Cover
Titel
Zeitbilder. Filme des Nationalsozialismus


Autor(en)
Rother, Rainer
Erschienen
Anzahl Seiten
262 S.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Friedemann Beyer, Berlin

Seit den frühen 1990er-Jahren, als Rainer Rother eine umfangreiche Ausstellung zum 75. Jubiläum der Ufa im Deutschen Historischen Museum kuratierte1, gilt der Medienwissenschaftler und heutige künstlerische Direktor der Deutschen Kinemathek als ausgewiesener Experte in Sachen nationalsozialistischer (NS) Film. Rother hat eine Biografie über Leni Riefenstahl veröffentlicht2 und zuletzt einen Band mit Vorträgen eines Symposiums zur Ufa unterm Hakenkreuz herausgegeben.3 Außerdem taucht sein Name regelmäßig in film- und zeitgeschichtlichen Publikationen auf. Eine Auswahl verstreuter Essays der vergangenen zwei Jahrzehnte zum NS-Film legt Rother nun unter dem Titel „Zeitbilder. Filme des Nationalsozialismus“ vor. Mit Ausnahme eines Artikels, der eigens für den Band geschrieben wurde, sind dessen elf Beiträge bereits in einschlägigen Anthologien, Zeitschriften oder Tageszeitungen zwischen 2001 und 2015 erschienen. Die Auswahl ist aber keine zufällige, sondern folgt einer Systematik: Rother nähert sich seinem Thema vom Allgemeinen („Nationalsozialismus und Film“) über strukturelle, publizistische, genrespezifische Eigenheiten zum Besonderen einiger exemplarischer Filme des „Dritten Reichs“ – allen voran einer seiner berüchtigtsten: „Jud Süß“ (1940).

Zu Recht unterscheidet Rother zwischen Filmen, die im Nationalsozialismus entstanden sind und solchen des Nationalsozialismus, also Filmen, die aus formalen oder/und ideologischen Gründen dem Begriff eines nationalsozialistischen Films entsprechen. Erfüllen dieses Kriterium doch lediglich circa zehn Prozent der rund 1.100 abendfüllenden deutschen Filmproduktionen, die zwischen 1933 und 1945 fertiggestellt wurden.4 Dabei handelt es sich um Filme, die häufig von der politischen Führung beauftragt und deren Entstehung von ihr aktiv begleitet wurde. Eine besondere Rolle spielte hierbei Joseph Goebbels als „Schirmherr des deutschen Films“, der nicht nur über Besetzungsfragen entschied, sondern teilweise auch in die Drehbucherstellung eingriff.5 Dies waren jedoch eher die Ausnahmen, die sich auf staatspolitisch bedeutende Projekte beschränkten. Das Gros der Produktionen bestand aus Komödien, Operetten, Melodramen und Literaturverfilmungen, die zumindest bei oberflächlicher Betrachtung keiner ideologischen Tendenz folgten. Anders als die Filmindustrie sozialistischer Länder, in denen der Staat nicht nur für die Budgets, sondern auch für die Defizite „seiner“ Filmproduktionen aufkam, blieb die ab 1937 verstaatlichte NS-Filmindustrie privatwirtschaftlich organisiert, das heißt sie musste gewinnorientiert arbeiten. Propagandafilme jedoch galten, mit wenigen Ausnahmen, als Kassengift, weshalb sie (zumal vor 1939) selten blieben. Das urbane Kinopublikum favorisierte ohnehin Hollywoodfilme, die bis 1940 erfolgreich in Deutschland liefen.6

Was nun ist ein „Film des Nationalsozialismus“? Rainer Rother verweist im ersten Teil seines Buches, überschrieben mit „Abgrenzungen, Referenzen, Vergleiche“, auf einen Diskurs, der im Frühjahr 1933 durch Goebbels angestoßen wurde, als er in seiner Antrittsrede vor den Spitzen des deutschen Films Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ als gelungenes Beispiel filmischer Propaganda lobte. Es entspann sich hierauf in der Fachöffentlichkeit eine Diskussion über das Spezifikum des nationalsozialistischen Films, die auch Themen wie Avantgarde oder den sogenannten Absoluten Film zuließ. So verteidigte 1937 ein Artikel der Zeitschrift Filmkurier den Avantgarde-Film „Un drole de drame“ von Marcel Carné gegen Angriffe der französischen Presse und brach eine Lanze für „neue Wege“ im Filmschaffen (S. 123). Es ist Rothers Verdienst, dass er sich den filmtheoretischen Erörterungen jener Jahre gewissenhaft widmet und so dem Leser einen Einblick verschafft in eine damals erstaunlich offen und differenziert geführte Debatte. Eine Debatte freilich, die aus heutiger Sicht akademisch wirkt, hatte sie doch kaum sichtbare Auswirkungen auf die Produktionspläne.

Einen nach einhelliger Meinung beispielhaften NS-Film hatte Hans Steinhoff 1933 mit „Hitlerjunge Quex“ geschaffen: Eine Märtyrerlegende aus der „Kampfzeit“, die durch ihre geschickte Verknüpfung von realem und fiktionalisiertem Geschehen und ihrer an Agitprop-Filmen wie „Kuhle Wampe“ (1932) orientierten Montagetechnik selbst dem politischen Gegner Respekt abnötigte. Danach gab es in der NS-Spielfilmproduktion bis Ende der 1930er-Jahre nichts, was inszenatorisch eine ähnliche Wirkung entfaltete oder gar darüber hinausging. Anders beim Dokumentarfilm: Hier setzten Leni Riefenstahls „Triumph des Willens“ (1935) und ihre beiden „Olympia“-Filme (1938) Maßstäbe. Eine neue Gattung begründeten dann die „Zeitfilme“ Karl Ritters – das, wie Rother nahelegt, eigentlich originäre Genre des Nationalsozialismus. Ritters in den Jahren 1937 und 1938 entstandenen Melodramen („Patrioten“), Komödien („Urlaub auf Ehrenwort“) und Heldenepen („Unternehmen Michael“, „Pour le Mérite“) deuteten die Geschichte des Ersten Weltkriegs ideologisch um und bedienten eine Zielgruppe, die sich in der Weimarer Republik an den völkisch gestimmten „Fridericus“-Filmen erbaut hatte.

Schlagartig wuchs der Bedarf an Propagandafilmen dann mit Beginn des Zweiten Weltkriegs, wurden „Wochenschau und Dokumentarfilm zu Vorbildern der gesamten Filmproduktion erklärt“ (S. 149). Der zunächst siegreiche Vormarsch deutscher Truppen gab den dramaturgischen Hintergrund ab für einen Publikumserfolg wie „Wunschkonzert“ (1940, Regie Eduard von Borsody), der die Verbindung von Front und Heimatfront stärken sollte. Als weiteres Beispiel nennt Rother „Die große Liebe“ (1942, Regie Rolf Hansen). Das Melodram thematisierte die emotionalen Entbehrungen einer Frau angesichts der totalen Mobilmachung. Beide Titel sind prominente Beispiele für „Zeitfilme“, die aktuelle Entwicklungen auf dem europäischen Kriegsschauplatz mit der Handlung verwoben, unter Einbeziehung von Wochenschaumaterial. Das war offenbar eine Erfolgsformel: Mit über 20 Millionen Zuschauern gehören „Wunschkonzert“ und „Die große Liebe“ zu den erfolgreichsten deutschen Kinoproduktionen überhaupt und widerlegten das Diktum vom Propagandafilm als Kassengift; jedoch nur vordergründig. Denn beide Filme verpackten ihre ideologische Botschaft geschickt in ebenso spannende wie unterhaltsame, musikalisch angereicherte, im Falle von „Wunschkonzert“ auch komödiantische Plots – für Goebbels der Schlüssel jeder wirklich wirksamen Propaganda.

Die lautstark verkündeten Botschaften eines Films wie Karl Ritters „Stukas“ (1941) und der platte Humor seiner eindimensionalen Charaktere stießen dagegen auf die Ablehnung des Filmministers. Prekär wurde es für Ritter, als sein nächster Fliegerfilm „Besatzung Dora“ über eine Aufklärungsstaffel in Kriegsgebieten Russlands und Nordafrikas spielte, die 1943 von der Wehrmacht bereits aufgegeben worden waren. Der Film musste zurückgezogen, seine Herstellungskosten abgeschrieben werden.7

Als perfide Meisterleistung des von Goebbels verfolgten Konzepts unterhaltsamer Propaganda würdigt Rother im abschließenden Kapitel seines Buches Veit Harlans „Jud Süß“ (1940). Anders als das im gleichen Jahr entstandene dokumentarische Pendant „Der ewige Jude“, das wegen seiner expliziten Machart (gezeigt wurden unter anderem Schächtungen) zu den abstoßendsten Beispielen antisemitischer Filmpropaganda gehört und nur kurz in den Kinos lief, wurde Harlans Film mit rund 20 Millionen Besuchern einer der größten Kassenerfolge des „Dritten Reichs“. Seine Erfolgsformel gründet zum einen in der Raffinesse, mit der der Film historische Tatsachen verdreht, sie beruht aber vor allem auf der unbestreitbaren künstlerischen Leistung von Drehbuch, Regie und einer Spitzenbesetzung an Schauspielern, die am Beispiel des Finanzberaters Joseph Süß Oppenheimer (1698–1738) in einer melodramatischen, hochemotionalen Handlung die angebliche Durchtriebenheit, Geldgier und Geilheit „des“ Juden vorführen und seine Eliminierung aus der Gemeinschaft als geboten erscheinen lassen.

Rainer Rother legt mit „Zeitbilder“ sein Resümee langjähriger wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Film des Nationalsozialismus vor. Auch wenn der trockene Stil des Buches mitunter ermüdet, so leistet es doch einen willkommenen Beitrag zu einem differenzierten, entdämonisierten Blick auf ein kontaminiertes, ebenso komplexes wie schillerndes Kapitel deutscher Film- und Zeitgeschichte.

Anmerkungen:
1 Rainer Rother (Hrsg.), Die Ufa 1917–1945. Das deutsche Bildimperium. Deutsches Historisches Museum, Berlin 1992.
2 Ders., Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents, Berlin 2000.
3 Ders. / Vera Thomas (Hrsg.), Linientreu und populär. Das Ufa-Imperium 1933 bis 1945, Berlin 2017.
4 Siehe hierzu: Gerd Albrecht, Nationalsozialistische Filmpolitik. Eine soziologische Untersuchung der Spielfilme des Dritten Reiches, Stuttgart 1969.
5 Siehe hierzu: Felix Moeller, Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich, Berlin 1998.
6 Vgl. hierzu: Markus Spieker, Hollywood unterm Hakenkreuz. Der amerikanische Spielfilm im Dritten Reich, Trier 1999.
7 Vgl. hierzu: William Gillespie, The Making of the Crew of the Dora, Potts Point 2016.

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