Titel
Bärande band. Vänskap, kärlek och brödraskap i det medeltida Nordeuropa, ca 1000–1200


Autor(en)
Hermansson, Lars
Erschienen
Anzahl Seiten
319 S.
Preis
SEK 199
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Vera Johanterwage, Institut für Skandinavistik, Goethe-Universität Frankfurt am Main

Die Frage, welche Bedeutung Freundschaft in mittelalterlichen Gesellschaften zukam, hat in der historischen Forschung Konjunktur. Auch im Hinblick auf die skandinavische Geschichte wird zunehmend diskutiert, inwieweit Freundschaftsbande von Relevanz für das öffentliche Leben waren und somit Einfluss auf politische Prozesse ausübten. Lars Hermanson hat sich bereits in seiner Dissertationsschrift „Släkt, vänner och makt. En studie av elitens politiska kultur i 1100-talets Danmark“ 1 mit adeligen Kollektiven beschäftigt. Mit der Studie „Bärande band. Vänskap, kärlek och brödraskap i det medeltida Nordeuropa, ca 1000–1200” erweitert er nun diesen Untersuchungsgegenstand um den Aspekt der christlichen Konzeption von Freundschaft und Liebe. Außerdem beschränkt er sich nicht auf Dänemark, sondern will „Nord- och Västeuropa“ (S. 20) in den Blick nehmen.

Die lesenswerte Studie gliedert sich in sechs Kapitel. Auf eine angenehm konzise Einleitung folgt ein Überblick über Freundschaft, Liebe und Brüderschaft in der antiken Philosophie. Das abschließende Unterkapitel zur spätantiken christlichen Theologie fungiert als Übergang zum dritten Kapitel, in dem Freundschaftsdiskurse im Hochmittelalter umrissen und das Verhältnis von Freundschaft und Macht in den Gesta Danorum diskutiert werden. Im folgenden Kapitel legt Hermanson anhand kontinentaler wie skandinavischer Quellen und unter Bezugnahme auf Cheyette 2 dar, wie Freundschaftspakte in eidschwörenden Gesellschaften mittels ritueller Akte geschlossen und abgesichert wurden. Das letzte Untersuchungskapitel ist zugleich das umfangreichste. Es widmet sich vertikalen Freundschaftsverbindungen und der Frage, welche Verpflichtungen und Chancen sich skandinavischen Herrschern des 12. Jahrhunderts boten, die Freundschaftsbande mit Untertanen knüpften. Es folgt ein knapper Epilog, in dem die Ergebnisse der Untersuchung abschließend kritisch hinterfragt werden. Abgerundet wird die Studie durch ein Literaturverzeichnis sowie ein Register.

Hermanson eröffnet seine Überlegungen, indem er das moderne Staatssystem mit der mittelalterlichen Gesellschaft kontrastiert. Zugrunde legt er ein Hobbes-Zitat, nämlich die berühmte Beschreibung des Naturzustandes, in dem jeder gegen jeden Krieg führe (vgl. S. 9f.). Im Anschluss konstatiert Hermanson, für Hobbes sei der starke Staat der einzige Schutz gegen den destruktiven Charakter des Menschen. Natürlich ist diese Aussage für sich betrachtet korrekt, in dem Zitat allerdings ist vom Staat gar nicht die Rede, der Verweis auf den Leviathan ist mithin nur bedingt geglückt. Gleich zu Beginn offenbart sich somit eine Schwäche, die mehrfach begegnet: Die verwendeten Quellen werden zum Teil anscheinend losgelöst vom exakten Textgehalt interpretiert. Dieses Verfahren ermöglicht es Hermanson, seine Gedankengänge unabhängig zu entwickeln und so zu überzeugenden Szenarien zu gelangen, gleichwohl wünscht man sich als Leser mitunter durchaus, auch an der Arbeit am Text teilhaben zu dürfen. Eine weitere Schwäche besteht in der fehlenden systematischen Einordnung der Quellen. Lediglich zur Hauptquelle, Saxos Gesta Danorum, bietet Hermanson ausführliche Hintergrundinformationen (S. 81ff.). Auf andere Quellen wird häufig zurückgegriffen, ohne auf ihre Entstehungsumstände hinzuweisen, auch wo es sich um Fakten handelt, die beim Leser meines Erachtens nicht zwingend als bekannt vorausgesetzt werden dürfen. So werden Sagas herangezogen, die jüngeren Datums als der Untersuchungszeitraum sind, ohne dass dieser Umstand problematisiert würde. Auch der Tatsache, dass es sich bei den untersuchten Texten um literarische Werke mit spezifischen Intentionen handelt, wird nicht immer genügend Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. etwa die Aussagen zur Sverris saga, S. 186ff.). Was die herangezogenen Quellen insgesamt betrifft, fällt die eher geringe Zahl außerskandinavischer Texte auf. Dies wäre nicht weiter problematisch, befasste sich die Untersuchung nicht, wie es aber explizit heißt, auch mit Westeuropa. Zwar wird auf Zustände in England oder auf dem Kontinent verwiesen (vgl. etwa S. 116ff., 192f.), auch ist Hermansons Interesse daran, die Ähnlichkeiten zwischen kontinentalen und nordeuropäischen Entwicklungen in den Vordergrund zu stellen, begründet, es bleibt aber ungeklärt, welcher Raum exakt mit Westeuropa gemeint ist. Alles in allem ist, was die Quellen betrifft, somit zu konstatieren, dass ein knapper Überblick zur Quellenauswahl ausgesprochen nützlich gewesen wäre.

Erstaunen ruft die Tatsache hervor, dass die neue Saxo-Ausgabe durch Friis-Jensen nicht berücksichtigt worden ist.3 Auch wäre es wünschenswert gewesen, Hermanson hätte für seine Rígsþula-Lektüre auf die Neckel-Kuhn-Ausgabe zurückgegriffen.4 In der angegebenen Bugge-Ausgabe lautet der korrekte Titel des Edda-Lieds Rígsmál eða Rígsþula (und zwar auch in der genannten Online-Ausgabe) und nicht „Rígsmál: Rígsthula“ (S. 307). Warum Hermanson statt des von ihm sonst durchaus verwendeten Schriftzeichen þ die Schreibung mit th bevorzugt, erschließt sich ohnehin nicht. Zuletzt anzumerken bleibt, dass die angegebene Übersetzung (durch Hollander) unter der angegebenen Adresse 5 nicht zugänglich ist. Dies ist Hermanson selbstredend nicht vorzuwerfen, illustriert aber, wie unbefriedigend die Verwendung von Online-Dokumenten für den Leser sein kann. Auch wäre ein Hinweis, wann zuletzt erfolgreich auf die Seite zugegriffen wurde, durchaus von Interesse.

Das Buch ist alles in allem sorgfältig redigiert, im Haupttext sind nur wenige kleine Fehler zu bemängeln, etwa ein überflüssiges Komma („philoi/ , vänner“, S. 31), ein fehlender Punkt (zu Abschluss des ersten Zitats auf S. 164) oder die Verschreibung „bunom publicium“ (S. 184). Der lateinische Terminus für Fürstenspiegel ist streng genommen speculae principum und nicht einfach „speculae“ (S. 79); Konstruktionen wie „mitt patria“ (S. 95) sind unschön (auch wenn die Regelung bezüglich des Genus’ im Schwedischen nicht so streng wie im Deutschen sein mag). Das Literaturverzeichnis hingegen hätte einer gründlichen Korrektur bedurft: Die Literaturangaben sind nicht hinreichend auf Einheitlichkeit überprüft worden, störend sind aber vor allem die zahlreichen Tippfehler und Verschreibungen. Wirklich unerfreulich ist das gehäufte Auftreten von Tippfehlern in deutschen Titelangaben.

Ungeachtet der wenigen inhaltlichen Schwächen und der ärgerlichen formalen Ungenauigkeiten handelt es sich bei Hermansons Untersuchung um eine überzeugende Darstellung. Die Studie ist theoretisch fundiert, aber erfreulicherweise nicht mit Theorie überfrachtet, und führt somit lesbar und anschaulich vor Augen, wie die skandinavische (und natürlich insbesondere die dänische) Geschichte gewinnbringend im Zusammenhang mit intellektuellen kontinentalen Bewegungen (wie etwa der Renaissance des 12. Jahrhunderts) analysiert werden kann. So wird überzeugend herausgearbeitet, wie stark Saxos Freundschaftskonzeption vom klassischen Ideal der amicitia perfecta geprägt ist. Noch wichtiger erscheint mir aber die Erkenntnis, dass die Betrachtung emotionaler Zustände wie Freundschaft und Liebe viel zum besseren Verständnis politischer Ereignisse beizutragen hat. Dies geht aus der ausführlichen Untersuchung von Freundschaftsallianzen unter Valdemar I. von Dänemark klar hervor (während die norwegischen und isländischen Verhältnisse nur punktuell beleuchtet werden und Schweden nur abschließend erwähnt wird).

In Hermansons Lesart stellt Saxo der Gruppe betrügerischer Königsverwandter die Mitglieder des Skjalm-Kollektivs gegenüber, deren Unterstützung durch Bischof Absalon und Valdemar I. aus freundschaftlicher Verbundenheit erfolgt. Dem Freundschaftsdiskurs komme deshalb solche Wichtigkeit zu, weil er als ‚aristokratische Selbstmanifestation‘ (S. 108), als Mittel der Machtlegitimation und als Stellungnahme für das Wahlkönigtum zu interpretieren sei. Während das Ideal des Königtums von Gottes Gnaden (das die zeitgenössischen Diplome favorisieren) und das damit verbundene hierarchische Gesellschaftsmodell aufgrund der nicht hinreichend starken Machtposition des Königs realiter nicht hätte durchgesetzt werden können, gelang es Valdemar, wie Hermanson aufzeigt, das Ideal einer von Freundschaft und Konsens geprägten Gesellschaft praktisch zu verankern, indem er das Verhältnis zwischen König und Aristokratie mittels symbolischer Handlungen und geistlicher Elemente auf einer sakralen Ebene sichtbar machte. Auf diese Weise vermochte Valdemar seiner Dynastie Charisma zu verleihen. Die Verankerung der somit geschaffenen ‚sakralen Königsideologie‘ (S. 222) in breiteren Bevölkerungsschichten dürfte dank der zunehmenden Bedeutung von Bruderschaften wie der Knudsgilde gelungen sein. Entsprechend kann die vertikale Freundschaft zwischen König und Untertanen zu Recht als ‚totales soziales Phänomen‘ (S. 221) bezeichnet werden.

Hermansons Darstellung offeriert neue Sichtweisen auf die dänische Geschichte des 12. Jahrhunderts und liefert einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Entwicklung eines starken Königtums und damit letztlich der Entstehung der skandinavischen Zentralmächte. Eine besondere Stärke liegt meines Erachtens darin, dass Freundschaft als vielschichtiges Phänomen begriffen und daher immer wieder kritisch hinterfragt wird, inwieweit Freundschaftsbande für die beteiligten Parteien überhaupt von Nutzen sind. Damit einher geht die selbstkritische Betrachtung der eigenen Herangehensweise. Aus meiner Sicht ist es Hermanson gelungen, anhand vermeintlich wohlbekannter Fallbeispiele darzulegen, wie fruchtbar die genaue Analyse freundschaftlicher Verbindungen sein kann – seiner Untersuchung sind daher viele Leser zu wünschen.

Anmerkungen:
1 Lars Hermanson, Släkt, vänner och makt. En studie av elitens politiska kultur i 1100-talets Danmark, Diss. Univ. Göteborg, Göteborg 2000. Siehe dazu Jan Rüdiger: Rezension zu: Hermanson, Lars: Släkt, vänner och makt: En studie av elitens politiska kultur i 1100-talets Danmark. Göteborg 2000, in: H-Soz-u-Kult, 30.05.2002, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/MA-2002-015>.
2 Fredric L. Cheyette, Ermengard of Narbonne and the world of the troubadours. Ithaca 2001; Fredric L. Cheyette, Some Reflections on Violence, Reconciliation, and the Feudal Revolution, in: Warren Brown / Piotr Górecki (Hrsg.), Conflict in medieval Europe. Changing perspectives on society and culture, Aldershot 2003, S. 243-264.
3 Saxo Grammaticus, Gesta Danorum = Danmarkshistorien, Latinsk tekst udg. af Karsten Friis-Jensen, dansk oversættelse ved Peter Zeeberg, 2 Bde., København 2005.
4 Hans Kuhn / Gustav Neckel (Hrsg.), Edda. Die Lieder des Codex Regius nebst verwandten Denkmälern, Bd. 1: Text, 5., verb. Aufl., Heidelberg 1983.
5 Angegeben ist: <http://home.earthlink.net/~wodensharrow/rigsthula.html>, erfolglos abgerufen am 26.07.2010.