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Titel
NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung


Autor(en)
Ganser, Daniele
Erschienen
Anzahl Seiten
445 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Stöver, Historisches Institut, Lehrstuhl Zeitgeschichte, Universität Potsdam

Der Kalte Krieg war in erster Linie eine Auseinandersetzung zwischen zwei unvereinbar erscheinenden Weltanschauungen mit jeweils konkurrierenden Gesellschaftsentwürfen. Es handelte sich um einen Systemkonflikt zwischen dem kommunistischen Modell der staatssozialistischen „Volksdemokratie“ auf der einen und dem westlichen Modell der liberalkapitalistischen parlamentarischen Demokratie auf der anderen Seite. Prinzipiell beharrten beide Seiten auf universaler Anwendung und globaler Gültigkeit. Unbestrittene Führer der Lager waren die Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkrieges, die USA und die Sowjetunion, die sich mit dem Erreichen ihres wichtigsten gemeinsamen Ziels, der Zerstörung des Nationalsozialismus, entfremdeten. In der bipolaren Konfrontation zwischen den Führungsmächten Sowjetunion und USA ordnete sich ein Großteil der anderen Staaten den jeweiligen Blöcken zu. Die Ausnahme bildete schließlich China sowie die Gruppe der „Blockfreien“, die ohne (Vertrags-)Bindung an den Westen und den Osten größtmögliche politisch-wirtschaftliche Unabhängigkeit bewahren wollten. Die Auflösung der Sowjetunion 1991 markiert den Ausgang der fast genau 45 Jahre dauernden Auseinandersetzung, die von Entspannungs- und Eskalationsphasen unterbrochen wurde.

Der Kalte Krieg war im Gegensatz zum Ost-West-Konflikt ein permanenter und aktiv betriebener „Nicht-Frieden“, in dem alles das eingesetzt wurde, was man bisher nur aus der militärischen Auseinandersetzung kannte. Hinzu kam etwas, was bisher unbekannt war: Dieser „Nicht-Frieden“ konnte binnen Stunden zu einem unbegrenzten atomaren Krieg werden und einen Großteil der Menschheit vernichten. Rasch entwickelte sich der Kalte Krieg zu einem „totalen Krieg“, in dem mit Ausnahme der atomaren Waffen, die sich aufgrund ihres langfristigen Zerstörungspotentials als nicht einsetzbar erwiesen, alles Verfügbare zur Anwendung kam, um diesen Konflikt zu gewinnen. Der Kalte Krieg war eine politisch-ideologische, ökonomische, technologisch-wissenschaftliche und kulturell-soziale Auseinandersetzung, die ihre Auswirkungen bis in den Alltag zeigte. Nur in der Dritten Welt wurde er schließlich auch als konventionelle militärische Auseinandersetzung geführt. Die Nichtvereinbarkeit der beiden Lager führte zudem in den einzelnen Gesellschaften zu Polarisierungen. Annäherungen an die jeweils andere Seite oder Neutralität blieben bis zum Schluss verdächtig. Gerade darin wird deutlich, dass der Kalte Krieg eigentlich nur Kombattanten kannte – Teilnehmer auf dieser oder jener Seite. Anschauungsunterricht bot im Osten etwa die Behandlung von Dissidenten, im Westen zum Beispiel das Verhalten gegenüber der Friedensbewegung. Dass die Öffentlichkeit ebenso wie die wissenschaftliche Literatur im Anschluss an den Kollaps des sowjetischen Systems und seiner Satelliten die Frage nach dem Gewinner der Auseinandersetzung stellte, zeigt, dass selbst noch in der Retrospektive der Kalte Krieg als Kampf um Sieg oder Niederlage verstanden wurde.

Angesichts dieser „totalen“ Dimension des globalen Konflikts und der angenommenen umfassenden Bedrohung ist es klar, dass vieles auch verdeckt geplant und durchgeführt wurde. Natürlich war der Kalte Krieg auch ein Geheimdienstkrieg und er war vor allem einer, in dem man sich auf eine mögliche „heiße“ Phase, das heißt den großen militärischen Konflikt vorbereitete. Die Planungen dafür werden es erst nach und nach bekannt. Der Züricher Historiker Daniele Ganser setzt in seiner bereits 2005 zum ersten Mal in englischer Sprache vorgelegten Dissertation über die „Nato-Geheimarmeen in Europa“, mit dem Untertitel „inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung“ mit einem der nach wie vor unbekanntesten Aspekte des Kalten Krieges auseinander. Nato-Geheimarmeen wurden wie die „Stay Behind“-Gruppen des Warschauer Pakts, zu denen auch die von der westdeutschen Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) aufgestellten „Gruppe Forster“ gehörte, bereits in den 1950er-Jahren aufgebaut und sollten im Falle eines Krieges mit dem Ostblock hinter den feindlichen Fronten militärische Aufträge erfüllen. Auf westlicher Seite wurde der breiteren Öffentlichkeit 1990 zunächst vor allem die NATO-Geheimarmee „Gladio“ bekannt. Wie groß das Interesse am Thema ist, lässt sich nicht zuletzt daran erkennen, dass Gansers Untersuchung schon 2005 in Italienisch, 2006 in Slowenisch und Russisch, 2007 in Griechisch und Französisch und nun eben 2008 auch in deutscher Sprache erschienen ist.

Die Organisation „Gladio“ war eine hochgeheime NATO-Organisation, die über das gesamte westliche Europa, einschließlich der neutralen Staaten aktiv war, den Ernstfall übte, Waffenlager anlegte usw. Systematisch arbeitet Ganser in 14 Kapiteln deren Tätigkeit ab. „Der Geheime Krieg in …“ beginnt in Großbritannien, schwenkt auf Italien, Frankreich, Spanien, Portugal, die Benelux-Staaten, die skandinavischen Länder, Griechenland und die Türkei und nicht zuletzt natürlich auf die USA selbst. Das alles ist souverän gemacht und nun auch in deutscher Sprache als sehr lesbares Buch auf dem Markt. Auch Ganser musste natürlich Kompromisse machen. Die Quellenbasis bilden im Wesentlichen Periodika oder sonstige veröffentlichte Materialien. Das war eine Puzzlearbeit in der internationalen Publizistik, wie die Belegstellen zeigen. Irritiert ist man allerdings von der im Schlusswort formulierten Verblüffung des Autors, dass die Tarnung der „Stay Behind“-Organisationen bis zum Ende des Kalten Krieges funktionierte. Sie tat es natürlich eigentlich nicht, denn schon in den 1950er-Jahren wurden ja bekanntlich Teile der westlichen „Stay Behind“-Gruppen, wie der Bund Deutscher Jugend enttarnt und schließlich verboten. Aber das Ausmaß der Organisation und ihre Verwicklung in die Politik sind bislang nur in Teilen bekannt geworden. Hilfreich ist nicht zuletzt eine mehrseitige Chronologie.

Gansers Buch ist nicht nur ein wichtiger Überblick und gewährt tiefen Einblick in einen Teil der hoch geheimen Planungen für den möglichen Ernstfall. Es ist gleichzeitig ein weiterer Mosaikstein, der die Totalität des Kalten Krieges von einer weiteren Seite beleuchtet. Dass die Archivalien allerdings auch Ganser nicht geöffnet wurden, macht klar, dass das Geheimdienstthema für Historiker schwieriges Terrain bleibt.

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