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Titel
Fall und Aufstieg. Deutschland zwischen Kriegsende, Teilung und Vereinigung. Mit einer Einführung von Egon Bahr


Autor(en)
Bender, Peter
Erschienen
Halle an der Saale 2002: Mitteldeutscher Verlag
Anzahl Seiten
224 S.
Preis
€ 13,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Manfred Wilke, Forschungsverbund SED-Staat Berlin

In „Fall und Aufstieg“ hat der Publizist und journalistische Akteur der sozialliberalen Ostpolitik sechzehn Aufsätze aus den Jahren nach 1990 zur deutschen Teilungsgeschichte und ihrer historischen Deutung versammelt. Politik, Staatskunst und die weltpolitischen Konstellationen, die die Geschichte der beiden Staaten prägten, stehen im Mittelpunkt der Analysen. Folglich konzentriert er sich auf die politischen Entscheidungen, die diesen Zeitabschnitt der deutschen Geschichte auf beiden Seiten der Grenze periodisieren. Hierbei stehen die Weichenstellungen der bundesrepublikanischen Politik im Vordergrund. Grundlegend sind für den Autor Adenauers Politik der Westintegration der Bundesrepublik, verbunden mit der Rückgewinnung ihrer Souveränität und die Ostverträge der Regierung Brandt.

Der analytische Ausgangspunkt der Aufsätze zu diesen Themen bleibt immer der Staat als Subjekt der internationalen Politik und seine ihn repräsentierenden Politiker. Für Bender gilt im Blick auf die beiden deutschen Staaten die Gleichheit der Deutschen vor ihrer gemeinsamen Teilungsgeschichte. Bereits der Journalist, der als Korrespondent nach dem Bau der Mauer aus der DDR berichtete, hält sich an diese Maxime, wie sein Aufsatz „DDR von unten gesehen“ zeigt (S. 96-113). Als Besucher der Leipziger Messe hat er die verschiedenen Lebenswirklichkeiten im Alltag der DDR verstehen gelernt und zu sehr unterschiedlichen Menschen Kontakte aufgebaut. Wenn Bender sich in der Politik auf die Regierungsebene konzentriert, so zeigt gerade dieser Aufsatz sein waches Interesse für andere Bereiche der Gesellschaft, die ein Land prägen und somit auch seine Politik beeinflussen.

Sechs Aufsätze befassen sich mit den „Zäsuren und Etappen“ (S. 14-93) der Teilungsgeschichte. Am Anfang steht 1945 die „notwendige Niederlage“ des Deutschen Reiches im 2. Weltkrieg. Danach betreten im Westen Adenauer und im Osten Ulbricht die politische Bühne unter den Bedingungen alliierter Besetzung des Landes. Beide prägen den Aufbau von Bundesrepublik und DDR, und sie tun das im Gegeneinander, das sich in Bezug auf ihre Partikularinteressen – Aufbau der beiden Teilstaaten – als Zusammenwirken für die Teilung erweist. Ihre Erben, die Kanzler Brandt, Schmidt und Kohl im Westen und der SED-Generalsekretär Honecker im Osten seien dagegen verantwortlich für den Weg zur Vereinigung. Diese Zuordnung der Amtszeiten der vier wichtigsten der sechs Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland und der beiden SED-Generalsekretäre zu zwei unterschiedlichen Perioden der Teilungsgeschichte verknüpft diese mit den Phasen der Großmachtbeziehungen in der bipolaren Weltordnung.

Die Zeit des Kalten Krieges endet für Bender mit dem Abschluss der Berlin- und der Kuba-Krise 1962. Dieser Periode folgt das atomare Patt zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion und die daraus resultierende Entspannungspolitik in Europa, sie dauerte bis zum Ende des sowjetischen Imperiums. Bender war vor 1989 als Journalist politischer Akteur, und dieses Selbstverständnis gilt auch für den Publizisten. Eine nationale Identität der Deutschen nach Überwindung der Teilung bedarf nach seiner Überzeugung eines neuen Geschichtsbildes. „Vierzig Jahre lang waren die Deutschen geteilt und getrennt, zehn weitere Jahre sind sie zwar staatlich vereint, aber verstehen sich schwer, weil sie in ganz unterschiedlichen, außerdem verfeindeten Welten lebten. Die Nation braucht deshalb eine Geschichtsschreibung, in der sich ehemalige Bundes- und DDR-Bürger wiederfinden, was sie und ihr Staat erlebt, erfahren, erreicht und erlitten haben. Eine Geschichtsschreibung auch, aus der sie lernen können, was die Landsleute jenseits der Grenze und deren Staat erlebten, erfuhren, erreichten und erlitten.“(S. 216)

Oberster Grundsatz für eine solche identitätsstiftende Geschichte der Teilung für die Nachgeborenen im zweiten Nationalstaat der Deutschen ist nach Ansicht Benders „die Gleichheit aller Deutschen vor der Geschichte. Ihren Staaten gebührt die gleiche Beachtung, obwohl sich die DDR als Schlechtere erwies und unterging“(S. 217). Bezogen auf die politischen Leistungen der von ihm genannten Staatsmänner heißt es: „Alle sechs gaben Beispiele für die uralte Erfahrung, daß man nur Politik, aber nicht die Geschichte planen kann.“ (S. 52)

Der Autor ist gelernter Althistoriker und sein Vorbild scheint der Begründer der europäischen Geschichtswissenschaft Thukydides zu sein, der distanziert die Geschichte des peleponesischen Krieges zwischen Athen und Sparta beschrieb. Aus dieser Perspektive rechnet Bender mit den „Nach-Wende-Legenden aus West und Ost“, (S. 196-208) ab, polemisiert gegen die allen Legenden gemeinsame „Rechthaberei“ und den „Rechtfertigungszwang“. Bissig konstatiert er 1999: „Die einen sehen sich als Sieger, die anderen fühlen sich gedemütigt. Hier ist der tiefste Grund, weshalb heute nur Deutschland vereinigt ist, nicht aber die Deutschen.“ (S. 208)

Die Gleichheit der Deutschen vor der Geschichte ist möglich und geboten, da für die Bundesrepublik wie die DDR galt: „die Hauptdaten für Deutschland wurden nicht von den Deutschen, sondern den vier Mächten bestimmt“ (S. 61). Für die innerdeutsche Beziehung zwischen den Staaten galt, dass beide gegeneinander souverän wurden und die Teilungsgeschichte als „Bruderkampf und Familienband“ zwischen den Polen verlief (S. 39-52). Außerhalb Deutschlands konnte sich kaum ein verantwortlicher Politiker vorstellen, dass die deutsche Politik die Rückgewinnung der nationalen Einheit aufgegeben hatte.

Aus dem Zwiespalt von Blockloyalität und ungelöster nationaler Frage erwuchs die Ambivalenz als Wesenszug der innerdeutschen Politik, bis zum Mauerfall 1989. Das Verdienst an dieser Zäsur schreibt Bender vor allem den Flüchtlingen aus der DDR und der Vereinigungspolitik der Bundesrepublik zu. Den Beitrag der Bürgerrechtsbewegung in der DDR zum Sturz der SED-Herrschaft blendet er aus. Die Opposition und der Widerstand gegen die regierenden Kommunisten sind nicht sein Thema, obwohl er um ihre Bedeutung für das Ende des Sozialismusprojekts der Kommunisten weiß. Das zeigt sein Aufsatz über Polen und Deutsche nach dem Krieg.

Die Bundesregierung Schmidt verbesserte zielstrebig die Beziehungen zu Polen und war in den Jahren 1980/1981 in ihrer Ostpolitik plötzlich mit der „polnischen Krise“ konfrontiert. Die polnische Volksbewegung Solidarnosc zwang die regierenden Kommunisten 1980 zur partiellen Aufgabe ihres Machtmonopols in der Innenpolitik. Solidarnosc wollte im Rahmen einer evolutionären Strategie das kommunistische Regime beseitigen, konnte aber aus Rücksicht auf die Zugehörigkeit Polens zum sowjetischen Imperium nicht die Regierung übernehmen, um nicht eine sowjetische Invasion nach dem Prager Vorbild von 1968 zu provozieren. Ein solches Ende der polnischen Demokratiebewegung befürchtete man damals in der Bundesregierung, zumal deutlich wurde, dass die sowjetische Führung nicht gewillt war, den Zustand der Doppelherrschaft in Polen zu akzeptieren. Kriegsrecht durch die von Kommunisten geführte polnische Armee oder eine Intervention seitens des Warschauer Paktes, das waren im Winter 1981 die beiden realpolitischen Alternativen zur Lösung dieser Krise durch die kommunistischen Machthaber.

Bender selbst wog in einem Essay in der „Zeit“ im Dezember 1981 beide Lösungen gegeneinander ab und hielt die Verhängung des Kriegsrechtes durch die polnische Armee in dieser Situation für das kleinere Übel. Es wurde gewählt, Ministerpräsident General Jaruzelski, der in Personalunion Vorsitzender der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei war, verhängte das Kriegsrecht.

Neunzehn Jahre später merkt Bender kritisch an: „Vor allem sozialdemokratische Reisende ließen es in Warschau zu peinlichen Szenen kommen, mit den Herren des Kriegsrechts konferierten sie und die Freiheitskämpfer berücksichtigten sie nur am Rande. Alle Beschwerden überzeugten jedoch nicht: Musste wirklich Brandt von Warschau nach Danzig fahren, um Walesa zu treffen, oder war der umgekehrte Weg nicht ebenso weit? Doch die Kränkung sitzt noch heute tief, weil sie sich mit Enttäuschung paarte, von Sozialdemokraten erwartete Solidarnosc mehr Solidarität als von anderen Parteien.“ (S. 190) Erneut wurde die Ambivalenz deutscher Politik in der Zeit der Spaltung deutlich, aber hatten die Polen nicht recht, vor allem von der SPD als Partei der Freiheit Solidarität zu erwarten? Dem stand aber zugleich die Staatsraison der Bundesrepublik entgegen, das Verhältnis zur sowjetischen Vormacht durfte nicht überstrapaziert werden, wenn die innerdeutschen Beziehungen nicht belastet werden sollten.

Die Forderung, Gleichheit aller Deutschen vor ihrer Geschichte, gilt auch und gerade für Erich Honecker. Bender porträtiert ihn unter der Überschrift „Der letzte deutsche Kommunist“ (S. 131-138). Er regierte die DDR als der Kommunismus zerfiel, und der Autor hält ihm zugute, dass er lange deutschen Patriotismus mit der Treue zur Sowjetunion vereinen wollte. Beides war aber unvereinbar und „darum wirkte er so unverständlich und erscheint schon jetzt, über vier Jahre nach seinem politischen Ende, wie eine Gestalt aus einer anderen Zeit. Aber wir sollten uns nicht täuschen: So fremd er uns ist – auch er gehört, wie der ganze deutsche Kommunismus, zu unserer Geschichte in unserem Jahrhundert.“ (S. 138) Bleibt noch anzumerken, Robert Havemanns Interview-Band, der 1978 während seines Hausarrests erschien, den Honecker über ihn verhängte, trug einen bescheideneren Titel: „Ein deutscher Kommunist“. In diesem Interview aus der Isolation sagte er voraus, dass es nur noch weniger äußerer Anstöße bedürfe, um das Politbüro zum Teufel zu jagen. Mit der Überschrift seines Honecker-Porträts demonstriert Bender noch einmal: Sein Thema sind die Regierenden und nicht die Opposition.

Das Vorwort zu der Aufsatzsammlung schrieb Egon Bahr. Er attestiert dem Autor, dass seine Darlegungen „konkret, scharf, zuweilen provozierend“ sind und viele überraschende An- und Einsichten enthalten über die Deutschen, als sie „Objekt der Geschichte“ (S. 7) waren. Bahr nutzt das Vorwort, um die Arbeit der deutschen Historiker zu kritisieren. Er beklagt, dass es in Deutschland keine Geschichtsschreibung gibt, deren Werke dem handelnden Politiker als Reflektionsrahmen für die Neubestimmung deutscher Interessen nach der wieder gewonnenen Souveränität dienen können. Ironisch merkt er an, dass gerade jetzt ein Buch hoch gepriesen wird, das den Weg der Deutschen nach Westen beschreibt, während die Osterweiterung der EU auf der politischen Tagesordnung steht – gemeint ist das gleichnamige Buch von Heinrich August Winkler. Die Aufsatzsammlung reflektiert grundlegende Probleme der deutschen Teilungsgeschichte, die die Arbeit des Journalisten Bender geprägt hat. Das Buch gibt zugleich Auskunft über das Selbstverständnis eines wortmächtigen Protagonisten der sozialdemokratischen Ostpolitik und ist somit auch die Bilanz eines Zeitzeugen.

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