BBAW u.a. (Hrsg.): Acta Borussica, Preußens Pressepolitik

Cover
Titel
Acta Borussica. Abteilung II: Der preußische Kulturstaat in der politischen und sozialen Wirklichkeit. Band 11: Preußens Pressepolitik zwischen Abschaffung der Zensur und Reichspreßgesetz (1848 bis 1874)


Herausgeber
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften; Holtz, Bärbel
Reihe
Acta Borussica. Neue Folge. Reihe 2: Preußen als Kulturstaat
Erschienen
Berlin 2019: de Gruyter
Anzahl Seiten
646 S.
Preis
€ 159,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Hanisch, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität Kiel

Der Band enthält zwei Teile, die eng aufeinander bezogen sind: Einen über 100 Seiten langen einleitenden Aufsatz von Bärbel Holtz über „Preußens Presse ohne Zensur? Pressepolitische Instrumentarien von der Märzrevolution bis zur Reichsgründung“ und dann den Dokumententeil.

Der einleitende Aufsatz ist eine problemorientierte, wissenschaftliche Abhandlung auf höchstem Niveau zur Pressepolitik Preußens in der Reichsgründungzeit. Das Hauptproblem kommt mit dem Fragezeichen schon in der Überschrift zum Ausdruck: „Preußens Presse ohne Zensur?“ Die Revolution 1848 brachte in allen deutschen Staaten als bleibende Errungenschaft die Pressefreiheit, nachdem sie seit den Karlsbader Beschlüssen der behördlichen Zensur unterworfen war. Doch wie frei war die Presse wirklich?

Formal war sie frei, aber sie war mannigfaltigen Behinderungen ausgesetzt. An die Stelle der Zensur trat die Strafbarkeit veröffentlichter Inhalte. Darüber hinaus versuchten staatliche Pressebüros („Literarisches Cabinett“ und danach die „Centralstelle für Preßangelegenheiten“) überregionale und lokale Zeitungen in einem regierungsfreundlichen Sinn zu beeinflussen. Damit sind die Instrumentarien staatlicher Pressepolitik benannt, wie sie nicht nur in Preußen, sondern auch in anderen deutschen Staaten zur Anwendung kamen.

Ein kleines Desiderat: Die Einleitung wirft nur wenige Seitenblicke auf parallele Vorgänge in anderen Staaten des Deutschen Bundes, zu denen es schon Forschungen zur Pressepolitik gibt (z. B. für Österreich, auch für Bayern). So entsteht vielleicht der fälschliche Eindruck, es handle sich hier um etwas genuin Preußisches. Das große Desiderat für die Forschung besteht darin, die Pressepolitiken der deutschen Staaten aufzuarbeiten und vergleichend darzustellen. Das würde vieles im Positiven wie im Negativen in Bezug auf Preußen relativieren. Für eine solche Arbeit hat Bärbel Holtz einen wichtigen Baustein geliefert. Alle zukünftigen Forschungen jedweder Art werden sich inhaltlich und methodisch auf ihn beziehen müssen.

„Ver(straf)rechtlichung“ der Preßverhältnisse und „zensurfreie Presseunfreiheit“ hat Holtz das Kapitel betitelt, das die neuen Presseeinschränkungen behandelt. So mussten die Zeitungen Stempelsteuern zahlen. Die Gründung von Zeitungen war an die Verrichtung einer mitunter hohen Kaution gebunden, die eingezogen werden konnte, wenn es zu Verstößen gegen das Preßgesetz kam, das falsche Berichterstattung, Verleumdung und Beleidigungen ahndete. Unter verschiedenen Ministerien wurden die Instrumentarien unterschiedlich stark angewandt. Holtz zeichnet dies nach. Neben dem Konzessionsentzug – und das bedeutete oft den finanziellen Ruin – war die persönliche Strafbarkeit am gravierendsten, nicht nur für den Verfasser eines Artikels, sondern für alle Personen, die mit der Herstellung und Veröffentlichung eines Artikels befasst waren, das heißt auch für Drucker und Verleger (Solidarhaftung). Damit werden Praktiken thematisiert, die auch heute diskutiert werden: „Verleger“ von Nachrichten sind heute zunehmend soziale Medien. Inwieweit sollte man sie belangen und sanktionieren, wenn Inhalte nicht rechtskonform sind oder in Widerspruch zu kulturellen Wertauffassungen stehen, z. B. bei Gotteslästerung. Bismarck wollte reichsweit eine Strafandrohung von bis zu drei Jahren Haft, konnte sich aber nicht durchsetzen. Auch die Drohung mit Konzessionsentzug wird angewandt (China) in der Hoffnung, dass auch der globale Verleger wegen der zu erwartenden wirtschaftlichen Nachteile – wenn möglich vorauseilend – die Zensur selbst praktiziert. „Der Produzent als der neue Zensor“ heißt denn auch die Überschrift, die sehr vergleichbare Praktiken in der Reichsgründungszeit behandelt.

Staatliche Presspolitik ist nicht nur Repression. Sie versucht auch aktiv zu gestalten. Regierungsfreundliche Zeitungsverlage und Journalisten werden auf verdeckten Wegen unterstützt: Durch Minderung oder Erlassung der Kaution, durch finanzielle Zuwendungen durch Verschaffung von Abonnenten – und dies alles gar nicht so selten mit zweifelhaftem Erfolg. Solche Methoden kosten freilich Geld und daran haperte es auch. Und obendrein gab es unterschiedliche Meinungen und institutionelle Rivalitäten innerhalb des Regierungsapparates. All dies zeichnet Holtz mit Akribie nach.

Die Zeit zwischen 1848–1874 ist auch eine Zeit der Nachrichtenexplosion: Nach der Revolution blühte der Telegraph und gleichzeitig mit ihm der Massenmarkt für Nachrichten auf. Die Reichsgründungszeit ist auch eine Zeit der Zeitungsgründungen und die (ver)öffentlich(t)e Meinung wurde immer wichtiger für die Regierenden. Sie wollten zumindest informiert sein, was ihre Völker dachten. So kam den staatlichen Pressebüros neben der repressiven Pressebeobachtung auch erstmals die Aufgabe zu, Pressespiegel zu schreiben. Diese Funktion ist ihnen bis heute geblieben.

Die wichtigsten Themenkreise der Edition sind damit angesprochen. Wie baut man jedoch eine Quellenedition auf, die den facettenreichen Themen gerecht wird? Gemeinhin chronologisch und so ist auch diese Edition überwiegend chronologisch, aber gleichzeitig auch nach Problemkreisen geordnet. Dies bricht die rein chronologische Reihung auf. Holtz löst das editorische Problem einmal durch ein „Systematisches Verzeichnis der Dokumente“, in dem Zusammengehöriges zusammensteht, aber nur für kleine Zeiträume. Erstreckt sich ein Thema über einen längeren oder gar den gesamten behandelten Zeitraum, so wird ein und dasselbe Thema chronologisch auf mehrere Abschnitte verteilt. Das erscheint auf den ersten Blick etwas verwirrend, aber mit Hilfe des systematischen Verzeichnisses und der thematischen Kopfzeilen werden die Quellen leicht erschließbar. Die Erschließbarkeit wird zusätzlich durch eine übliche kurze Inhaltsangabe am Anfang einer jeden Quelle erleichtert. Oft vorkommende kurze Erläuterungen zu Personen und Sachverhalten fehlen im Anmerkungsapparat des Quellenteils. Dafür stehen am Anfang einer jeden Quelle thematische Verweise auf den ausführlichen Anfangsteil, der seinerseits eine Fülle von Verweisen auf andernorts veröffentlichte Quellen und auf die Sekundärliteratur enthält. Gerade diese Verkoppelung von Verweisen im Quellenteil mit den Belegstellen im Anfangsteil ist es, welche diese Edition in einem besonderen Maße auszeichnet. Aber nur der ist dazu in der Lage, wer das Thema wissenschaftlich souverän beherrscht.

Andernorts schon veröffentlichte Quellen wurden nicht publiziert. Es wurden nur Regierungsdokumente aufgenommen, keine Quellen aus Zeitungsarchiven. Einen überaus großen Stellenwert haben Quellen aus dem „Literarischen Cabinet“ und der „Centralstelle für Preßangelegenheiten“. Und da ist mit 45 Seiten die längste und wichtigste Quelle, die man auch als einen Problemaufriss des gesamten Bandes ansehen kann „Die Denkschrift, vermutlich erarbeitet in der Centralstelle für Preßangelegenheiten [Berlin, 25. August 1857]“. (Nr. 41)

Was man nicht vermutet, was aber für das Verhältnis Preußens und Polens bedeutsam ist: Es gibt viele Quellen, welche sich mit Pressevorgängen in den polnischen Teilen Preußens befassen. Kein anderer Landesteil Preußens ist mehr mit Quellen bedacht worden.

Fazit: Eine Quellenedition, die allen denkbaren wissenschaftlichen Ansprüchen Genüge tut. Das gilt gleichermaßen für die Auswahl der Quellen, die editorische Sorgfalt und vor allem für die thematische Erschließung, welche diese Quellenedition für weitergehende Forschungen so brauchbar macht.

Auch gilt der Proseminarsatz, ein jedes Buch ist ein Kind seiner Zeit. Warum erscheint gerade heute diese Quellenedition? Heute in der Zeit von Fake News und sozialen Medien, der Zeit von zunehmendem Gewicht der falschen und wahren Nachrichten und weltweit zunehmender illiberaler Pressepolitik? Damals gab es und heute gibt es wieder den großen medialen Umbruch. Damals der Telegraph, heute das Internet. Beide haben Nachrichten erheblich leichter verfügbar und ihre Herstellung erheblich billiger gemacht mit großen Auswirkungen auf Politik und Massengesellschaft, die sich damals erst formierte. Und wie damals geht es auch heute um Deutungsanspruch und Meinungshoheit. Der Staat will wenigstens mitreden, wenn er schon nicht mehr das letzte Wort hat.

Wie es mit der Pressepolitik in Preußen stand, hat Bärbel Holtz für die Umbruchszeit zwischen Revolution 1848 und Reichsgründung vorbildlich gezeigt, allerdings ohne aktualisierende Bezüge. Aber gerade sie machen die Relevanz dieser Quellenedition aus.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension