S. Schraut: Das Haus Schönborn. Eine Familienbiographie

Cover
Titel
Das Haus Schönborn. Eine Familienbiographie. Katholischer Reichsadel 1640-1840


Autor(en)
Schraut, Sylvia
Erschienen
Paderborn 2005: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
451 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arne Karsten, Kunstgeschichtliches Seminar, Humboldt-Universität zu Berlin

Keine andere Familie hat im 17. und 18. Jahrhunderts eine vergleichbar erfolgreiche Aufstiegsstrategie in den geistlichen Territorien des Heiligen Römischen Reiches verfolgt, keine andere Familie hat sich dabei ähnlich effizient ihrer weitreichenden sozialen und politischen Netzwerke bedient, keine andere Familie schließlich hat den gesellschaftlichen Aufstieg im selben Maße durch eine so intensive Kunstpatronage flankiert und abgesichert wie die Ritter, später Freiherren und zuletzt Reichsgrafen von Schönborn. Dem breiten Publikum durch ihre rastlose Bautätigkeit noch heute zugängig, haben die Schönborn auch auf Seiten der historischen Forschung seit jeher viel Aufmerksamkeit gefunden. Eine zusammenfassende Familiengeschichte stellte jedoch bisher ein Desiderat dar. Mit der in jeder Hinsicht gewichtigen Studie von Sylvia Schraut darf diese Forschungslücke nunmehr als geschlossen gelten.

Schon das Inhaltsverzeichnis des Buches lässt deutlich werden, dass hier eine sehr differenzierte, vielfältige Perspektiven und Fragestellungen verknüpfende Familienbiografie im besten Sinne des Wortes vorliegt. Gegliedert ist sie in vier große chronologisch angeordnete Kapitel: Das Fundament wird gelegt; Machtausbau; Vom Gipfel der Macht in die Stagnation; Kampf ums „Obenbleiben“. Die Kapitel sind ihrerseits in jeweils vier thematische Unterpunkte gegliedert, die sich den Aspekten der Bistumspolitik, den familiären Aufgaben, den symbolischen Ausdrucksformen und schließlich der Reichspolitik widmen. Was in der Beschreibung etwas statisch klingt, sorgt für ein hohes Maß an Transparenz der Darstellung durch elegante Verknüpfung von chronologischer Makrostruktur und diachronen Vergleichen. Auf diese Weise wird dem Leser eine leicht zu verfolgende „Erzählhandlung“ geboten, ohne dass dabei strukturelle Wandlungsprozesse ausgeblendet werden müssen. Kurz: die umfangreiche Studie liest sich mit uneingeschränktem Vergnügen, ohne dass es ihr an analytischer Tiefe fehlen würde.

Der Aufstieg der aus bescheidenen Verhältnissen stammenden Reichsritter von Schönborn vollzog sich, schon von den Zeitgenossen bestaunt, binnen dreier Generationen, und dieser Aufstieg war möglich, weil die Familie es verstand, sich die Ressourcen der süd- und westdeutschen geistlichen Reichsterritorien zu erschließen, vor allem des Erzbistums Mainz und der Bistümer Bamberg und Würzburg. Die von Schraut sorgfältig rekonstruierte soziale Struktur der Domkapitel und ihrer Angehörigen bildet die Folie, vor der sich der Aufstieg der Schönborns abzeichnet. An sich nicht mit großen wirtschaftlichen Ressourcen ausgestattet, musste es den Schönborns ebenso wie anderen um die Stiftspfründen konkurrierenden Adelsfamilien darum gehen, durch eine geschickte Heirats- und Klientelpolitik Allianzen zu schmieden, dank derer die Durchsetzung der eigenen Interessen gelingen konnte. Politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Erfolg waren dabei eng aneinander gekoppelt: durch prestigeträchtige Heiraten stärkte man die Wahlaussichten auf einen Bischofsstuhl, durch dessen Gewinn der Zugriff auf neue Einnahmequellen ermöglicht wurde, womit sich wiederum die Chancen zu politischer Einflussnahme vergrößerten. Diese Kausalkette ließe sich auch rückwärts lesen und vielfach variieren.

Wie es den Schönborns gelang, eine Vielzahl von Domkanonikaten zu besetzen, in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zeitweilig sechs Reichsbistümer zugleich zu leiten, ihren Grundbesitz in Umfang und Qualität beträchtlich auszubauen und ihr Vermögen binnen eines knappen Jahrhunderts beinahe zu verhundertfachen, das alles erzählt Schraut mit ebenso großer Akribie wie Anschaulichkeit. Dazu trägt bei, dass sie neben der „großen“ Politik und dem mikropolitisch-klientelären Substrat, auf dem sie sich vollzog, eine Vielzahl weiterer Aspekte in den Blick nimmt: so werden die Ausbildungswege der Söhne und Töchter des Hauses beleuchtet, wobei auch die Rolle der weiblichen Angehörigen innerhalb der Familie ausführlich untersucht wird. Ebenso kommt die Bedeutung kunstvoll inszenierter Selbstdarstellung zur Sprache, etwa des höfischen Zeremoniells, der ebenso glänzenden wie kostspieligen Bauten, welche die Schönborns in Auftrag gaben, schließlich ihrer Grablegen. Mentalitätsgeschichtlich interessant sind die Überlegungen zu den spezifischen Wandlungen innerfamiliärer Rollenmodelle, die aus der übermächtigen Position der geistlichen Verwandten herrührte: tonangebend für die Geschicke des Hauses waren nicht die weltlichen Familienoberhäupter, sondern ihre bischöflichen Brüder und Onkel, wie Schraut mit eindrucksvoller Deutlichkeit aufzeigt.

Die Darstellung der Protagonisten des schönbornschen Aufstiegs ist allerdings nicht immer ganz ausgeglichen. Unter den Geistlichen etwa kommt der zweite Würzburger Schönborn-Bischof, Johann Philipp Franz, der den Bau der berühmten Residenz begann, auffällig kurz; was insofern bedauerlich ist, als nach dessen überraschend frühem Tod 1724 die energischen Bemühungen der Familie, seinen Bruder zum Nachfolger wählen zu lassen, unter einigermaßen dramatischen Umständen scheiterten. Hier hätte sich die Chance geboten, die Grenzen der Verflechtungsmöglichkeiten auch für eine auf diesem Gebiet so exemplarisch erfolgreiche Familie, wie es die Schönborns waren, aufzuzeigen. Auch ist eine nicht ganz unbedeutende Zahl kleinerer Fehler zu konstatieren, wie sie freilich bei einem Werk dieses Umfangs mit seiner Vielzahl an Zahlen- und Datenangaben kaum vermeidbar sind.

Doch ändern diese kritischen Hinweise nichts an dem Gesamtbefund, dass hier eine überaus anregende Studie vorgelegt wurde, die zudem auch nicht mit dem Ende des alten Reiches abbricht, sondern das weitere Schicksal der Familie bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts verfolgt. Das Buch wirft sogar einen – etwas scheuen – Blick auf die Gegenwart, auf das „offene Ende“ der Familiengeschichte, die in Gestalt des Wiener Erzbischofs Christoph Schönborn einen dritten Kardinal hervorgebracht hat. Dessen Chancen auf die Papstwahl im Konklave des Jahres 2005 wurden übrigens allgemein höher eingeschätzt als bei seinen Vorfahren, den Kardinälen Damian Hugo im 18. und Franz von Schönborn im 19. Jahrhundert.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension