K. Hiller von Gaertringen u.a.: Eine Geschichte der Berliner Museen

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Titel
Eine Geschichte der Berliner Museen in 227 Häusern.


Autor(en)
Hiller von Gaertringen, Katrin; Hiller von Gaertringen, Hans Georg
Erschienen
Anzahl Seiten
471 S., 203 farb. u. 72 s/w Abb.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Ludwig, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Das Kompendium von Hans Georg und Katrin Hiller von Gaertringen über die 227 Berliner Museumsprojekte seit Beginn des 19. Jahrhunderts behandelt Museumsgründungen, Museumsschließungen, Kriegszerstörungen, Standortverlagerungen und Museumspläne. Was ist von einer solchen, zwei Jahrhunderte umfassenden Zusammenstellung zu erwarten: dokumentarische Vollständigkeit, eine Analyse von Sammlerinitiativen und Museumspolitik, historische Einordnung, Kulturkritik? Um es vorwegzunehmen, der Band bietet all dies in kondensierter Form und ist, trotz seiner notwendig listenförmigen Grundanlage, keineswegs eintönig geschrieben. Die einzelnen Museen werden nach ihrem Gründungsdatum historischen Kapiteln zugeordnet, die zugleich kulturpolitische Zäsuren und den Wandel zeitgenössischer Auffassungen vom Museum repräsentieren. Den einzelnen historischen Abschnitten werden jeweils kurze Einleitungen vorangestellt, die eine Übersicht ermöglichen.

Die ehemaligen königlichen Sammlungen und heutigen Staatlichen Museen zu Berlin sind die Kernzelle der Berliner Museumslandschaft und seit der Eröffnung des Alten Museums 1830 auch auf die Repräsentation der Haupt- und Residenzstadt Berlin ausgerichtet. An dieser Schaufensterfunktion hat sich bis heute nichts geändert und entsprechend beginnen alle Kapitel, bis auf das kurze über den Nationalsozialismus, mit der Entwicklung dieses kulturhistorischen Museumskomplexes mit all seinen Neugründungen, Umstrukturierungen und Standortplanungen. Städtische Museen, Privatmuseen, Universitäts- und Forschungssammlungen sowie die bezirklichen Heimatmuseen komplettieren das Bild einer bereits am Ende des 19. Jahrhunderts ausdifferenzierten Museumslandschaft. Der Museumsgründungsboom des Deutschen Kaiserreichs wird mit vierzig neu gegründeten größeren und kleineren Museen überaus deutlich. Darunter befanden sich so bekannte Häuser wie die Alte Nationalgalerie, das Bode-Museum, das Kunstgewerbemuseum, das heutige Museum für Kommunikation sowie das Märkische Museum als stadtgeschichtliches Museum Berlins. Eine vergleichbare Gründungswelle neuer Museen erfuhr Berlin erst wieder nach 1990, nur lag der Schwerpunkt in dieser Zeit eher auf Künstler- und Sammlermuseen sowie zeitgeschichtlichen Museen und Gedenkstätten. Dagegen wurden in der Weimarer Republik nur wenige Museen gegründet, von denen so gut wie alle wieder geschlossen oder zerstört wurden. Die wenigen Neugründungen aus der Zeit des Nationalsozialismus waren bedeutungslos.

Aufschlussreich sind die Übersichten über die Museen im geteilten Berlin, weil sich Parallelitäten und Unterschiede im Vergleich nachweisen lassen. In beiden Stadthälften ging es nach 1945 zunächst um die Rekonstruktion der Museumslandschaft, die vor allem die Staatlichen Museen betraf. Während in Ost-Berlin versucht wurde, die Museumsinsel als traditionellen Standort im Stadtzentrum schrittweise zu rekonstruieren, wurden in West-Berlin die ausgelagerten Teilsammlungen, soweit sie in die Westzonen bzw. in die Bundesrepublik verbracht worden waren, schrittweise seit den 1950er-Jahren an neuen Museumsstandorten gezeigt. So entstanden Museumszentren in Berlin-Dahlem und um das Schloss Charlottenburg, sowie, beginnend mit der Neuen Nationalgalerie 1968, auch am sogenannten Kulturforum. Darüber hinaus wurde im Westen der Stadt mit dem Berlin-Museum ein weiteres Stadtgeschichtsmuseum gegründet. Diese für das Berlin der Nachkriegsjahrzehnte so typische Doppelstruktur kultureller Einrichtungen wurde und wird nach dem Fall der Mauer wieder rückgängig gemacht, was zur Aufgabe und nur teilweisen Wiedernutzung von Museumsstandorten geführt hat. Hans Georg und Katrin Hiller von Gaertringen beschreiben diese Umstrukturierungen mit teils deutlichem Unverständnis und verdeutlichen damit das Repräsentationsbedürfnis, das mit prominenten Kulturinstitutionen einhergeht. Wird die weitgehende Aufgabe des Dahlemer Museumsstandorts noch kritisch kommentiert, werden andere kulturpolitische Entscheidungen jedoch nur am Rande erwähnt. Der Umgang mit dem Berliner Stadtgeschichtsmuseum ist dafür ein Beispiel, dessen West-Berliner Standort in den 1990er-Jahren ebenso geschlossen wurde, wie die dem Märkischen Museum zugeordneten kleineren Spezialmuseen. Damit wurde die für die Entwicklung der 1980er-Jahre typische Spezialisierung und Dezentralität der Museumslandschaft teilweise wieder zurückgenommen und die Tendenz einer erneuten Konzentration auf die Stadtmitte unter repräsentativen Gesichtspunkten mit ihrer Ausrichtung auf den Städtetourismus ist augenscheinlich.

Damit zeigt sich eine aktuelle kulturpolitische Fokussierung auf die attraktivsten Museen, ein Kriterium, das an den, hier leider nicht mitgeteilten, Besucherzahlen abgelesen wird. Demgegenüber erläutert der Band überaus deutlich, dass gerade in der differenzierten Struktur der Museumslandschaft mit ihren unterschiedlichen thematischen Ausrichtungen und vielfältigen Akteuren ein Ausdruck der differenzierten Stadtgesellschaft lag. Dies zeigt die Vielzahl der seit dem Kaiserreich gegründeten "Sozialmuseen", von denen heute keins mehr existiert. Neben der in der Literatur häufig erwähnten "Ständigen Ausstellung für Arbeiterwohlfahrt" von 1903 gab es ein Hygienemuseum, ein Museum für Krüppel-Fürsorge, sowie Museen für Säuglingsfürsorge, Gefangenenarbeit und für Frauenkunde. Als Reaktionen auf die Folgen von Industrialisierung und Urbanisierung sowie Spiegelbild der Diskussionen um die Soziale Frage wären sie heute die ideale Grundlage für ein sozialgeschichtliches Museum der Stadt Berlin, das es nicht gibt.

Die Schließung von politisch engagierten Museen durch die Nationalsozialisten wie das Antikriegsmuseum, sowie die Verluste durch die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs verweisen erneut auf eine nachhaltige Verarmung der Berliner Museumslandschaft. Erst vor wenigen Jahren wurde das frühere Tell-Halaf-Museum durch eine Ausstellung teilrekonstruiert, nachdem die Trümmer der archäologischen Funde nach Jahrzehnten wieder aufgefunden worden waren. Die aufgeführten Beispiele zeigen aber auch, wie kompliziert die Rekonstruktion der Berliner Museen nach dem Zweiten Weltkrieg war und es erstaunt, wie häufig eine, wenn auch teilungsbedingt fragmentarische Wiederherstellung in den meisten Fällen gelungen ist. Mit der Wiedereröffnung von Museen war eine konzeptionelle Neuorientierung in der Präsentation verbunden, die anhand einer Reihe von West-Berliner Beispielen ab den 1960er-Jahren dargestellt wird. So wurde das ursprünglich neben dem Gropiusbau gelegene Völkerkundemuseum trotz der Möglichkeit des Wiederaufbaus abgetragen und das Museum nach Berlin-Dahlem transferiert, wo es in Neubauten eingerichtet wurde, die die Ausstellungsflächen als von der Außenwelt abgeschlossene Räume interpretierten. Auf das Verhältnis von Architektur und Ausstellungspräsentation orientiert ist auch die Darstellung von Mies van der Rohes Neuer Nationalgalerie sowie der übrigen Museumsbauten am West-Berliner Kulturforum. Hier tendieren die Einzelbeschreibungen gelegentlich zur Architekturkritik, was wohl den anhaltenden öffentlichen Debatten um die Entwicklung dieses Standorts und die architektonische Qualität der Museumsbauten geschuldet ist.

In den Beiträgen zum zweiten Museumsboom der Jahre nach 1990 spiegeln sich anhaltende kulturpolitische Defizite der Berliner Museumsentwicklung, genannt seien hier die Entwicklung des Museums in der Liebermann Villa und der Berlinischen Galerie als Landeskunstmuseum, die erneute Attraktivität von privaten Museumsgründungen, aber auch die Ausweitung des Museumsbegriffs. Das Kapitel wird von Geschichtsmuseen eingeleitet, von denen einige nicht Museen, sondern Gedenkstätten sind. Dies verweist auf die Breite des Museumsbegriffs, die dem Band zugrunde liegt. Sind Sammlungen der Kern des Museums, wie die allgemeine Definition voraussetzt, oder ist der Ort in Verbindung mit einer Ausstellung die wesentliche Voraussetzung? Jenseits dieser Frage ist jedoch auffallend, dass das Spektrum der seit 1990 gegründeten Einrichtungen eine breite Facette des Musealen repräsentiert, die digitale Produkte im Computerspiele-Museum ebenso umfasst wie die Unendlichkeit des Sammelbaren, wie ein Lippenstiftmuseum oder ein Currywurstmuseum zeigen.

All diese langlebigen wie kurzzeitigen, repräsentativen wie popularen Beispiele dokumentiert der Band. Die Länge der Beiträge über die einzelnen Museen variiert dabei kaum – eine Reihe von Museen erhält aber lediglich Kurzbeschreibungen – und macht eine programmatische Gleichbehandlung deutlich, die von konventionellen Beschreibungen einer hochkulturellen Meistererzählung dezidiert abweicht. Referiert werden die Baugeschichte der einzelnen Museen mit besonderer Berücksichtigung der Architektur, die politische und konzeptionelle Entwicklungsgeschichte sowie die Grundprinzipien der Ausstellungsgestaltung. Die den Museen zugrunde liegende Entwicklung der Sammlungen ist dagegen nur teilweise Thema, vermutlich bedingt durch die Forschungslage. Diese wird durch ein umfangreiches Literaturverzeichnis erschlossen, das die den Einzelbeiträgen beigefügten Nachweise zusammenfasst. Der Band ist in dieser Hinsicht ein vorzügliches Arbeitsinstrument, auch wenn wichtige Publikationen fehlen, wie an der Literatur über das Deutsche Historische Museum deutlich wird. Als Hintergrundlektüre zum Museumsbesuch ist das Buch aufschlussreich, als Ausgangspunkt für museumsgeschichtliche Recherchen eine mehr als solide Grundlage, die den Forschungsstand gründlich erschließt und bündelt.

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