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Titel
Force of Words. A Cultural History of Christianity and Politics in Medieval Iceland (11th – 13th Centuries)


Autor(en)
Hreinsson, Haraldur
Reihe
The Northern World (90)
Erschienen
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
€ 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Oertel, Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO), Leipzig

Die Dissertation von Haraldur Hreinsson stellt sich das Ziel, anhand des isländischen Quellenmaterials nachzuvollziehen, wie einige der in der religiösen Literatur aufscheinenden Diskurse dabei halfen, die Stellung geistlicher Akteure in den politischen Auseinandersetzungen auf Island während des Betrachtungszeitraums vom 11. bis zum Anfang des 13. Jahrhunderts zu verbessern. Die Arbeit entstand am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, dessen Kern die thematische Ansiedlung derselben am Schnittbereich der Geschichte der Kirche als politischer Entität und der Geschichte religiöser Ideen und Praktiken trifft.

Neben die Methode der Analyse religiöser Diskurse aus der Perspektive ihrer politischen Nutzung tritt als genutztes Forschungsparadigma das des „Empire“, als das Haraldur Hreinsson die mittelalterliche römisch-katholische Kirche gesehen wissen möchte. Die theoretische Fundierung des „Empire“-Begriffes liefern dabei Herfried Münkler und Alejandro Colás. In Hinsicht auf die Beschreibung der mittelalterlichen Kirche als „Empire“ lässt sich Hreinsson von Richard Southerns Vergleich dieser Kirche mit dem Alten Rom inspirieren.1 Die römisch-katholische Kirche „bore enough imperial traits to be considered an empire in the broad sense of the term and it is into such imperial tendencies which this study intends to inquire“ (S. 28).

Die Arbeit gliedert sich in vier Großkapitel. In der „Introduction“ (S. 1–35) stellt Hreinsson den historiographischen Kontext seiner Untersuchung ebenso vor, wie die von ihm analysierten Diskurse und die Quellen, in denen sie zu finden sind, sowie seine Überlegungen zum „Empire“-Paradigma in Bezug auf die mittelalterliche katholische Kirche. Etwas überrascht war der Rezensent vom dargestellten Befund eines mangelnden Forschungsinteresses an der mittelalterlichen isländischen Kirchengeschichte (S. 4f.), dem jedoch eine ausführliche Diskussion des Forschungsstandes zu eben diesem Thema folgt (S. 5–17). Auch das zweite Großkapitel „The Roman Church in Free State Iceland“ (S. 36–131) hat noch einführenden Charakter. Hier werden die Christianisierung Skandinaviens und Islands thematisiert, die benutzten Quellen vorgestellt und die isländischen Kirchenmänner inklusive ihres Verhältnisses zu den Laien charakterisiert. Hreinsson kann hier Belege dafür vorweisen, dass Laien nicht nur zum Auditorium geistlicher Prediger gehörten, sondern dass zumindest hagiographische Texte auch im laikalen häuslichen Kontext (vor-)gelesen wurden. Damit kann er eine relativ große soziale Reichweite der später von ihm identifizierten Diskurse wahrscheinlich machen.

Das Kernstück der Arbeit bildet das dritte Kapitel „Force of Words: Constructing a Christian Society“ (S. 132–229), in dem Hreinssson anhand seiner Quellen nachvollzieht, auf welche Art und Weise diskursiv die Autorität geistlicher Akteure konstruiert wurde. Die Zuschreibung von Autorität sei vor allem durch die Beschreibung der Aktionen der Apostel erreicht worden, die ein besonderes Verhältnis zu Gott gehabt hätten. Außerdem: „The apostles are shown to enter every situation with the intention of demanding submission and obedience and turning the people they come across into subjects of the Lord; in short, dominating“ (S. 145). Als „Gesandte“ Gottes seien sie damit quasi die Prototypen von Missionaren oder auch von päpstlichen Legaten, die von den Isländern Gehorsam einforderten. Die Betonung der hierarchisch herausgehobenen Position von Priestern (allen voran Petrus) sei wichtig für die Autorität isländischer Geistlicher gewesen. Zentral sei in jedem Fall „the Church’s emphasis on its special relationship with the divine“ (S. 170) gewesen. Am Beispiel der Auseinandersetzung zwischen Petrus und dem Magus Simon sei auch gleich die Position der Feinde des Glaubens verdeutlicht worden. Diese „Anderen“ im dualistischen Schema von Gut und Böse seien in den untersuchten Texten vor allem durch Heiden, Häretiker und Juden personifiziert worden. Von diesen habe es zwar im Island des 12. und 13. Jahrhunderts wenige oder gar keine gegeben, sie stünden jedoch stellvertretend für alle, die sich der Kirche und ihrem Anspruch auf Dominanz in irgendeiner Form widersetzten. Die theologischen Diskurse hätten eine soziopolitische Qualität „insofar that [they are] concerned with sub- and superordination within a social hierarchy of prestige“ (S. 193). „For the Roman Church in Iceland, in the social and political conflicts of the day, what mattered the most was to realize whether or not somebody was an opponent. After somebody had been singled out as an enemy, it was among the most powerful discursive strategies of the Church to juxtapose that enemy with the hosts of enemies from the Church’s past“ (S. 196). Zum Schluss des Kapitels diskutiert Hreinsson, wie der Begriff des Friedens – der in fast allen Religionen als etwas Positives wahrgenommen wird – im Diskurs der kirchlichen Quellen genutzte wurde. Die Kirche habe sich als Bewahrerin des Friedens stilisiert und habe damit jede Opposition gegen sich als Kampf von Mächten der Unordnung und des Unfriedens gegen den Frieden darstellen können. „This relatively clear-cut framework brings together the Church and its enemies, making plain what it meant to side with either one of them“ (S. 228f.). Das grundsätzliche Versprechen sei gewesen: Die Kirche sorge für Frieden in der Gesellschaft und für ein harmonisches Leben nach dem Tod im Gegenzug für den Gehorsam der Isländer.

Im vierten Kapitel „Rome Goes North“ (S. 230–276) untersucht Hreinsson, in welchen Kontexten die im vorherigen Kapitel herausgearbeiteten Diskurse tatsächlich zur Anwendung kamen. Er zeigt, dass die in den religiösen Texten geschmiedeten diskursiven Waffen vor allem im Kontext der Konflikte zwischen kirchlicher und weltlicher Macht im 12. und Anfang des 13. Jahrhunderts eingesetzt wurden und nicht – wie man vielleicht hätte vermuten können – während der Konversion der Bevölkerung der Insel zum Christentum während des 10. und 11. Jahrhunderts. Die fraglichen Diskurse konnte Hreinsson vor allem in einer Reihe von Briefen mehrerer Erzbischöfe von Niðaros in Norwegen an die führenden Familien der isländischen „Viertel“ auffinden, die sich gegen die Beschneidung ihres Einflusses auf die isländische Kirche wehrten. Interessanterweise waren die Erzbischöfe allerdings trotz der Nutzung der thematisierten „most powerful discursive strategies“ nicht in der Lage, ihre Vorstellungen von der libertas ecclesiae auf Island durchzusetzen, solange die Insel ihre politische Unabhängigkeit bewahren konnte. Eine Diskussion dieser doch offenbar eingeschränkten Wirkmächtigkeit der geistlichen Diskurse (zumindest bei gleichzeitigem Fehlen „harter“ Machtmittel) hätte dieses Kapitel noch interessanter gemacht.

Die Arbeit wird durch ein ausführliches (vierseitiges) Inhaltsverzeichnis und einen Index gut erschlossen. Zu monieren wären nur einige kleinere Dinge. So wird die Übersicht über die „Textual Sources“ (S. 31ff.) einige Seiten später unter der Überschrift „Iceland’s Earliest Religious Manuscripts“ (S. 66ff.) weitgehend wörtlich wiederholt, was sicher durch ein intensiveres Lektorat hätte vermieden werden können. Etwas grundsätzlicher ist die Frage, ob die Hinleitung zur Auseinandersetzung mit den Quellen bereits die Hälfte des darstellenden Teils des Buches in Anspruch nehmen sollte. Die Breite der einführend diskutierten Themen führt stellenweise zu einer sehr dünnen Literaturgrundlage. So bezieht sich – um nur ein Beispiel zu nennen – der Abschnitt zur Christianisierung Skandinaviens auf wenige und scheinbar zufällig ausgewählte Schriften, vor allem auf das zwar relativ neue, aber zu Recht kritisierte Buch von Anders Winroth2 (der folgende Abschnitt zur Christianisierung Islands überzeugt hingegen völlig). Hier hätte man sicher etwas straffen können.

Diese Frage beiseitegelassen, hat Haraldur Hreinsson jedoch ein hochinteressantes Buch vorgelegt, das sowohl in seiner Anwendung des „Empire“-Paradigmas auf die mittelalterliche katholische Kirche als auch in der Identifizierung der als politische Waffen genutzten geistlichen Diskurse völlig überzeugt. Die Gültigkeit seiner Aussagen beschränkt sich dabei keineswegs auf Island oder Skandinavien, denn Hreinsson nutzt fast ausschließlich Quellen, die (oder zumindest deren Inhalt) von außen auf die Insel gekommen sind. Seine Schlussfolgerungen dürften daher auch für andere von der römisch-katholischen Kirche dominierte Regionen Gültigkeit besitzen und sollten daher in allen folgenden Diskussionen Beachtung finden, die sich mit dem „Investiturstreit“, seinen Grundlagen und Folgen beschäftigen.

Anmerkungen:
1 Herfried Münkler, Die Logik der Weltherrschaft. Vom Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten, Berlin 2005; Alejandro Colás, Empire. Key Concepts, Cambridge 2007; Richard Southern, Western Society and the Church in the Middle Ages, Harmondsworth 1970.
2 Vgl. z.B. Jonathan Grove, Rezension zu: Anders Winroth, The Conversion of Scandinavia. Vikings, Merchants and Missionaries in the Remaking of Northern Europe, New Haven 2012, in: English Historical Review 130 (2015), S. 153–155.