe
Studien zur Sozialwissenschaft 214
Anzahl Seiten
273 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Kuller, Historisches Seminar, Abteilung Neueste Geschichte und Zeitgeschichte, Ludwid-Maximilians-Universität München

Der Demokratische Frauenbund hat im Gegensatz zu den meisten anderen DDR-Monopolverbänden die Wende 1989/90 überlebt. Zwar war er zunächst wie auch andere Massenorganisationen heftig in die Kritik geraten. Inzwischen mußte der Verband seinen Alleinvertretungsanspruch aufgeben und sich tiefgreifend vom politischen zum vorwiegend sozialen Verband umstrukturieren. Dennoch existiert der einstige Monopol-Frauenverband der DDR bis heute als eine vergleichsweise mitgliederstarke und weitverzweigte Frauenorganisation in den neuen Bundesländern, während anderen gesellschaftspolitischen Feldern das westdeutsche Verbändesystem übergestülpt wurde.

Die Frage, wie sich der Demokratische Frauenbund nach 1989 behaupten konnte, steht im Zentrum des hier vorzustellenden Buches der Politologin Barbara Koelges. Sie folgt einem transformationstheoretischen Ansatz, der Frauen als Interessengruppe und die Frauenverbände in den neuen Bundesländern als Organisationen eben dieser Interessen analysiert. Koelges kann sich dabei auf elaborierte theoretische Konzeptionen stützen. Neu ist deren konsequente Anwendung auf die Untersuchung der Frauenverbände sowie die breite, selbst erhobene Quellengrundlage durch eine Umfrage unter Frauenverbänden in den neuen Bundesländern: Anhand von Interessenkongruenzen, verbandlichen Ressourcen, staatlicher Unterstützung der Verbände und dem Verhältnis der Organisationen untereinander wird die Entwicklung der ostdeutschen Frauenverbändelandschaft analysiert.

Barbara Koelges nähert sich der Frage nach den Beharrungskräften des Demokratischen Frauenbunds (dfb) von zwei Seiten: Zum einen sucht sie nach Ursachen in der Entwicklungsgeschichte des dfb selbst. So hatte der DDR-Frauenverband trotz der Nähe der Verbandsspitze zur SED in den letzten Jahren vor der Wende in seinen Frauenzentren an der Basis eine relativ unpolitische Sozialarbeit geleistet und konnte daher nach 1989 auf ein weiterbestehendes Gefühl der “Gruppenheimat” (S. 239) rekurrieren. Nicht nur dieses emotionale Kapital, sondern auch erhebliche materielle Ressourcen übernahm der dfb aus der DDR-Zeit. Von strategischer Bedeutung waren in der Wendezeit vor allem Räume des dfb, die er neuen, noch heimatlosen Frauengruppen zur Verfügung stellen konnte, wodurch er in kooperativen Kontakt zu anderen Verbänden kam.

Zum inhaltlichen und organisatorischen Wandlungsprozeß gehörte neben dem letztlich eher halbherzigen personellen Austausch an der Spitze vor allem ein Schuldbekenntnis des Bundesvorstands im Dezember 1989, die Politik der SED mitgetragen zu haben, die Anerkennung der demokratischen Grundordnung (1990) und die Akzeptanz der deutschen Einigung (1990). Letztlich war es aber nach Ansicht Koelges vor allem die schnelle und vollständige Adaption westdeutscher Strukturen durch die Umwandlung in einen eingetragenen Verein 1990, die dem dfb das Weiterbestehen sicherte: Danach konnte der Verband zwar nicht mehr bei Wahlen kandidieren, erschloß sich aber dafür neue Finanzierungsmöglichkeiten.

Die kursorische Darstellung dieser Entwicklung stützt Koelges fast ausschließlich auf publizierte Dokumentationen des dfb, die kaum kritisch hinterfragt werden. Dieser einseitige Zugang führt dazu, daß die Darstellung an zentralen Wendepunkten der Entwicklung weitgehend zu einer unkritischer Wiedergabe der öffentlichen Selbstdarstellungen des dfb gerät. Wer sich für Hintergründe der Entwicklung, für inhaltliche Debatten und machtpolitische Rivalitäten im und um den Verband und für seine führenden Persönlichkeiten interessiert, den läßt die Darstellung leider vielfach im Stich.

Warum der Leser sich in der Frage der gut zweijährigen Treuhandverwaltung durch eine fast 50 Seiten umfassende, teilweise redundante und weitgehend unkommentierte Wiedergabe von juristischen Spezialia und verschiedenen Rechtsgutachten arbeiten muß, bleibt fraglich. Die Schlußfolgerung, daß das juristische Know-How der Verbandsmitarbeiterinnen ein “geschicktes Krisenmanagement” ermöglichte (S. 154), deutet eher auf einen geringen Aussagewert der taktisch angelegten Rechtsverfahren hin, wie die Autorin auch selbst erwähnt (S. 129). Von mindestens ebenso großer Bedeutung scheint dagegen zu sein, daß der dfb seine inhaltliche und organisatorische Transformation während einer Zeit vollziehen mußte, in der sein Vermögen gesperrt und die finanzielle Zukunft unkalkulierbar war. Der Verband mußte sich nicht nur fast vollständig auf ehrenamtliche Organisationsstrukturen umstellen, auch die Konzentration auf öffentlich geförderte Wirkungsfelder wie den Zweiten Arbeitsmarkt und die Erwachsenenbildung erklärt sich wohl nicht zuletzt aus diesen finanziellen Aspekten, ebenso die 1996 vollzogene Förderalisierung, die den Landesverbänden Zuschüsse der Bundesländer erschließen sollte. In der folgenden Phase der Konsolidierung im Bereich der praktischen Sozialarbeit gründete der dfb u.a. einen eigenen Reiseservice, ein Bildungswerk und ein Sozialwerk, alles fast ausschließlich über staatliche Fördergelder finanziert, und betrieb zahlreiche Projekte auf Landesebene.

Die Erfolgsgeschichte des Demokratischen Frauenbunds ist zum großen Teil auch eine Geschichte des Scheiterns seiner Konkurrenzorganisationen. Dies ist der zweite Ansatz in dem Buch von Barbara Koelges. In einer ersten Phase nach der Wende 1989/90 war die Entwicklung der Frauenverbände maßgeblich geprägt von den Veränderungen der politischen Rahmenbedingungen, auf die Koelges allerdings nur ganz am Rande eingeht. Sie klammert damit ein grundlegendes Argument der bisherigen Forschung aus, die den raschen Umschwung vom relativ unbürokratischen Eintritt in die Politik 1989/90, als die Frauenverbände mit am “Runden Tisch” saßen, hin zur zunehmend vom westdeutschen Parteienspektrum dominierten Partizipationsstruktur ab Februar 1990, in dem sich die quer zu den West-Parteien stehenden Frauenorganisationen nicht etablieren konnten, betont. Dies führte unter anderem zu einem Machtverlust des nach der Wende neu gegründeten “unabhängigen Frauenverbands”, des schärfsten Konkurrenten für den dfb. Gleichzeitig lenkte nach bisheriger Sicht die Frustrationserfahrung in der Politik die Aktivitäten der Frauenverbände in die praktische Sozialarbeit, wo der dfb jenseits seiner politischen Vorgeschichte erfolgreich agieren konnte und sogar Startvorteile hatte. Die Veränderung der politischen Rahmenbedingungen vermißt man in Koelges Arbeit als Erklärungsfaktor für die Entwicklung der Frauenverbändelandschaft in den neuen Bundesländern.

Entscheidend für die weitere Durchsetzungskraft des dfb war nach Koelges Untersuchung vor
allem, daß der dfb Ziele verfolgte, die im Interesse der potentiellen Mitglieder lagen, und die andere Verbände nicht vertraten. Um die strategischen Stärken der ehemaligen DDR-Altorganisation zu profilieren, vergleicht Koelges sie mit dem “unabhängigen Frauenverband” als eine Neugründung nach der Wende und mit den von Westdeutschland aus unterhaltenen Verbindungsbüros des “deutschen Frauenrats” sowie mit einigen berufsständischen Verbänden. In einer Fragebogenaktion untersuchte Koelges 82 Verbände nach ihren Organisationszielen, nach ihren Ressourcen und nach externen Einflüssen. Auf der Basis dieser Umfrage konstatiert die Autorin als wichtigstes Ergebnis, daß es spezielle Interessenlagen von Frauen in den neuen Bundesländern gibt, die von den anderen Verbänden nicht adäquat vertreten werden, die der dfb in politischen Forderungen und Projektarbeit jedoch früh aufnahm. Neben dem § 218 war dies vor allem die Frage der Frauenarbeitslosigkeit und der Frauenrente. Die typische Klientel des dfb, meist über 55 Jahre alt, war von den beiden letztgenannten Problemen besonders betroffen. In dieser Altersgruppe wirkte auch als Startvorteil eine gewisse kulturelle und soziale Bindung noch aus DDR-Zeiten. Von Bedeutung war nach Koelges auch, daß alle befragten Verbände - Neugründungen, Westverbände und der dfb - in der Regel keine kompetitive, sondern eine kooperative Strategie verfolgten.

Ist hier auch kritisch anzumerken, daß die Umfrage eine Momentaufnahme zu einem Zeitpunkt darstellt, an dem sich das Frauenverbändesystem bereits konsolidiert hatte (Mai 1999), mithin keine unmittelbaren Schlüsse auf die Interessenlage vor und während der Konsolidierung zuläßt, so kann Koelges sich hier doch auf eine selbst erschlossene, einzigartige, solide Datenbasis stützen, die den zeitlichen Horizont erstmals auf die gesamten 1990er Jahre ausweitet. Als Nebeneffekt vermißt sie dabei die Frauenverbändelandschaft in den neuen Bundesländern neu, die sich in den letzten Jahren stark verändert und diversifiziert hat.

Fragt man am Ende, was denn nun das Überleben des dfb ermöglicht hat, so kommt man an den grundlegenden Weichenstellungen der Jahre 1989/90 kaum vorbei. Der Ausstieg aus der unmittelbaren parteipolitischen Arena und die Adaption westlicher Vereinsstrukturen 1990 öffneten erst den Weg für den ehemaligen DDR-Frauenverband, auf seine materiellen und kulturellen Ressourcen rekurrieren zu können. Auch nach der Studie von Koelges wird man also davon ausgehen müssen, daß die kurze Transformationsphase 1989/90 einen entscheidenden Zeitraum für die Herausbildung der so besonderen Frauenverbändelandschaft in den neuen Bundesländern darstellt. Mit ihrer zeitlichen Ausweitung auf die weitere Entwicklung in den 1990er Jahren hat Barbara Koelges die Erfolgsgeschichte des dfb um die provokative These erweitert, daß es spezifische Interessen von Frauen in den neuen Bundesländern gibt, die sich auf eine typische DDR-Erfahrung beziehen und nur vom ehemaligen DDR-Frauenverband aufgegriffen werden.

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