K. Hindmarch-Watson: Serving a Wired World

Cover
Titel
Serving a Wired World. London's Telecommunications Workers and the Making of an Information Capital


Autor(en)
Hindmarch-Watson, Katie
Reihe
Berkeley Series in British Studies (17)
Erschienen
Anzahl Seiten
XI, 271 S.
Preis
$ 25.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Henrich-Franke, Plurale Ökonomik/ Wirtschaftsgeschichte, Universität Siegen

Katie Hindmarch-Watson widmet sich in ihrem Buch „Serving a Wired World“ einem zumeist unsichtbaren Faktor der Vernetzung der Welt: den „telecommunications workers“ (Telegrafist:innen, Telegrafenjungen und Telefonvermittler:innen). Können sowohl die technischen Infrastrukturen dieser sich mit dem Telegrafen im 19. Jahrhundert enorm intensivierenden kommunikativen Vernetzung als auch die sie organisierenden Unternehmen und Verwaltungen als gut erforscht angesehen werden, so gilt dies für die menschlichen Elemente dieser soziotechnischen Systeme eher weniger. Dass Telegramme nicht ohne Bot:innen und Telegrafist:innen oder Telefongespräche nicht ohne Vermittlungspersonal wie das „Fräulein vom Amt“ übertragen werden konnten, ist hinlänglich bekannt. Dass aber insbesondere in Zeiten nicht-automatisierter Systeme im 19. und frühen 20. Jahrhundert genau diese Mitarbeiter:innen der Fernmeldeverwaltungen nicht nur tiefe Einblicke in die intimsten Geheimnisse politischer, wirtschaftlicher wie gesellschaftlicher Entwicklungen und Entscheidungen erlangten, sondern auch unverzichtbar für die Leistungsfähigkeit der Telegrafen- und Telefondienste waren, wurde eher selten thematisiert. Sie wurden weder von einer auf technische Innovationen fixierten (historischen) Forschung noch von ihrer eigenen, zeithistorischen gesellschaftlichen Realität tatsächlich wahrgenommen. „Telecommunications worker“ verblieben so „without agency, both passive and impassive conveyers of communication“(S.1), obwohl sie zentrale Bausteine einer britischen Gesellschaft darstellten, die nach immer effizienteren Verkehrs- und Kommunikationsströmen verlangte.

Wie die Rolle der „telecommunications worker“ in den neuen technischen Systemen definiert wird, welche soziale wie wirtschaftliche Wertigkeit ihrer Tätigkeit zugeschrieben werden sollte und wie geschlechtsspezifische Faktoren diese Definitionsprozesse beeinflussten, ist Gegenstand des vorliegenden Bandes. Diese Fragen sind umso relevanter, als sie an der Schnittstelle der Transformation von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert standen. Waren diese Arbeiter ein Teil einer neuen gesellschaftlichen Elite, die ein wertvolles Gut der modernen Gesellschaft – Information beziehungsweise Daten – in ihrer Hand hielt? Oder waren sie lediglich ein, mit einem Telegrafenkabel vergleichbarer, austauschbarer menschlicher Baustein eines komplexen soziotechnischen Systems zur Übermittlung von Nachrichten? Während sich die „telecommunications worker“ als respektable Professionelle verstanden und ein entsprechendes Gehalt und soziale Stellung einforderten, betonten andere die einfache, passive und repetitive Natur ihrer Arbeit. So sehr sie hochsensible und mitunter geheime Informationen übermittelten (und damit von ihnen Kenntnis besaßen), so sehr waren sie elementarer Bestandteil einer britischen Gesellschaft, die sich in ihren sozialen Hierarchien, ihrer wirtschaftlichen Arbeitsteilung und ihrem politischen Selbstverständnis neu fand und erfand.

„Telecommunications worker“, die nicht auf Arbeitsdisziplin achteten und den „flow of information“ gefährdeten, bedrohten die liberalen (britischen) Praktiken der Diskretion. Sie wurden dabei nicht nur durch die jeweiligen Systeme der Kommunikation beeinflusst, sondern sie gestalteten auch die jeweiligen Systeme durch ihre „perception, knowledgeability and emotions“ (S. 4). Aus der gesellschaftlichen Gesamtperspektive betrachtet, waren sie ein wichtiger Faktor im Aushandlungsprozess zwischen der (liberalen) Sorge um die Privatheit und dem Interesse des Staats an öffentlicher Ordnung. Aushandlungsprozesse zwischen Verwaltungen, elitären Nutzern und den Angestellten waren ein Kernelement, um die Normen und Werte dieser unsichtbaren Dienstleitung im (globalen) Netz der Kommunikation zu definieren. Zum einen waren sie Teil der Entstehung einer modernen „distinctively British telecommunications order“ (S. 4), die eine weltweite Vorbildfunktion erlangen sollte. Zum anderen betont die Autorin, dass „telegraphists, telephone operators, and telegraph boys (...) helped to reshape British liberalism between the 1870s and the First World War“(S.4).

Serving a Wired World ist eine Geschichte der Arbeit, eine Sozialstudie zwischen technischer Innovation, der Definition eines (post-) viktorianischen Wertesystems und der (Selbst-) Bestimmung der Arbeiter:innen an und für Informationsdienste der Telekommunikation. Das Buch zeichnet nach, wie die Verwaltungsleitungen und deren Ingenieure ein modernes Kommunikationssystem mit nahtlosem Informationsfluss und hochmodernen technischen Elementen schufen, deren nicht-technische, menschliche Elemente aber entlang der konventionellen sozialen Hierarchien und Geschlechterrollen geschaffen wurden. Die Autorin arbeitet prägnant heraus, wie sehr die „telecommunications worker“ – wissend um ihre Bedeutung als zentrales Zahnrädchen eines hochkomplexen soziotechnischen Systems – gegen ihre zunehmende Marginalisierung ankämpften. Indem sie sich der Arbeitsdisziplin widersetzten und kulturelle Normen hinterfragten, offenbarten sie die widerspenstigen Potentiale moderner Kommunikationssysteme.

Wenn die Autorin diese vielschichtigen Transformationsprozesse am Beispiel der Londoner „telecommunications worker“ zwischen 1870 und 1916/17 in den Blick nimmt, dann fokussiert sie damit die Speerspitze der kommunikativen Vernetzung der Welt. London stellte in dieser Zeit das unumstrittene politische wie wirtschaftliche Zentrum der Welt dar. Großbritannien, und hier insbesondere London, etablierten sich nicht nur als industrielles Zentrum, sondern eben auch als Zentrum der (globalen) Kommunikations- und Verkehrsflüsse, in denen sich die aufgeworfenen Fragen zuerst stellten. Indem London zum Zentrum der Welt und zum Vorbild für alle Nachzügler von Industrialisierung und Modernisierung wurde, fiel auch den „telecommunications worker“ im Herzen Londons eine internationale Vorbildfunktion bei der Aushandlung ihrer eigenen Rolle in den modernen soziotechnischen Kommunikationssystemen wie auch der sozialen wie wirtschaftlichen Wertigkeit ihrer Tätigkeit zu.

Das Buch ist im Wesentlichen chronologisch aufgebaut. Kapitel eins untersucht die soziale wie geografische Landschaft Londons, die sich maßgeblich auf die Nationalisierung der Telekommunikation, die Suche der Betreiber nach Kundschaft und die Sorge der liberalen Gesellschaft um die Wahrung ihrer Privatsphäre (Nachrichtengeheimnis, Vertraulichkeit, Datenschutz) auswirkten. Kapitel zwei entfaltet dann eines der Hauptargumente der Autorin, dass das liberale Bedürfnis nach Privatsphäre die Konflikte, Werte und Bedeutungen der Nachrichtenübermittlung massiv beeinflusste. Ideologischer Druck wirkte sich bei der Telegrafie erstmals spürbar aus und bewirkte eine Veränderung des „Public Service“, die tiefgreifend geschlechtsspezifisch ausfiel. Kapitel drei und vier betrachten anschließend eingehend die Arbeitsumfelder, Kulturen, Konflikte und administrativen Bestrebungen im Londoner „Central Telegraph Office“, die in einer geschlechtsspezifischen Ausdifferenzierung der „telecommunications worker“ mündeten. Kapitel fünf und sechs fokussieren die unterschiedlichen Varianten der Beschäftigung innerhalb des Arbeitsfeldes und diskutieren an konkreten Beispielen die geschlechtsspezifische Arbeitsstruktur. In Kapitel sieben wird die sich wandelnde Rolle des „telegraph boy“ im frühen 20. Jahrhundert betrachtet und gezeigt, wie sehr sich dessen Arbeitsleben schrittweise militarisierte. Im Epilog fragt die Autorin nach Kontinuitäten und Neuerungen im Übergang zum expandierenden Arbeitsfeld der Telefonvermittler:innen gegen Mitte der 1910er-Jahre.

Alles in allem hat dem Rezensenten ein anregend zu lesendes Buch vorgelegen, dass dennoch einen ambivalenten Eindruck hinterlässt. Einerseits merkt man dem Band an, dass große Teile bereits vorab in unterschiedlichen Fachjournals veröffentlicht wurden, weshalb das Buch mitunter etwas heterogen wirkt und an Einzelstudien entlang argumentiert, deren innerer Zusammenhalt bisweilen eher lose – mehr implizit denn explizit – erscheint. Die eigentlich aussagekräftigen Einzelbeispiele hätten konsequenter zu einem kohärenten Gesamtbild zusammengefügt werden können. Andererseits gelingt es der Autorin, in ihren sehr konkreten Beispielen gesellschaftliche wie verwaltungsinterne Aushandlungsprozesse, vor allem mit Blick auf die geschlechtsspezifische Ausdifferenzierung, präzise und für die Leser:innen gut nachvollziehbar herauszuarbeiten.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch