S. Gütermann: Die Stuhlbrüder des Speyerer Domstifts

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Titel
Die Stuhlbrüder des Speyerer Domstifts. Betbrüder, Kirchendiener und Almosener des Reichs


Autor(en)
Gütermann, Sven
Reihe
Bensheimer Forschungen zur Personengeschichte 2
Erschienen
Frankfurt am Main 2014: Vittorio Klostermann
Anzahl Seiten
IX, 357 S.
Preis
€ 86,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benjamin Müsegades, Historisches Seminar, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Der Speyerer Dom gehört zu den am besten erforschten Kirchen des mittelalterlichen Reichs. Das besondere Interesse verschiedener Disziplinen, zu denen neben der Geschichtswissenschaft auch die Kunstgeschichte und Liturgiewissenschaft gehören, verdankt er nicht zuletzt seiner Rolle als Grablege der römischen Könige und Kaiser von der Salierzeit bis ins frühe 14. Jahrhundert. Vor allem Caspar Ehlers hat in seinen Arbeiten immer wieder das Zusammenspiel von regnum und Dom betont.1 Zuletzt erschien 2013 ein Sammelband, in dem aus unterschiedlichen fachlichen Blickwinkeln die Geschichte und Bedeutung dieses monumentalen Bauwerks vom Mittelalter bis zum Historismus untersucht wurden.2

Umso mehr erstaunt es daher, dass die Personengruppe, die für die Herrschermemoria besondere Bedeutung hatte und somit in direktem Zusammenhang mit dem Dom stand, in neueren Studien bisher wenig Aufmerksamkeit erfahren hat. Es handelt sich um die sogenannten Stuhlbrüder, die für die liturgischen Dienste an den Speyerer Königs- und Kaisergräbern zuständig waren. Deren Bedeutung thematisierte in der jüngeren Forschung bisher nur Claudia Moddelmog in ihrer 2012 erschienenen Arbeit im Kontext der Jahrtagsstiftung für Kaiser Heinrich IV.3

Eingehend widmet sich Sven Gütermann der Gemeinschaft in seiner Freiburger Dissertation. Nach einem Überblick zur Quellen- und Literaturlage werden zuerst Entstehung und potentielle Vorbilder der Stuhlbrüder untersucht. Es ist möglich, dass Traditionen aus Byzanz sowie Bamberg, einer anderen Königsgrablege, hierbei eine Rolle spielten. Gütermann hebt hervor, dass es sich bei den Mitgliedern der Stuhlbrüder meist um verdiente adlige Männer aus dem Umfeld des Speyerer Domstifts handelte. Diese sollten durch die insgesamt zwölf Pfründen finanziell abgesichert werden.

Treibende Kraft hinter der Errichtung der Gemeinschaft war nach Gütermanns Auffassung der Speyerer Bischof Konrad III. von Scharfenberg († 1224). Da keine Stiftungsurkunde erhalten ist, muss diese Zuweisung mit einem Fragezeichen versehen bleiben. Der Schluss liegt jedoch nahe, da Konrad darum bemüht gewesen sein dürfte, den Dom nach einem Intermezzo ohne königliche und kaiserliche Begräbnisse Anfang des 13. Jahrhunderts wieder in dieser Funktion zu etablieren. Hinsichtlich des Stiftungsdatums geht Gütermann anders als Volkhard Huth davon aus, dass die Bruderschaft nicht bei der Translation der Gebeine König Philipps 1213, sondern zwischen 1208 und 1212 ins Leben gerufen wurde.4 Der Terminus ante quem ist durch einen der Forschung bisher unbekannten Pachtvertrag aus dem Jahr 1212 belegt, der im Anhang der Arbeit ediert wurde. Die Bedeutung des Bischofs für die Gründung der Stuhlbrüdergemeinschaft kann nur an Indizien festgemacht werden. So forcierte Konrad nicht nur die Überführung der sterblichen Überreste Philipps an den Rhein, sondern förderte auch die Ansiedlung verschiedener Orden in Speyer und in seinem zweiten Bistum Metz. Auch seine Nähe zu den staufischen Herrschern könnte eine Rolle gespielt haben.

Im folgenden kurzen vierten Kapitel wird den wenigen Hinweisen darauf nachgegangen, dass sich unter den sedium fratres bis Ende des 14. Jahrhunderts auch sorores befanden. Bei ihnen handelte es sich, anders als von der älteren Forschung angenommen, ebenfalls um Mitglieder der Gemeinschaft. „Charakter und Funktion“ der Stuhlbrüder werden anschließend in den Blick genommen. Hierbei werden die insgesamt sieben Statuten der Bruderschaft aus Spätmittelalter und Früher Neuzeit und der außerstatutarisch festgelegte Dienst beleuchtet. Zusätzlich wird anhand von drei Streitfällen aus dem 15., 16. und 18. Jahrhundert der Anspruch der römischen Kaiser und Könige darauf, die Stuhlbrüderpfründen zu verleihen, dargestellt. Abgeschlossen wird das Kapitel durch einen Blick auf den Habit, die Häuser und das Siegel der Laiengemeinschaft. Anschließend werden die einzelnen Ämter, die Aufnahmemodalitäten und wirtschaftlichen Grundlagen vorgestellt, bevor in einem kurzen neunten Kapitel die Auflösung der Stuhlbrüder 1802/1803 behandelt wird. Abgerundet wird das Buch durch ein chronologisches Verzeichnis der bekannten Stuhlbrüder, die Edition von 30 archivalisch überlieferten Texten und ein Personen- und Ortsregister.

Mit seiner Studie hat Sven Gütermann eine Forschungslücke geschlossen. Vor allem auf Grundlage der ungedruckten Überlieferung im Generallandesarchiv Karlsruhe und im Landes-, Stadt- und besonders im Bistumsarchiv in Speyer gewinnt er eine Vielzahl neuer Erkenntnisse. Besonders hervorzuheben sind die erstmals zusammenhängend erhobenen prosopographischen Daten und die edierten Texte im Anhang, die die reichs-, stadt- und landesgeschichtliche Forschung zum mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Speyer auf ein neues Fundament stellen. Die Überblickskapitel zu den einzelnen Tätigkeitsbereichen und der Genese der Bruderschaft sind grundlegend.

Die Arbeit leidet jedoch an einigen Stellen unter dem von Gütermann gewählten Zuschnitt. So verdienstvoll die Transkription umfangreicher Quellen auch ist, so ist der Rezensent doch skeptisch, ob es sinnvoll ist, ganzseitig den Text von Briefen oder anderen Schriftstücken im Wortlaut in den Fließtext zu inserieren, wenn darauf anschließend kaum Bezug genommen wird (z.B. S. 121, 140ff., 150ff., 191). Methodisch hätte zudem ein stärkeres Eingehen auf die Memoria-Forschung geholfen, die Ergebnisse der Studie noch weiter zu akzentuieren und in einen größeren Kontext zu stellen. Dies gelingt im Kapitel zu „Aufnahmemodalitäten und Rekrutierungsbedingungen“, in dem Gütermann einen Vergleich der Speyerer Gemeinschaft mit englischen Armenhäusern vornimmt. Umso bedauerlicher ist es, dass dies auf die gesamte Arbeit hin gesehen ein Einzelfall bleibt. Zur Memoria Adolfs von Nassau und Albrechts von Habsburg übersieht Gütermann zudem die neueren Studien von Jana Madlen Schütte.5

Zumindest diskutabel ist die Schlussfolgerung, dass das Todesjahr Philipps 1208 als Terminus post quem für die Stiftung der Stuhlbrüder anzunehmen ist. Die These, Bischof Konrad von Scharfenberg habe „vermutlich gar nicht anders [gekonnt]“(S. 59), als unter dem Eindruck des Bamberger Begräbnisses und mit dem Wissen von der Existenz der dortigen Laiengemeinschaft, ein Pendant in Speyer zu etablieren, hat eher spekulativen Charakter. In diesem Zusammenhang überrascht es zudem, dass Gütermann in seinen Ausführungen zum Gründungsdatum nicht auf die Arbeit von Claudia Moddelmog verweist. Sie geht ebenfalls von einer führenden Rolle Bischof Konrads bei der Etablierung der Stuhlbrüder aus.6

Trotz der genannten Monita ist die Studie zweifelsohne eine Bereicherung für die Forschungslandschaft. Es ist das Verdienst Sven Gütermanns, dass er sich einer bisher weitestgehend ignorierten Laiengemeinschaft angenommen und diese detailliert untersucht hat. Durch die Veröffentlichung der Quellen im Anhang wird der Forschung ein neuer, bisher unbeachteter Bestand zur Verfügung gestellt. Es bleibt zu hoffen, dass dieser für die weitere Beschäftigung mit der Geschichte Speyers und seines Doms nutzbar gemacht wird.

Anmerkungen:
1 Caspar Ehlers, Metropolis Germaniae. Studien zur Bedeutung Speyers für das Königtum (751–1250), Göttingen 1996.
2 Matthias Müller / Matthias Untermann / Dethard von Winterfeld (Hrsg.), Der Dom zu Speyer. Konstruktion, Funktion und Rezeption zwischen Salierzeit und Historismus, Darmstadt 2013.
3 Claudia Moddelmog, Königliche Stiftungen des Mittelalters im historischen Wandel. Quedlinburg und Speyer, Königsfelden, Wiener Neustadt und Andernach, Berlin 2012, S. 65–109. Vgl. die Rezension zu diesem Buch von Thomas Wozniak in: H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2013-1-095> (25.02.2015).
4 Volkhard Huth, Vom Kaiser, dem Tod und der Armut. Zur historischen Verschränkung von Sorge und Fürsorge in Byzanz, Bamberg und Speyer, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 151 (2003), S. 35–65.
5 Jana Madlen Schütte, Königsmord und Memoria. Liturgisches und historiographisches Erinnern an Albrecht von Habsburg, in: Concilium medii aevi 15 (2012), S. 77–115; Dies., Gedenken – Erinnern – Rühmen. Zur Memoria König Adolfs von Nassau, in: Nassauische Annalen 124 (2013), S. 75–110. Zur Memoria Albrechts von Habsburg in Königsfelden siehe ebenfalls Moddelmog, Königliche Stiftungen, S. 111–203.
6 Moddelmog, Königliche Stiftungen, S. 85–88.

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