Cover
Titel
Communist Pigs. An Animal History of East Germany's Rise and Fall


Autor(en)
Fleischman, Thomas
Reihe
Weyerhaeuser Environmental Books
Erschienen
Anzahl Seiten
xviii, 268 S.
Preis
$ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Schöne, Stellvertretender Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur im Land Berlin

Im Oktober des Jahres 1986 untersuchte der Vorstand der Demokratischen Bauernpartei Deutschlands (DBD) die Zustände in der DDR-Landwirtschaft. Dabei kamen auch Probleme der Schweineproduktion zur Sprache, und sie zeigten die ganze Absurdität der Situation: In etlichen Ställen stünden zwar Hunderte Tiere über dem Durchschnittsbestand, doch gebe es keine Möglichkeit, sie zu verkaufen. Für den Export in das westeuropäische Ausland seien sie zu fett, für die Verarbeitung in der DDR fehle es an Schlachtkapazitäten. Vor dem Hintergrund einer angespannten Versorgungslage könne man der Bevölkerung derartige Verwerfungen kaum noch erklären; in den Bezirksverbänden der Partei herrsche Unmut, der auch laut geäußert werde. Der zusammenfassende Bericht gipfelte in einer Frage, die eben nicht erst 1989, sondern schon viel früher und an zahlreichen Stellen geäußert wurde: Wie soll es nur weitergehen im selbst ernannten „Arbeiter- und Bauernstaat“?1

Schlaglichtartig zeigt sich hier, dass selbst scheinbar abseitige Blickwinkel geeignet sein können, Aussagen über grundsätzliche Zusammenhänge zu treffen. Dies ist auch der Ansatz, den Thomas Fleischman in seinem viel beachteten und gut lesbaren Buch wählt. Indem er die „Kommunistischen Schweine“ mit Aufstieg und Fall der DDR verknüpft, gelingt es ihm tatsächlich, neue, interessante Facetten über deren Geschichte herauszuarbeiten. Gleichwohl werden auch die Grenzen dieses Herangehens deutlich. Mitunter führt ein allzu verengter Blick zu voreiligen Schlüssen. Darauf wird zurückzukommen sein.

Forschungen zur Agrarwirtschaft der DDR liegen bis heute nur in einem äußerst überschaubaren Umfang vor. Während die ersten zwei Jahrzehnte, insbesondere Bodenreform und Kollektivierung mit all ihren Folgen, als einigermaßen durchdrungen gelten dürfen, ist dies für die 1970er- und 1980er-Jahre keineswegs der Fall. Schon deshalb ist Fleischmans Buch hoch willkommen. Originell, wenn auch nicht neu2, ist die Idee, eine einzelne Tierart zu wählen, anhand derer weit umfassendere Fragen erörtert werden. Fleischman definiert für die DDR drei Gruppen von Schweinen: Industrieschweine, Gartenschweine und Wildschweine. Während die Industrieschweine in riesigen Anlagen der Massentierhaltung (mit bis zu 200.000 Mastplätzen) aufgezogen wurden, gehörte das Gartenschwein in die individuelle Viehhaltung auf bäuerlichen Höfen und das Wildschwein, nun ja, in die Wildnis. In sieben Kapiteln spürt Fleischman ihrer Geschichte und ihrer Bedeutung nach. Kapitel 1 beschreibt die erzwungene Umstrukturierung der ostdeutschen Landwirtschaft nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die späten 1960er-Jahre. Bereits hier wurden die Weichen für die industrielle Fleischproduktion gestellt. Zurecht betont der Autor, dass dies keineswegs eine Erfindung der DDR (oder der Sowjetunion war), sondern vor allem auf US-amerikanischen Vorbildern beruhte. Damit kann er zeigen, dass auch in Zeiten einer bipolaren Welt Ideen und Technologien die scheinbar fest gefügten Grenzen überwanden und global Bedeutung erlangten. Das ist ohne Zweifel richtig, schätzt aber einen anderen Aspekt von großer Wirkungsmacht viel zu gering: die ideologische Grundierung jeglicher Agrarpolitik in den sozialistischen Staaten. Denn schon Marx, Engels, Lenin hatten die genossenschaftliche Produktion in möglichst großen Einheiten als Ziel festgeschrieben – und dem folgten ihre Exegeten weitaus mehr als kapitalistischen Bezügen. Hier greift Fleischman mit seiner Interpretation zu kurz.

Vor dem Hintergrund der Entwicklungen auf dem Weltmarkt diskutiert der Autor in Kapitel 2 die Wandlung der ostdeutschen Schweinefleischproduktion in den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren. Bedingt durch niedrige Öl- und Getreidepreise sowie hohe Gewinnmargen intensivierte die DDR ihr diesbezügliches Engagement nachhaltig und exportierte immer mehr Fleisch, sowohl an die östlichen Bündnispartner als auch in die westliche Welt: „For a brief time, there was no limit […] to the growth of agriculture.“ (S. 65) Überall im Land entstanden nun industrielle Mast- und Schlachtbetriebe von enormer Größe, die Zukunft schien rosig.

Warum sie es dann doch nicht war, schildert Fleischman in den Kapiteln 3 und 4. Exemplarisch arbeitet er heraus, wie die zweite Hälfte der 1970er-Jahre für die DDR immer mehr zu einer Zeit des ökonomischen Niedergangs wurde. Dieses Phänomen resultierte einerseits aus den nun schwierigen Bedingungen am Weltmarkt – war im vorliegenden Fall aber in hohem Maße hausgemacht. Denn nun ging das Land im Agrarsektor einen Sonderweg, den es auch im Ostblock nirgends sonst gab: Der von Fleischman so titulierte „Grüneberg-Plan“ (der in den meisten Punkten aber, ähnlich dem „Leninschen Genossenschaftsplan“, eher eine Ansammlung von flexibel zu handhabenden Ideen als ein stringenter Plan war) sah eine weitere konsequente Industrialisierung, vor allem aber Spezialisierung der landwirtschaftlichen Produktion vor. Die strikte Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion war die wichtigste Folge. Fachleute vor Ort rannten wegen der absehbaren Probleme dagegen Sturm, doch der Sekretär des SED-Zentralkomitees für Landwirtschaft, Gerhard Grüneberg, setzte diese Idee gegen jeden Widerstand durch. Die Auswirkungen waren massiv. Immer größere Fleischkombinate produzierten immer mehr Gülle, deren Entsorgung zu immer größeren Problemen führte. In den Agrarfabriken griffen Krankheiten um sich, die Produktivität sank, im Umfeld starben die Wälder. Die Umweltverschmutzung im ländlichen Raum nahm spätestens am Beginn der 1980er-Jahre dramatische Ausmaße an. Das wiederum blieb weder verborgen noch unwidersprochen: Auch jenseits der urbanen Zentren regte sich nun Opposition gegen die SED-Politik – auch wenn das bis heute viel zu wenig thematisiert wird.

Kapitel 5 und 6 behandeln die Schweinepopulation der DDR jenseits der industriellen Haltung: das Garten- und das Wildschwein. Unter der Kategorie Gartenschwein subsummiert Fleischman jene Tiere, die privat aufgezogen und geschlachtet bzw. an den Staat geliefert wurden. Je schwieriger die ökonomische Lage des Landes wurde, umso bedeutsamer wurde diese Art der Fleischgewinnung. Zugleich manifestierte sich in den privatwirtschaftlichen Unternehmungen das Fortbestehen langfristiger Traditionen, die politisch zwar nicht gewollt, jedoch stillschweigend geduldet und später gar aktiv gefördert wurden. Auch das Wildschwein passte nicht in das Idealbild einer sozialistischen Gemeinschaft, verbreitete es doch Krankheiten, zerwühlte volkseigene Äcker und fraß den Industrieschweinen Futter weg. Wie in anderen Ländern auch, wurde es mehr und mehr zur Plage; der SED-Staat sagte ihm entschieden den Kampf an, wurde seiner aber nie richtig Herr.

Im abschließenden Kapitel 7 widmet sich Fleischman einem der am meisten unterschätzten Jahre der DDR-Geschichte: 1982. Hier kulminierten zahlreiche Negativentwicklungen. Mit Blick auf die Schweineproduktion bedeutete dies vor allem, dass weit weniger Fleisch zur Verfügung stand, als es der Plan vorsah. Nun waren die Verantwortlichen gezwungen, eine Grundsatzentscheidung zu treffen. Sollte zuvorderst die Bevölkerung versorgt oder müssten primär die Lieferverpflichtungen in das westliche Ausland erfüllt werden? Man entschied sich für die zweite Variante, verstärkte so die ohnehin virulente Unzufriedenheit im eigenen Land und verschärfte nachhaltig Verwerfungen, die am Ende des Jahrzehnts wesentlich zum Untergang der DDR beitrugen. Allerdings verwechselt Fleischman Ursache und Wirkung, wenn er schreibt: „A calamitous die off of 1.7 million industrial pigs threw the planned economy into chaos.“ (S. 169) Das Chaos herrschte bereits, die Planwirtschaft der DDR hatte sich längst als dysfunktional erwiesen, unter anderem deshalb starben so viele Schweine. Denn es fehlte an fast allem: gutem Futter, wirksamer Medizin, motivierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Hier zeigt sich wiederum das oben erwähnte Problem eines mitunter zu engen Blickwinkels des Autors.

Gleichwohl hat Thomas Fleischman ein hoch interessantes Buch vorgelegt, das weit mehr zu bieten hat als einen chronologischen Überblick über „Kommunistische Schweine“. Immer wieder ordnet er Strukturen und Prozesse in die Geschichte des Kalten Krieges ein, behandelt Aspekte der Umwelt- ebenso wie der Konsumgeschichte. Zudem sind profunde Kenntnisse etwa von Entscheidungsketten, Handlungszwängen und Gestaltungsgrenzen im SED-Staat nicht zu übersehen. Insofern ist die hier vorgetragene Kritik vor allem als Anregung für künftige Studien zu verstehen; erkenntnisreich und lesenswert sind die Communist Pigs allemal.

Anmerkungen:
1 Bericht der Abteilung Leitende Organe vom 20. Oktober 1986, in: SAPMO-BArch, DY 30/1867.
2 Vgl. als frühe Studie etwa Patrice G. Poutrus, Die Erfindung des Goldbroilers. Über den Zusammenhang zwischen Herrschaftssicherung und Konsumentwicklung in der DDR, Köln 2002, https://doi.org/10.14765/zzf.dok.1.100.v1 (08.04.2022). Zudem: Tiago Saraiva, Fascist Pigs. Technoscientific Organisms and the History of Fascism, Cambridge 2016.