Titel
Muslims and Citizens. Islam, Politics, and the French Revolution


Autor(en)
Coller, Ian
Erschienen
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
$ 50.00; € 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Pascal Firges, Universität Bielefeld

In Muslims and Citizens behandelt Ian Coller vier miteinander zusammenhängende Themenkomplexe: Muslime in Frankreich am Ende des 18. Jahrhunderts; Bürgerrechte und Religionsfreiheit während der Französischen Revolution; Islam als Argument und als rhetorische Figur im politischen Diskurs der Revolutionszeit; und das Verhältnis zwischen Frankreich und muslimischen Mächten vor Napoleons Ägyptenfeldzug. In gewisser Hinsicht schreibt Coller hier die Vorgeschichte zu seiner 2011 erschienenen Monografie über die erste größere Gruppe nahöstlicher (nicht ausschließlich muslimischer) Einwanderer infolge der französischen Invasion Ägyptens. Diese schufen Coller zufolge einen kosmopolitischen Möglichkeitsraum, der sich erst mit der Invasion Algeriens und der Errichtung der kolonialen Hierarchie zwischen Franzosen und arabischstämmigen Menschen endgültig auflöste – mit sozialen und kulturellen Folgen bis in die heutige Zeit hinein.1 Collers neues Buch untersucht erneut einen Möglichkeitsraum, nämlich denjenigen, der durch die Einführung der Religionsfreiheit und durch die universalistische Ideologie des revolutionären Frankreich für die staatsbürgerliche Existenz nicht-katholischer Menschen (vor allem Protestanten und Juden – aber eben auch, zumindest in der Theorie, Muslime) geschaffen wurde.

Collers Rahmenargumentation für seine Studie lautet, dass sich im Verlauf der Französischen Revolution der französische Diskurs über den Islam und über Religionsfreiheit seit der Vorrevolution solcherart entwickelt habe, dass es 1798 durchaus habe Franzosen geben können, die der Meinung waren, dass die in einem zeitgenössischen Flugblatt an die Ägypter (S. 1, Quellennachweis fehlt) vertretene Behauptung, die revolutionären Besatzer seien ebenfalls gute Muslime, keine Lüge sei, sondern allenfalls eine „half-believed fiction“ (S. 238). Über diese These wird sich auch nach der Lektüre von Collers Buch trefflich streiten lassen, was aber nicht den wissenschaftlichen Wert seiner Untersuchung schmälert.

Muslims and Citizens besteht aus einer Reihe von Einzelstudien, die der Autor grob chronologisch in zehn Kapiteln plus Prolog und Epilog angeordnet hat. Der Prolog zeichnet nach, wie Französinnen und Franzosen der Frühen Neuzeit in Kontakt mit dem Islam kommen konnten. Dies war freilich in erster Linie ein diskursiv vermittelter Kontakt, da, wie Coller bemerkt, nur wenige Einwohner Frankreichs Muslimen im eigenen Land begegnen konnten (S. 15) – und noch weniger Musliminnen (S. 9).

Coller hat in den Archiven intensiv nach Beispielen für die Anwesenheit von muslimischen Einwohnern im Frankreich des 18. Jahrhunderts gesucht, allerdings ohne auf viele Zeugnisse zu stoßen. Dies erklärt er zum einen mit der tatsächlich sehr kleinen Anzahl von Muslimen auf französischem Boden und zum anderen damit, dass diese noch dazu meist gewissermaßen unter dem Radar der Archivmaterial produzierenden Institutionen flogen und somit nur selten aktenkundig wurden. Die wenigen Fälle, in denen sich Hinweise auf Menschen muslimischen Glaubens in Frankreich finden, lassen in der Regel auf einen durch Handel oder Diplomatie veranlassten Aufenthalt schließen: beispielsweise wenn die Handelskammer von Marseille sich Anfang der 1780er-Jahre gegen den Verkauf eines Terrains einsetzte, das als muslimischer Begräbnisplatz (S. 72f.) diente; bei den regelmäßigen nahöstlichen oder nordafrikanischen Gesandtschaften nach Paris und Versailles; oder bei dem mysteriösen Gewaltausbruch auf einem französischen Frachtkahn im Jahr 1787, der offenbar durch einen Angriff auf einen muslimischen Passagier ausgelöst wurde (S. 41f.). Selbst als 1799 im Zuge des Kriegs mit dem Osmanischen Reich alle osmanischen und nordafrikanischen Muslime in Frankreich erfasst und interniert werden sollten, führte dies nur zu einer Handvoll Registrierungen durch die Behörden (S. 231).

Umso beeindruckender ist deshalb die in einem deutlichen Kontrast zu der tatsächlichen Anwesenheit von Muslimen in Frankreich stehende diskursive Präsenz während der Revolution, die sich vor allem aus den Diskussionen um Religionsfreiheit und Bürgerrechte für religiöse Minderheiten und aus den Kontroversen um die Zivilverfassung des Klerus ergab. „In the course of 1791, […] a strange new landscape took shape in the imagination of revolutionaries and their opponents. If their words were to be believed, mosques and minarets were springing up all over France like mushrooms […]. Yet it was all imaginary […]“ (S. 104). Der Islam wurde bei den Diskussionen um Religionsfreiheit und Bürgerrecht (ähnlich wie auch das Judentum) häufig als rhetorisches Mittel eingesetzt, um die Konsequenzen von politischen Entscheidungen vor Augen zu führen. Muslime, so formuliert es Coller in Anlehnung an Claude Lévi-Strauss und Ronald Schechter, „were good to think with“ (S. 6).

Collers Buch ist dort am stärksten, wo der ausgewiesene Revolutionshistoriker über die Französische Revolution schreibt und wo er in der Analyse aus seiner profunden Kenntnis des Forschungskontexts schöpft. Es ist kein islamwissenschaftliches Buch und auch die reiche Quellenbasis ist fast ausschließlich französischer Provenienz. An einigen Stellen hat der Autor die Tendenz, recht viel in seine Quellen hineinzulesen, wo dies einer ausführlicheren Diskussion bedurft hätte: zum Beispiel wenn er den Fall der gastfreundlichen Behandlung des indischen Fürstensohns Ahmed Khan durch die Revolutionsregierung 1794 als Beleg gegen die (durchaus umstrittene) These von der xenophoben Terreur anführt (S. 179–188); wenn er anhand von in Artikeln des Moniteur kolportierten Aussagen des Deys von Algier dessen „language of emotion“ analysiert (S. 142); oder wenn ein Vergleich zwischen Napoleons Verständnis vom Islam und dem Wahhabismus gezogen wird (S. 235).

Dessen ungeachtet ist Collers Buch eine gelungene Untersuchung über einige bisher wenig erforschte Aspekte des diskursiven Universums der Französischen Revolution. Die Studie eröffnet neue Perspektiven auf das Spannungsfeld von nationaler Eingrenzung und universellem Anspruch der revolutionären Ideologie und bietet darüber hinaus auch Stoff für Diskussionen.

Anmerkung:
1 Ian Coller, Arab France. Islam and the Making of Modern Europe, 1798–1831, Berkeley 2011.

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