Cover
Titel
Schienen für den Sultan. Die Bagdadbahn: Wilhelm II., Abenteuer und Spione


Autor(en)
Korn, Wolfgang
Erschienen
Anzahl Seiten
400 S.
Preis
€ 22,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger von Dehn, Historisches Seminar, Bergische Universität Wuppertal

„'BAGDAD' wie oft der Name in den letzten zwei Jahrzehnten in europäischen Parlamenten und Debattierklubs, in Cafés und Zeitungsartikeln fiel und dabei sogleich Gedanken an verlockende Fremde, Luxus und Laster, Erotik und Exotik weckte. Doch wie trist, grau und langweilig war die Realität.“ (S. 181) Letzteres lässt sich nicht nur über die Metropole zwischen Euphrat und Tigris sagen. Gleiches gilt für die fachliche Tiefe in Wolfgang Korns Überblicksgeschichte der Bagdadbahn. Im Grunde kommt die Darstellung des Journalisten einer Bahnfahrt gleich. Der Leser schaut aus dem Fenster und sieht ein Thema nach dem anderen an sich vorbeiziehen. Den Fahrplan sucht er vergeblich. Dementsprechend ist kaum abzuschätzen, wohin die Reise von Berlin aus gehen soll. Die 16 Zwischenhalte tragen nur bedingt zur Orientierung bei.

So widmet sich Korn zunächst dem Mythos der Bagdadbahn und stellt dabei fest, dass über Jahre und Jahrzehnte die historischen Fakten von Legenden überlagert wurden. Spannend und fragwürdig zugleich ist seine These, dass der Bahnbau den Anfängen des Nahost-Konflikts zugeordnet werden kann. Alsbald wird der Leser in das Jahr 1888 geführt und mit den politischen Akteuren, wie Wilhelm Pressel oder Wilhelm II., vertraut gemacht. Es war auch das Jahr, in dem der erste Orientexpress Konstantinopel erreichte. Zugleich wurden Pläne für den Bahnbau in Anatolien geschmiedet, die schnell an der Finanzierung zu scheitern drohten. Aus eben diesem Grund wurde versucht, Bankier Siemens für das Bahngeschäft im Orient zu gewinnen. Im dritten Kapitel kann Wilhelm II. auf seiner Reise in den Nahen Osten begleitet werden. Von dort zieht es den Leser zum Baubeginn und zu möglichen Finanzierungsstrategien auf deutscher Seite. Schon jagt man durch die Innenpolitik des Osmanischen Reiches. Bald steht die zweite Orientreise des deutschen Kaisers zur Debatte. Im siebten und achten Kapitel beschreibt Korn einige der politischen Nebenschauplätze, die es beim Bagdadbahnbau nicht aus dem Auge zu verlieren galt. Gemeint sind die im Deutschen Reich aufkommende Orienteuphorie und der Bau der Pilgerbahn nach Medina. Das neunte und zehnte Kapitel stehen ganz im Zeichen der britischen und der deutschen Archäologie entlang der Trasse. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wird die Bagdadbahn zum militärischen Instrument – genutzt von deutschen Truppen und verschiedenen Agenten. Hinweise auf Dschihad und den Völkermord an den Armeniern dürfen nicht fehlen. Im 14. und 15. Kapitel geht Korn den Entwicklungslinien nach dem Ersten Weltkrieg nach. Osmanische bzw. jetzt türkische Machtspiele rücken in den Fokus der Betrachtungen. Alsbald ist der Leser im Jahre 1939 und schließlich im Sommer 1940 angelangt. Der Zweite Weltkrieg machte fortan die Reise von Berlin bis Bagdad unmöglich. Zum Abschluss geht Korn bis in die 1990er-Jahre und zeichnet den Abstieg der Bagdadbahn zur anatolischen Lokalbahn nach.

Um bei dem anfangs bemühten Bild der Eisenbahn zu bleiben: Der Leser erreicht nur mit großer Verspätung das angestrebte Ziel. Korn stellt mitunter die richtigen Fragen, er versäumt es aber hin und wieder, die notwendigen Antworten zu geben. Die sehr übersichtlich gehaltene Bibliographie hilft bedingt, selbst solche zu finden. Einzelne Titel dürften ohnehin nur Spezialisten bekannt sein. Der Anmerkungsapparat lässt vermuten, dass Korn um einen gewissen Grad der Wissenschaftlichkeit bemüht ist. Positiv sind die Übersichtskarten und die detaillierte Zeitleiste bzw. Chronologie hervorzuheben.

Inhaltlich lässt sich festhalten, dass Korn die Geschichte der Bagdadbahn journalistisch und auf Effekte ausgerichtet erzählt. Die fachliche Tiefe der Darstellung bleibt trist und grau. Dabei zögert er nicht, Elemente der Militär-, Wirtschafts-, Banken- und Wirtschaftsgeschichte zu verbinden. Aspekte der Personen- und Mentalitätsgeschichte sorgen für weitere Ansätze in den Betrachtungen. Drei Leitthesen werden dabei verfolgt: So sei es keinesfalls Wilhelm II. gewesen, der den Anstoß für den Bau der Bagdadbahn gegeben habe. Zum zweiten sei sie mitnichten ein Grund für den Kriegsausbruch 1914 gewesen. Und schließlich stünde die Bahn nicht im Zusammenhang deutscher Agententätigkeiten in Indien und Afghanistan. Diese Thesen sind in der Fachwelt sicherlich nicht unbekannt. Kenner der Materie dürften längst mit ihnen vertraut sein. Kurz: Korn liefert wenig neue Erkenntnisse.

Die Lesbarkeit leidet unter den immer wiederkehrenden Themensprüngen bzw. der Themensplitterung. Der Leser muss ständig gewahr sein, dass er die richtigen Stücke aufnimmt und zu einem Gesamtbild zusammenführt. Szenische Montierungen und biographische Details von einzelnen Akteuren lassen dieses immer wieder in sich zusammenfallen. So wundert es kaum, dass die chronologische Ordnung der Arbeit etwas durcheinander gerät und Bezüge unklar werden. Dafür stehen Formulierungen wie: „Karl May popularisierte in seinen Romanen das, was unter deutschen Gelehrten, Politikern und Unternehmern schon länger gärte: den Drang nach Osten. Deutschlands orientalische Mission.“ (S. 38) Von dieser Bemerkung wird dann wiederum der „Wunsch nach dem Platz an der Sonne“ abgeleitet (S. 39.) Deutschlands Drang nach Osten wird auf diese Weise mit der Hoffnung auf kolonialen Besitz kombiniert – fast gleichgesetzt. Die abschließende Moralisierung in Bezug auf den Irak-Krieg ab 2003 scheint unnötig (S. 297ff.).

Was lässt sich abschließend über das Buch sagen? Korns Werk wird sich in Schule und Unterricht sehr gut dafür eignen, die Geschichte Europas und des Nahen Ostens im 19. und 20. Jahrhundert zu besprechen. Die Lesbarkeit lädt dazu ein. Interessierte Laien werden mit Begeisterung in „Schienen für den Sultan“ stöbern und lesen. Der Fachwelt bringt die Lektüre wenig.