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Titel
Der vertraute Feind. Spartaner und Heloten


Autor(en)
Zimmermann, Carsten
Reihe
Studien zur Geschichte und Kultur Spartas und zur Sparta-Rezeption (3)
Erschienen
Duisburg 2020: Wellem Verlag
Anzahl Seiten
154 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Imogen Herrad, Abteilung für Alte Geschichte/Bonn Center for Dependency and Slavery Studies, Universität Bonn

Die vorliegende Monografie basiert auf der Paderborner Dissertation von Carsten Bernd Zimmermann. Ausgehend von dem berühmten Ausspruch des Thukydides, die lakedaimonischen Institutionen dienten generell dem Zwecke, der Heloten Herr zu bleiben,1 fragt Zimmermann, ob „die spartanische Politik und die spartanischen Institutionen auf eine solche persistente Angst vor den Heloten zurückzuführen seien“ (S. 6). Anhand einzelner Fallbeispiele kann er dies verneinen und zeigen, dass die untersuchten spartanischen Einrichtungen vielmehr jeweils in spezifischen historischen Momenten entstanden.

Zimmermann legt seine These in der Einführung dar, die auch einen kurzen Forschungsüberblick beinhaltet (S. 1–10). Daran schließen sich die insgesamt neun untersuchten Fallgeschichten an. Die ersten drei werden im Rahmen eines Oberkapitels („Thukydides und die Helotenfurcht“, S. 11–36) behandelt: „Thukydides und die vermeintliche Helotenfurcht der Spartaner“ (eine detaillierte Analyse des oben erwähnten Satzes, S. 11–17), „Der heimliche Meuchelmord an 2000 Heloten“ (S. 18–30), und „Die Heloten im Kriegsdienst – eine Vorsichtsmaßnahme?“ (S. 31–36). Es folgt ein längeres Einzelkapitel: „Der Regent Pausanias und die Heloten“ (S. 37–62). Wiederum in einem Oberkapitel sind drei Abschnitte zusammengefasst, die „De[n] Einfluss der Helotie auf die spartanischen Verträge“ einzeln untersuchen und dabei besonders der Frage nachgehen, inwieweit die Helotenfurcht eine Rolle beim Entstehen des Peloponnesischen Bundes und weiterer Abkommen zwischen Sparta und anderen Poleis spielte. Im Einzelnen werden analysiert: „Der Vertrag zwischen Sparta und Tegea“ (S. 64–73), „Der Vertrag zwischen Sparta und den Aitoloi Erxardieis“ (S. 74–87) und „Das Defensivbündnis zwischen Sparta und Athen von 421 v.Chr.“ (S. 88–104). Zwei weitere Einzeluntersuchungen sind der Kinadonverschwörung (S. 105–116) und der Krypteia (S. 117–130) gewidmet. Ein kurzes Fazit („Schluss“, S. 131–138) fasst die Ergebnisse zusammen. Auf ein Quellen- und ein Literaturverzeichnis folgen vier Indices (ein Index locorum, der ebenfalls mit „Quellen“ überschrieben ist, sowie ein Allgemeiner, ein Personen- und ein Ortsindex).

Die Analysen sind zum Teil sehr detailliert und in ihren Ergebnissen oft überzeugend. So kann Zimmermann beispielsweise zeigen, dass der Vorwurf gegen Pausanias, den Sieger von Plataiai, er habe Umsturzpläne gehegt und mit Heloten paktiert (Thuk. 1,132,4), vermutlich die Erfindung einer feindlichen Partei aus dem Ephorenumfeld war, die damit den auch nach seinem Tode noch populären Regenten innerhalb Spartas zu diskreditieren versuchte (S. 58).

In der Forschung wird z.T. noch immer die Frage kontrovers diskutiert, inwieweit der oder zumindest ein Zweck des Peloponnesischen Bundes für die Spartaner darin bestand, dass sie im Falle von Helotenaufständen stets auf ein Reservoir kampfbereiter Verbündeter zurückgreifen konnten. Zimmermanns Untersuchung der drei uns vorliegenden Symmachie-Verträge Spartas kann immerhin zeigen, dass nur im Defensivbündnis mit Athen in einer Klausel explizit ein möglicher Helotenaufstand2 erwähnt wird. Die weiteren Bestimmungen dieses wie auch der anderen untersuchten Verträge sind spezifischen historischen Momenten geschuldet.

Interessant ist Zimmermanns Sichtweise auf die Etablierung des neuen gesellschaftlichen Status der neodamodeis i.J. 421, die er (darin Yves Garlan folgend) als „Revolution [...] im Umgang mit den Heloten“ (S. 97) beschreibt. Diese Institution mit ihren Aufstiegsmöglichkeiten für unternehmende und ansonsten womöglich aufstandswillige Unfreie stellte nicht nur eine realistische Alternative zu Flucht oder Widerstand dar (S. 103), sondern wirkte auch im lakedaimonischen Heer zumindest eine Zeitlang dem durch oliganthropia entstehenden Schwund entgegen (S. 98f.). Es ist sicherlich plausibel, dass Zimmermann den Hintergrund dieser Neuerung im Bestreben der Spartaner sieht, den zersetzenden Aktivitäten der Messenier aus Naupaktos den Nährboden zu entziehen. Bei diesen handelte es sich um Nachfahren der aufständischen Heloten, die nach dem großen Erdbeben 464 ihre Freiheit erfochten hatten und von den Athenern in Naupaktos angesiedelt worden waren. Ihre Enkel kämpften im Peloponnesischen Krieg auf Seiten Athens und führten einen erfolgreichen Guerillakrieg in Messenien, der u.a. eine nicht unerhebliche Anzahl von Heloten zur Flucht animierte.

Insgesamt ist, wie Zimmermann selber abschließend formuliert, das Ergebnis seiner Arbeit „ein negativer Befund“ (S. 132): Von einer persistenten Helotenfurcht waren die Spartaner frei. Damit widerlegt Zimmermann allerdings eine Deutung, die so wohl nur noch sehr wenige Historiker:innen teilen. Vor allem die neuere Spartaforschung (verwiesen sei hier nur auf die von Stephen Hodkinson und Anton Powell verfassten bzw. herausgegebenen Werke aus den letzten drei Jahrzehnten) ist – auch durch den Vergleich mit anderen Sklavereisystemen – längst zu einer differenzierteren Sichtweise gelangt. Stellvertretend sei hier nur auf den Überblick über die Helotie bei Nigel Kennel verwiesen. Dieser führt die außerordentliche Langlebigkeit der Helotie auf eine ausgeklügelte Mischung aus Brutalität und Anreizen („carrot-and-stick approach“) zurück.3 Von Helotenfurcht ist bei ihm nicht die Rede. Insofern kann der Eindruck entstehen, Zimmermanns Studie erfinde bisweilen Räder neu, die anderswo schon längst im Rollen sind.

Problematischer erscheint ein anderer Aspekt der Monografie. Dass Zimmermann die Ereignisse nur aus der Perspektive der Spartaner betrachtet, ist hinsichtlich seines Erkenntnisinteresses durchaus folgerichtig; überraschender ist das Auftauchen teilweise wertender Formulierungen. So schildert er die Tatsache, dass nach der Schlacht bei Plataiai eine Reihe von Heloten persisches Gold und andere Kostbarkeiten heimlich auf eigene Rechnung verkauften (Hdt. 9,80), als „missbraucht[es] [...] Vertrauen“ (16 Anm. 27) und bezeichnet die Naupaktos-Messenier als „hinterhältig agierende[]“ (S. 93) „Eindringlinge“ (S. 91, Anm. 110). Die Verpflichtung der Heloten, tote spartanische Könige zu betrauern (Tyrt. F 5 W; Hdt. 6,58) betrachtet Zimmermann als „eine[] gewisse Integration der Heloten in den Staat“ (S. 4). Dabei hat schon 2003 Hans van Wees darauf hingewiesen, dass erzwungenes Trauern eine Sklavenpflicht war4; insofern gehört diese Auflage eher zu dem von Plutarch und anderen berichteten Katalog erniedrigender Maßnahmen, mit denen die Spartaner ihre Macht demonstrierten und die Heloten in ihre Schranken verwiesen.

Eine Reflexion über solche einseitigen moralischen Wertungen findet nicht statt. Zimmermann zeichnet ein allzu idyllisches Bild vom Verhältnis zwischen Herren und Versklavten, oft auch zu verallgemeinernd als zwei homogene Blöcke gedacht: „den Spartanern“ und „den Heloten“ (S. 19, S. 59, S. 60, S. 90, S. 106, S. 132). Zeitliche Entwicklungen und situative Unterschiede geraten ebenfalls kaum ins Blickfeld der Studie. Trotz der genannten problematischen Aspekte wird Zimmermanns Monografie sicherlich aufs Neue die Diskussion um Sparta anfeuern. Er hat klar Stellung bezogen und bietet mit seinem Text zahlreiche Anknüpfungspunkte für weitere Debatten.

Anmerkungen:
1 Thuk. 4,80,3 in der neuen Tusculum-Übersetzung von Michael Weißenberger: „überhaupt war in Sparta so ziemlich alles darauf ausgerichtet, die Heloten unter Kontrolle zu halten“. Interessant ist Zimmermanns leider nicht überprüfbare Spekulation, es könne sich bei dem fraglichen Satz – der, wie der Autor zutreffend anmerkt, eher unbeholfen zwischen der Schilderung des Massakers von 2000 Heloten und der Nachricht steht, im Peloponnesischen Krieg seien mit Brasidas 700 helotische Hopliten auf die Chalkidike gezogen – um eine Glosse handeln, die in den thukydideischen Text hineingerutscht ist (S. 14 Anm. 15).
2 Thuk. 5,23,3: „Wenn aber der Sklavenstand rebelliert, sollen die Athener den Lakedaimoniern Beistand leisten mit aller Kraft, nach ihren Möglichkeiten.“ Ü. Michael Weißenberger. Im Gegensatz zu den anderen Bestimmungen des Vertrags, die wechselseitig sind, gibt es keine entsprechende Verpflichtung der Lakedaimonier, den Athenern bei einem Sklavenaufstand beizustehen.
3 Nigel Kennell, Spartans. A new history, Malden 2010, S. 87.
4 Hans van Wees, Conquerors and Serfs. Wars of Conquest and Forced Labour in Archaic Greece, in: Nino Luraghi / Susan E. Alcock (Hrsg.), Helots and their Masters in Laconia and Messenia. Histories, Ideologies, Structures, Washington 2003, S. 33–80, hier S. 35 Anm. 6.

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