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Titel
Johann von Leers. Ein Propagandist des Nationalsozialismus


Autor(en)
Sennholz, Marco
Reihe
Biographische Studien zum 20. Jahrhundert
Erschienen
Berlin 2013: be.bra Verlag
Anzahl Seiten
459 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Mühlenfeld, Institut für Geschichtswissenschaft, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine an der Technischen Universität Chemnitz von Frank-Lothar Kroll und Eckhard Jesse betreute Promotion. Sie zeichnet den Lebensweg des nationalsozialistischen Publizisten Johann von Leers von seiner Jugend als Spross verarmten mecklenburgischen Landadels bis zu seinem Tod in Kairo als verbitterter und isolierter, aber gleichwohl gesinnungsfester Nationalsozialist und konvertierter Muslim nach.

Der Autor schildert von Leers als weitgehend typischen Vertreter der Kriegsjugendgeneration des Ersten Weltkriegs: Geboren 1902, und damit zu spät gekommen, um selbst noch für die idealisierte Nation zur Waffe greifen zu dürfen, radikalisierte sich der mit Kriegsende und Revolution nicht nur politisch enttäuschte, sondern aufgrund des wirtschaftlichen Niedergangs seiner Familie sozial depravierte von Leers in der Freikorpsbewegung, bis er schließlich Ende der 1920er-Jahre zur NSDAP fand. Dabei ähnelt von Leers’ früher Lebensweg – intellektuelle Begabung, gepaart mit einer schwachen körperlichen Konstitution aufgrund eines Herzfehlers – auffallend dem eines anderen, später führenden Nationalsozialisten: „Parallelen zum jungen Joseph Goebbels […] drängen sich auf.“ (S. 20)

Johann von Leers verkehrte in neuheidnischen, germanophilen Kreisen, begann Mitte der 1920er-Jahre eine Attaché-Laufbahn beim Auswärtigen Amt, war dort schließlich in der Ostasienabteilung tätig. Doch diesen materiell sicheren Berufsweg gab er schließlich auf, um sich im Gau Berlin der NSDAP publizistisch bei der Partei-Zeitung „Der Angriff“ zu verdingen. Von Leers war zu dieser Zeit bereits ein vehementer Antisemit. Seine zahlreichen publizistischen Einlassungen zur Judenfrage strotzen vor vulgärsten sprachlichen Exzessen (vgl. S. 115). Wohl nicht von ungefähr war von Leers bereits 1933 von der Dienststelle Heß in eine Arbeitsgruppe berufen worden, deren Aufgabe die Erarbeitung einer Sondergesetzgebung für jüdische Deutsche war.

In den Folgejahren strebte von Leers als Protegé Richard Walther Darrés eine akademische Karriere an der Universität Jena an, nachdem er zeitweilig in leitender Stellung an der Hochschule für Politik in Berlin tätig war. Von Leers verfasste mehrere Studien zur Geschichte von Bauerntum und Bauernkrieg und errang nach einigen innerparteilichen Grabenkämpfen einen Lehrstuhl für „Deutsche Geschichte, unter besonderer Berücksichtigung der Bauerngeschichte“ in Jena (S. 231) – wohlgemerkt ohne eine historiografische Promotion geschweige denn Habilitation abgelegt zu haben. Mit Darrés Sturz stagnierte die Karriere.

Bei Kriegsende interniert, gelang ihm die Flucht, und dank der Unterstützung ungenannter Fluchthelfer kam er zügig in den Besitz falscher Papiere. Nachdem von Leers zunächst kurzzeitig illegal in Deutschland lebte, zog es ihn mit Frau und Adoptivtochter ins peronistische Argentinien. Derweil publizierte er sowohl für NS-Periodika in Südamerika als auch wegen seiner persönlichen Bekanntschaft mit Klaus Mehnert zeitweilig unter Pseudonym in der bundesrepublikanischen Wochenschrift „Christ und Welt“. Von Argentinien ging er samt Familie nach Ägypten, nachdem der Peronismus als Konzept offenbar versagt und stattdessen die nationalistische Bewegung Nassers sich zum Vehikel der kruden politischen Hoffnungen von Leers entwickelt hatte. Dabei spielte offenbar auch eine Rolle, dass er sich zunächst schrittweise und schließlich vollständig dem Islam zugewandt hatte. Die biografische Konstante seines Lebens bildete sein Antisemitismus. Nachdem von Leers in diversen Presseberichten westlicher Zeitungen zumindest indirekt nochmals von sich reden machte und zeitweilig als Kopf einer Art Fünften Kolonne von NS-Propagandisten galt, die sich für die ägyptische Regierung verdingt haben sollten, war er faktisch immer mehr isoliert und starb schließlich 1965 als Omar Amin von Leers in Ägypten.

In einer Reihe von Rezensionen wurde Marco Sennholz’ Arbeit einhellig gelobt und als „gut recherchierte Studie“ bezeichnet.1 Diesem Befund kann sich der Rezensent nur bedingt anschließen. Denn die Darstellung lässt den halbwegs kundigen Leser wiederholt aufmerken, weil Passagen nur sehr spärlich belegt und einschlägige Untersuchungen nicht berücksichtigt sind. Immer wieder finden sich wertende Formulierungen, die insofern ins Auge fallen, als sie von einer unverständlich unkritischen Perspektive auf diverse Akteure zeugen, denen von Leers im Laufe seines Lebens begegnete. Beide Monita seien anhand einiger Beispiele näher erläutert.

Schon in seinen Einlassungen zum Forschungsstand verweist Marco Sennholz zwar auf einen Beitrag Martin Finkenbergers (S. 10)2, aus dem hervorgeht, dass zu von Leers offenbar eine einschlägige Überlieferung im Sonderarchiv Moskau existiert. Nur wenige Seiten später teilt der Autor dann in einer Fußnote mit, dass er just diesen Bestand nicht in seine Recherchen einbezogen hat. Eine Erklärung dafür bleibt er dabei ebenso schuldig wie einen Verweis auf eine weitere Arbeit Finkenbergers, die von Leers’ Wirken in der „faschistischen Internationale“ nach 1945 beleuchtete und so prominent erschienen ist, dass sie dem Verfasser kaum entgangen sein kann.3

Im Abschnitt über von Leers’ Zugehörigkeit zur „Brigade Ehrhardt“ stellt Sennholz deren Kommandeur Hermann Ehrhardt einerseits als „hochdekorierten Marineoffizier“ vor (S. 24), unterlässt aber jeglichen Hinweis auf die Verstrickung der Truppe und ihrer Nachfolgeorganisationen in die Ermordung Walther Rathenaus. Diese Art der selektiven Darstellung zieht sich in der Folge weiter durch die Arbeit: So schildert der Autor die politische Sozialisation von Leers’ als Exponent der „Kriegsjugendgeneration“ derartig alternativlos, dass leicht der Eindruck entsteht, als habe sich von Leers’ Lebensweg objektiv kaum anders entwickeln können; dass es jenseits der affirmativen Aneignung von Kriegserlebnis und männerbündischer Schützengrabengemeinschaft auch eine andere Deutungskultur und mithin eine ideologische Alternative zu Freikorpsgeist und gesellschaftlicher Militarisierung gab4, wird unterschlagen.

Die Geschichte der Berliner NSDAP und SA schildert Marco Sennholz weitestgehend aus dem parteieigenen Schrifttum und einschlägigen Artikeln von Leers’, während er neuere Literatur zum Thema ignoriert.5 Das ist kein Einzelfall: Von Leers’ illustre Hochzeitsgesellschaft bereicherte auch „Freikorpsführer Waldemar Pabst“, den Sennholz zwar erwähnt, weil nicht zuletzt dessen Anwesenheit offenbar Beleg für die gewachsene Bedeutung seines Protagonisten im nationalistischen Milieu der Hauptstadt war, dabei aber weitere Erläuterungen für nicht notwendig erachtet (S. 91).6 Wenn es um von Leers’ zeitweilige Rolle in der NS-Kunst- und Kulturpolitik geht, reicht die Verarbeitung der Sekundärliteratur nicht über die Arbeiten Hildegard Brenners aus den frühen 1960er-Jahren hinaus; stattdessen bezieht sich Sennholz auch hier sehr weitgehend und deskriptiv auf zeitgenössisches NS-Schrifttum (S. 154f.). Und immer wieder steht als einziger Beleg eine schriftliche Selbstauskunft von Leers’ oder eine mündliche seiner Schwiegertochter. Mit ihr hatte Marco Sennholz sich vor deren Tod 2007 offenbar mehrfach persönlich über den Stiefvater ausgetauscht. Eine quellenkritische Reflexion derartigen Materials sucht man vergebens.

Folglich bleibt die notwendig kritische Distanz des Biografen zum Objekt seiner Darstellung mitunter nicht gewahrt. Etwa die Schilderung des Pass-Entzugs durch die Bundesrepublik lässt kaum verhohlen Sympathie für die Position von Leers’ erkennen, denn die besagte Entscheidung sei auf Grundlage eines Rechtsgutachtens gefallen, „das als einzig mögliche Belastungspunkte die strafrechtlich bereits verjährte Urheberschaft“ für ein NS-Pamphlet und einen selbstentlarvenden Leserbrief von Leers’ an den „Spiegel“ aufgeführt habe (S. 334). An anderer Stelle wird von Leers als Kritiker der deutschen Besatzungspolitik gegenüber den Völkern Ostmitteleuropas beschrieben. Ausgehend von seiner Beteiligung an der Gründung eines „Bundes Völkischer Europäer“ 1933, der sich dem „Problem einer ‚völkischen‘ Koexistenz auf europäischer Ebene“ widmete, wird von Leers hier als „Völkische[r] Zweifler“ (S. 233) am real existierenden Nationalsozialismus geschildert, der zwar Rassist und Antisemit gewesen sei, aber gleichwohl auf die „geistige Gestaltung und Formung“ (S. 234) der unterjochten Völkerschaften gesetzt habe, statt auf deren Ausbeutung. Von Leers erscheint hier als besserer Nationalsozialist, der seine ideologischen Überzeugungen rein erhielt und just wegen seiner nationalsozialistischen Gesinnung nicht in Gewaltverbrechen verstrickt war, denn: „Für Leers zeichnete sich damit frühzeitig ab, dass seine gegenläufigen Auffassungen zur deutschen Besatzungspolitik, trotz entsprechender Ambitionen, eine aktive Mitgestaltung ausschlossen.“ (S. 235) Dies klingt, als sei ein Verzicht von Leers’ auf eine Tätigkeit in einer deutschen Besatzungsverwaltung der freiwillige Schritt eines Mannes gewesen, der retrospektiv gerade deshalb zum Ehrenretter des Nationalsozialismus als politischer Ideologie taugt, weil er sich unter Berufung auf diese Ideologie einer Verstrickung in die eliminatorischen Niederungen der Real- und Tagespolitik bewusst entzogen habe. Auch hier ist der einzige Beleg für die angebliche innere Distanz von Leers’ zum Nationalsozialismus ein Verweis auf das lediglich im Privatdruck erschienene Tagebuch Richard Walther Darrés – herausgegeben von seinem vormaligen Adjutanten Hanns Deetjen (S. 235, Anm. 104). Ähnlich geht es weiter, etwa wenn von Leers’ Konversion zum Islam ohne weiteren Kommentar und erneut allein gestützt auf Selbstauskünfte als Folge von „Quälereien durch amerikanische Juden“ (S. 325) während seiner Internierung bei Kriegsende begründet wird. An anderer Stelle ist wertneutral von „[e]in[em] Journalist[en]“ die Rede, „der sich mit den Vorwürfen gegen Leers“ befasst habe, obgleich damit – wie man lediglich einer Fußnote entnehmen kann – der rechtsextreme Publizist Gerhard Frey und seine „Deutsche National-Zeitung“ gemeint sind (S. 329). In solcherart unkritischen Ausführungen spiegelt sich eine bedenklich geringe Reflexionsdistanz des Autors zu seinem Untersuchungsgegenstand.

Das Gesamturteil fällt entsprechend negativ aus. Die punktuellen Erkenntnisgewinne hinsichtlich von Leers’ Vita stehen in keinem vertretbaren Verhältnis zu den erheblichen handwerklichen Defiziten und der analytischen Indifferenz der Arbeit. Für den qualitativen Stand der NS-Forschung an deutschen Hochschulen ist sie – Gott sei Dank – untypisch.

Anmerkungen:
1 Armin Pfahl-Traughber, Rezension in: DÖW-Mitteilungen, Folge 215 v. März 2014, S. 9f.; online unter: <http://hpd.de/node/17835> (13.01.2015); Alexandra Senfft, Übelster Antisemit seiner Zeit, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 8.11.2013, S. 8; online unter: <http://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/marco-sennholz-johann-von-leers-uebelster-antisemit-seiner-zeit-12653137.html> (13.01.2015).
2 Martin Finkenberger, „Während meines ganzen Lebens habe ich die Juden erforscht, wie ein Bakteriologe einen gefährlichen Bazillus studiert“. Johann von Leers (1902–1965) als antisemitischer Propagandaexperte bis 1945, in: Bulletin des DHI Moskau 2 (2008), S. 88–99.
3 Martin Finkenberger, Johann von Leers und die „faschistische Internationale“ der fünfziger und sechziger Jahre in Argentinien und Ägypten, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 59 (2011), S. 522–543.
4 Exemplarisch Benjamin Ziemann, Republikanische Kriegserinnerung in einer polarisierten Öffentlichkeit. Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold als Veteranenverband der sozialistischen Arbeiterschaft, in: Historische Zeitschrift 267 (1998), S. 357–398.
5 Exemplarisch Daniel Siemens, Prügelpropaganda. Die SA und der nationalsozialistische Mythos vom „Kampf um Berlin“, in: Michael Wildt / Christoph Kreutzmüller (Hrsg.), Berlin 1933–1945. Stadt und Gesellschaft im Nationalsozialismus, München 2013, S. 33–50.
6 Vgl. zu Pabst Klaus Gietinger: Rezension zu: Wichmann, Manfred: Waldemar Pabst und die Gesellschaft zum Studium des Faschismus 1931–1934. Berlin 2013 / Konrad, Rüdiger: Waldemar Pabst 1880–1970. Noskes „Bluthund“ oder Patriot?. Beltheim-Schnellbach 2012, in: H-Soz-Kult, 25.06.2014, <http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-22010>. [13.1.2015]

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