F. Hirschinger: "Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter"

Cover
Titel
"Gestapoagenten, Trotzkisten, Verräter". Kommunistische Parteisäuberungen in Sachsen-Anhalt 1918 - 1953


Autor(en)
Hirschinger, Frank
Reihe
Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung 27
Erschienen
Göttingen 2005: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
412 S.
Preis
€ 42,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Malycha, Forschungsstelle Zeitgeschichte, Institut für Geschichte der Medizin an der Charité Berlin

Wenn es um die Repression gegenüber Gleichgesinnten innerhalb der KPD bzw. SED geht, standen bislang ausschließlich die frühen Jahre der Konstituierungs- und Formierungsphase der SBZ/DDR von 1945 bis 1953 bzw. die Ulbricht-Ära im Zentrum der Aufmerksamkeit. Das ist bei dem vorliegenden Band erfreulicherweise nicht der Fall, denn die Studie beginnt mit der Gründung der KPD im Jahre 1918/19 bzw. mit der „Stalinisierung“ der KPD in den 1920er-Jahren. Dieses Herangehen bietet den Vorteil, die Genesis und Entwicklung kommunistischer Machtpolitik von den Anfängen bis in die Hochphase innerparteilicher Repressionen am Ende der 1940er-Jahre in ihren verschiedenen Stadien verfolgen zu können. Die sich bereits in den frühen Jahren der kommunistischen Bewegung herausbildenden Feindbilder, innerparteilichen Praktiken und Umgangsformen können somit in ihrer Formierungsphase analysiert werden, wodurch die Vorgänge der Parteisäuberungen nach 1945 in einem klareren Licht erscheinen und durchschaubarer werden. Die Hervorhebung dieser Kontinuitätslinien stellt ohne Zweifel einen der Vorzüge des Buches dar.

Frank Hirschinger zeigt anhand der Vorgänge im KPD-Bezirk Halle-Merseburg exemplarisch auf, wie die Umsetzung von Lenins Konzept der „Bolschewisierung“ schon ab 1924 zu gravierenden Veränderungen in der Mitgliederstruktur und des Führungspersonals der KPD in einem zahlenmäßig starken und bedeutenden Parteibezirk führte. Die Übernahme des sowjetischen Parteimodells in der Interpretation Stalins, die Hirschinger kommentarlos als „Stalinisierung“ beschreibt, kam demzufolge nach mehrfachen ideologischen Kurswechseln und internen Fraktionskämpfen am Ende der 1920er-Jahre zu einem gewissen Abschluss. Seitdem wurde jedwede Kritik an der Sowjetunion und den Herrschaftsmethoden Stalins disziplinarisch geahndet. Im Zentrum der Stigmatisierung innerparteilicher Abweichler standen die vermeintlichen Trotzkisten, die als Agenten, Demagogen und Saboteure im Zuge der „Stalinisierung“ der KPD denunziert und aus der Partei ausgeschlossen wurden.

Den größten Teil des Buches beansprucht die Analyse der Parteisäuberungen in der SED in den Jahren von 1948 bis 1953. Hirschinger analysiert die einzelnen Säuberungswellen in ihrer regionalen Ausformung im Land Sachsen-Anhalt. Einen Höhepunkt erreichten die Säuberungen in der Zeit von Mitte 1948, als Stalins Bruch mit Tito den Auftakt für die Verfolgung von Moskau unabhängiger Kommunisten Osteuropas bildete, bis zu den so genannten Parteiüberprüfungen im Jahre 1951. In diesem Zeitraum wurden erst die Funktionäre mit sozialdemokratischer Vergangenheit unter dem Vorwurf des „Sozialdemokratismus“ und dann auch frühere Angehörige kommunistischer Kleingruppen der Weimarer Zeit, die vermeintlichen Trotzkisten, aus der Partei rücksichtslos entfernt und kriminalisiert. Das Hauptaugenmerk Hirschingers liegt auf der Verfolgung von vormaligen Kommunisten in der SED: der „Trotzkisten“, Westemigranten, Kriegsgefangenen, Spanienkämpfer und Juden. Er zeigt die Auswirkungen der Säuberungswellen auf die politischen Führungsorgane des Landes Sachsen-Anhalt: auf das SED-Landessekretariat, den SED-Landesvorstand und die Landesregierung. Er betrachtet diese Instanzen stellvertretend für alle übrigen im Partei- und Staatsapparat durchgeführten Säuberungen. Darüber hinaus befasst er sich mit der Reichweite der Säuberungen in ausgewählten Sektoren: innerhalb der Parteipresse, der Massenorganisationen, der Post, der Reichsbahn, in Chemiebetrieben sowie der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Abschließend werden die antisemitischen Tendenzen in der Tätigkeit innerparteilicher Kontrollorgane des Bezirkes Halle in den Jahren 1952/53 erörtert.

Hirschinger gelingt es überzeugend, Funktionsweise und Interessenkonstellationen der Parteisäuberungen an einem regionalen Beispiel herauszuarbeiten. Letztlich ging es um die Durchsetzung des Hegemonialanspruchs des 1945 aus der Sowjetunion zurückgekehrten engeren Führungskreises der KPD um Walter Ulbricht in der obersten Parteispitze sowie der Moskauemigranten, deren uneingeschränkter Zugriff auf die Schalthebel der Macht gesichert werden sollte. In diesem Kontext dienten die Parteisäuberungen als Herrschaftsinstrument. Ein dezidierter Hinweis Hirschingers auf diesen zentralen Zusammenhang fehlt jedoch. Bei der Erklärung der von ihm beschriebenen konkreten Vorgänge in Sachsen-Anhalt wird der Aspekt innerparteilicher Machtkonstellationen mit Blick auf die Gesamtpartei deutlich unterbewertet.

Somit wird von Hirschinger nicht eindeutig die Frage nach den rationalen Hintergründen der Parteisäuberungen beantwortet. Resultierte die Verfolgung tatsächlicher oder vermeintlicher Abweichler aus dem irrationalen Verfolgungswahn Stalins und seiner Nachahmer im Osten Deutschlands oder ging es in Wirklichkeit um die Ausschaltung innerparteilicher Kritiker des Ulbricht-Kurses, die der Übernahme des sowjetischen Partei- und Gesellschaftsmodells im Wege standen? Der Umstand, dass es für die Ulbricht-Fraktion aus machtpolitischer Sicht handfeste Gründe gab, potentielle innerparteiliche Kritiker auszuschalten, wird von Hirschinger weitgehend vernachlässigt. Für den Autor stellt sich dieses Problem in dieser Form offenbar nicht.

Das Vorgehen gegen vermeintliche Parteifeinde hatte neben den nicht zu übersehenden irrationalen Momenten in Gestalt der offiziell verkündeten Verschwörungstheorien durchaus einen rationalen Kern. Den Absichten deutscher und sowjetischer Kommunisten zur ungebrochenen Durchsetzung interner Pläne, Vorhaben und Konzeptionen standen anfangs die Beharrungskräfte tradierter Strukturen, Einstellungen, Mentalitäten und sozialer Milieus der Sozialdemokraten entgegen, die den größten Mitgliederanteil stellten. Nachdem die Sozialdemokraten marginalisiert waren, galt es, die gesamte Partei auf das sowjetische Vorbild einzuschwören, was zu dieser Zeit auf die Person und die Politik Stalins bezogen war. In dieser Hinsicht vermutete die SED-Führung nicht zu Unrecht unter den älteren Kommunisten in der Partei Personen, die sich noch immer in einer von Moskau unabhängigen Tradition der 1920er-Jahre stehen sahen und seinerzeit die Kritik Trotzkis an den Verbrechen Stalins geteilt hatten. Bislang war der überwiegende Teil dieses Personenkreises zwar kaum durch tatsächliche Oppositionsarbeit aufgefallen. Frühere Mitglieder linkssozialistischer Organisationen, die nach 1945 der KPD bzw. der SED beigetreten waren, organisierten sich jedoch in verschiedenen konspirativen Diskussionszirkeln, knüpften bei Treffen innerparteilicher Gegner des Führungskurses der Partei illegale Netzwerke und verbreiteten oppositionelle Flugschriften.1 Der von der Parteispitze über die älteren Kommunisten sowie über die ehemaligen Westemigranten verhängte Generalverdacht stand jedoch in deutlichem Widerspruch zu ihrem realen Oppositionspotential.

Hirschinger befasst sich erklärtermaßen nicht ausführlich mit den gegen frühere Sozialdemokraten in der SED gerichteten Säuberungen sowie den widerständigen Aktionen des Ostbüros der SPD. Diese Entscheidung hat zweifellos ihre Berechtigung. Doch gerade dieser Aspekt macht das Besondere der Parteisäuberungen in der SED im Vergleich zu analogen Vorgängen in der Sowjetunion und in Osteuropa aus, dem der Autor leider in seinem gesamten Erklärungsrahmen keine besondere Beachtung schenkt. Die überaus starke sozialdemokratische Basis stand dem marxistisch-leninistischen Parteikonzept, das die Moskauemigranten um Ulbricht in der SED umzusetzen versuchten, grundsätzlich im Wege. Vor allem kamen mit den über 679.159 Sozialdemokraten Mitglieder und Funktionäre in die Partei, die ein völlig anderes Politik- und Gesellschaftsverständnis mitbrachten. In deren Vorstellungen besaßen die innerparteiliche Demokratie – auch angesichts der traumatischen Erfahrungen von Sozialdemokraten in der Weimarer Zeit – und die parlamentarische Demokratie einen hohen Stellenwert. Dieser Umstand führte dazu, dass bereits vor den 1948 offiziell verkündeten Parteisäuberungen Anhänger traditioneller sozialdemokratischer Politik- und Gesellschaftskonzepte aus den Parteileitungen aller Ebenen hinausgedrängt, stigmatisiert, kriminalisiert und verfolgt wurden. Auf diese Weise verfügten am Ende der 1940er-Jahre Anhänger originärer sozialdemokratischer Anschauungen über keine Basis in der SED mehr, um sich artikulieren und den Kurs der Parteiführung in irgendeiner Weise beeinflussen zu können. Auf diesen Gesichtspunkt sollte bei der Analyse der eigentlichen Hintergründe der Parteisäuberungen besonders verwiesen werden, zumal gerade Sachsen-Anhalt zu den früheren Hochburgen der Sozialdemokratie zählte.

Ein weiteres Defizit der Arbeit besteht in der unzureichenden Berücksichtigung des unmittelbaren Einflusses der sowjetischen Besatzungsmacht auf das Ausmaß und Tempo der Parteisäuberungen sowie des Stellenwerts direkter Eingriffe (Verhaftungen, Verurteilungen) sowjetischer Besatzungsbehörden insbesondere in den Jahren von 1945 bis 1949. Die Transformation der SED in eine „Partei neuen Typus“ und die hierzu nötige Ausschaltung innerparteilicher Widersacher kann nicht lösgelöst von den deutschlandpolitischen Interessen der Sowjetunion betrachtet werden. Zur Reichweite und zu den Resultaten sowjetischer Repressionspolitik in der untersuchten Region Halle-Merseburg bzw. im Land Sachsen-Anhalt hätte sich der Rezensent über bisherige Erkenntnisse hinausgehende Ergebnisse gewünscht. Unverständlich ist die offensichtliche Ignoranz gegenüber einigen Standardwerken, in denen die Parteisäuberungen in der SED während der Ulbricht-Ära ausgiebig thematisiert wurden.2 Das betrifft in kaum erklärbarer Weise vor allem den exzellenten Band von Thomas Klein über die Genesis der innerparteilichen Kontrollorgane der SED von 1945 bis 1971 und ihre Vorgeschichte, in dem Klein auf der Grundlage intensiver Quellenauswertungen die Funktion der Parteikontrollorgane im Prozess der „Stalinisierung“ der SED, deren sich änderndes Tätigkeitsprofil in den 1960er-Jahren sowie die Formen sowjetischer Einflussnahmen auf die Kontrolltätigkeit der SED analysierte.3

Alles in allem präsentiert Hirschinger eine beachtenswerte Studie über das regionale Vorgehen der Säuberungs- und Kontrollorgane der SED am Beispiel bestimmter sozialer Milieus und ausgewählter Institutionen von Partei und Staat in Sachsen-Anhalt. Die Analyse veranschaulicht eindrucksvoll spezifische Mechanismen innerparteilicher Repression und darüber hinaus Praktiken kommunistischer Herrschaftsausübung.

Anmerkungen:
1 Kubina, Michael, Von Utopie, Widerstand und Kaltem Krieg. Das unzeitgemäße Leben des Berliner Rätekommunisten Alfed Weiland, Münster 2001. Einen Hinweis auf diese wichtige Studie zur kommunistischen Opposition innerhalb der SED findet man bei Hirschinger bedauerlicherweise nicht.
2 Bouvier, Beatrix, Ausgeschaltet! Sozialdemokraten in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR 1945-1953; Malycha, Andreas, Die SED. Geschichte ihrer Stalinisierung 1946-1953, Paderborn 2000.
3 Klein, Thomas, „Für die Einheit und Reinheit der Partei“. Die innerparteilichen Kontrollorgane der SED in der Ära Ulbricht, Köln 2002.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension