F. Bajohr u.a. (Hrsg.): Right-Wing Politics and the Rise of Antisemitism

Cover
Titel
Right-Wing Politics and the Rise of Antisemitism in Europe 1935–1941.


Herausgeber
Bajohr, Frank; Pohl, Dieter
Reihe
European Holocaust Studies
Erschienen
Göttingen 2019: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
267 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Juliane Wetzel, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin

Dieser erste Band des neuen Jahrbuchs „European Holocaust Studies“ des Zentrums für Holocaust-Studien am Institut für Zeitgeschichte in München (IfZ) versammelt eine Reihe von bedeutenden Wissenschaftlern, die sich seit vielen Jahren der Holocaustforschung widmen. Ohne dass dies explizit genannt wird, sind sechs Beiträge offensichtlich Teil einer internationalen Konferenz gewesen, die von Frank Bajohr (IfZ) und Dieter Pohl (Alpen-Adria Universität Klagenfurt) gemeinsam mit Grzegorz Krzywiec (Polnische Akademie der Wissenschaften, Warschau) im Februar 2016 am IfZ in München unter dem gleichnamigen Titel organisiert worden war.

Bajohr beschreibt in seinem Beitrag, welchen Einfluss das Amt Rosenberg für die Internationalisierung des Antisemitismus hatte, und schließt mit einem Appell, die Ereignisse der 1930er- und 1940er-Jahre nicht nur historisch zu betrachten, sondern durchaus auch die Parallelen zu aktuellen politischen Entwicklungen nicht aus den Augen zu verlieren, wobei es wohlgemerkt um den Vergleich und nicht um die Gleichsetzung geht. Bajohr bezieht sich auf die in den letzten Jahren in vielen Regionen aufkeimenden rechtspopulistischen Parteien und rechtsextremen Bewegungen (S. 18), die anti-liberale Ideen und fremdenfeindliche, aber auch anti-jüdische und anti-muslimische Haltungen verbreiten bzw. zu deren Radikalisierung beitragen. Man könne von einer Wiedergeburt „völkischer“ Ideen sprechen, so der Autor.

Pohl weitet in seinem ausgezeichneten Aufsatz den Blick auf das europaweite Phänomen des Massenmords an den Juden, die anti-jüdische Haltung und die Politik vieler Länder, die nicht nur als Zuschauer den Massenmord beobachteten, sondern ihn aktiv unterstützten bzw. sich sogar an den Taten beteiligten. In einer verhältnismäßig kurzen Phase zwischen den beiden Weltkriegen, so Pohl, veränderten sich Politik, Diskurs und soziales Verhalten gegenüber Juden massiv. Einerseits schritt die Emanzipation und Teilhabe von Juden am öffentlichen Leben voran, andererseits wuchsen im gleichen Zeitraum rechtsextreme Agitation und antijüdische Gewalt drastisch an, um schließlich in einen transnationalen Trend zu münden, der einen neuen anti-jüdischen Diskurs in Gang setzte (S. 21). Welchen Radikalisierungsschub antisemitische Diskurse erfuhren und wie diese in Gewalt umschlugen, zeigt Pohl anhand der im Nordosten Rumäniens gelegenen Stadt Iaşi, in der Ende Juni 1941 der erste Massenmord an den Juden stattfand. 14.000 Opfer wurden von rumänischen Militär- und Polizeikräften ermordet, während die Deutschen zusahen (S. 32). Pohl legt schlüssig dar, wie Antisemitismus in nahezu allen ost- und mitteleuropäischen Staaten zu einem Konsensmodell wurde.

Ferenc Laczó behandelt in seinem Beitrag die Jahre 1938 bis 1941, als sich Ungarn mit den Deportationen der Juden aus der wieder einverleibten Karpatenukraine (Transkarpatien) an der vorbereitenden Phase des Holocaust beteiligte. Die Zeit von 1941 bis 1943, in der der ungarische Staat und die ungarische Armee aktiv und gewaltsam gegen Juden vorgingen, so der Autor, kann als „Holocaust vor der eigentlichen Phase des Holocaust“ bezeichnet werden (S. 43). Die antisemitische Radikalisierung war ein staatlich gelenkter Prozess, der auf das genozidale Vorgehen zusteuerte, das 1944 mit der Zwangsdeportation der meisten Opfer aus Ungarn seinen brutalen Höhepunkt fand (S. 57).

Grzegorz Krzywiec widmet sich dem Einfluss, den städtische, nationalistische paramilitärische Subkulturen, die sich vor allem im akademischen Umfeld gebildet hatten, nahezu auf jede polnische ländliche Region hatten. In manchen Woiwodschaften wurde damit bereits kurz vor Beginn des Zweiten Weltkriegs das – wenn auch ambivalente – symbiotische Verhältnis zwischen ethnischen und religiösen Gruppen völlig zerstört (S. 80). Allerdings hatte dies nicht – wie in anderen Ländern – einschneidende Veränderungen für die jüdischen Gemeinden zur Folge. Es wurden keine antijüdischen Gesetze erlassen und das jüdische Leben blieb relativ unbehelligt, allerdings war das Gleichgewicht fragil und konnte jederzeit kippen.

Susanne Heims Fokus liegt auf dem Jahr 1938 und den restriktiven Einwanderungsregeln der meisten Länder, denen sich deutsche Juden aufgrund des Emigrationszwangs ausgesetzt sahen. Sie beschreibt die hoffnungslose Lage, in der sich die deutschen Juden befanden. Die Konferenz im Badeort Évian am Genfer See, einberufen vom US-amerikanischen Präsidenten Roosevelt, sollte – so die insgeheime Hoffnung – Abhilfe schaffen und die Länder dazu bewegen, verfolgte Juden aufzunehmen. Die meisten Länder wehrten sich gegen jeglichen Zwang und machten bereits im Vorfeld deutlich, dass sie ihre restriktive Politik nicht aufzugeben bereit waren. Das Ergebnis der Konferenz war desillusionierend und ihr einziges Resultat die Einberufung eines Intergovernmental Committee. Obgleich die Ereignisse weitgehend bekannt sind, ist Heims Beitrag vor allem wegen der Erkenntnisse aus der jüngsten Forschung interessant.

Gerben Zaagsma wirft einen Blick auf die Reaktionen der Betroffenen. Sie mussten sich zum Beispiel in Frankreich gegen zahlreiche Organisationen, die Antisemitismus propagierten, aber auch gegen die polnische Migrantenpresse, die besonders jüdische Zuwanderer in den Fokus nahm, wehren (S. 99). In Großbritannien waren solche Entwicklungen eher selten zu beobachten, allerdings haben im Zuge der ökonomischen Krise einschlägige Parteien wie die von Oswald Mosley Antisemitismus geschürt (S. 100). Zaagsma kommt zu dem Ergebnis, dass die jüdische Antwort auf Antisemitismus in einem viel breiteren Kontext gesehen werden muss, als dies oft der Fall ist. Eine wichtige Rolle spielen unter anderem lokale Kontexte und Umstände, transnationale Kontakte und der internationale Austausch. Nur eine vergleichende Perspektive, so der Autor, führe zu einem besseren Verständnis der jüdischen Reaktionen auf die judenfeindlichen Einstellungen in der Zwischenkriegszeit.

Auch Kim Wünschmann widmet sich den Reaktionen der Betroffenen auf den Antisemitismus im nationalsozialistischen Deutschland. Die Autorin bezieht sich auf eine Reihe von persönlichen Zeugnissen, die die Betroffenen für einen Moment zu Akteuren werden lassen und zeigen, wie sich – selbst in den Konzentrationslagern – eine Strategie der Selbstbehauptung entwickeln konnte (S. 104). Wünschmann betont, wie wichtig es sei, jüdische Antworten auf antisemitische Exklusion und Vertreibung aus NS-Deutschland zur Sprache zu bringen und damit die Gruppe der Verfolgten als Individuen wahrzunehmen.

Bob Moore schließlich beschreibt die Reaktionen der westeuropäischen Linken auf Ausgrenzung, Verfolgung und Mord. Der Autor geht der Frage nach, wie Juden in Frankreich, Belgien und den Niederlanden mit Hilfe der Linken überleben konnten. Leider hat Moore zu Frankreich und Belgien relativ alte Literatur genutzt. Für die Niederlande hat Moore selbst eine größere Studie vorgelegt, aber auch diese datiert aus dem Jahr 1986. Der Autor betont den Unterschied zwischen den drei untersuchten Ländern: Besonders in den Niederlanden habe es in den Jahren vor 1940 keine direkte Verbindung zwischen der politischen Linken und den jüdischen Gemeinden gegeben. Dies habe vor allem damit zu tun, dass die Immigration aus Osteuropa nach 1917 in den Niederlanden weitgehend unterbunden wurde und damit keine linken Aktivisten ins Land kamen, die niederländischen Juden also hauptsächlich dem Mittelstand angehörten (S. 173). Die Aussage des Autors, dass die Rolle der Kommunisten, der Sozialdemokraten und der liberalen Linken in den Narrativen über die Verfolgung der Juden in Westeuropa marginalisiert wurde, erscheint hier doch als zu absolut und müsste in einem größeren Rahmen betrachtet werden.

Im Anschluss an die wissenschaftlichen Beiträge wirft Victor Karady in einem Besprechungsessay einen kritischen Blick auf die Studie von Götz Aly, Europa gegen die Juden 1880-1945 (Fischer Verlag 2017). Karady kommt zu dem Ergebnis, dass – bei aller Brillanz – Alys Studie relativ einseitige Interpretationen liefere (S. 195).

Das neue Jahrbuch enthält außerdem eine Quellenkommentierung des Interviews von Nahum Goldmann mit dem polnischen Botschafter im Januar 1939 und vier Projektbeschreibungen sowie einen Rückblick auf die achtjährige (2010–2018) Arbeit der „European Holocaust Research Infrastructure“ (EHRI).

Man hätte sich gewünscht, dass dieser Band, der wichtige Beiträge zur Holocaustforschung liefert, mit einem einleitenden Editorial der Herausgeber versehen worden wäre und nicht ohne jeglichen erläuternden Hinweis mit den Forschungsbeiträgen begonnen hätte. Eine Erklärung, warum neben den bereits bestehenden Zeitschriften zum Thema Holocaust-Studien eine weitere hinzukommt und welche Intention die Herausgeber für die künftigen Jahrbücher verfolgen, wäre der Einführung eines neuen Organs dienlich gewesen.

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